Forum:Die Nachteile der Digitalsteuer

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Deborah Schanz ist Professorin für Betriebswirtschaft und Vorstand des Instituts für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München. (Foto: Kubinska & Hofmann)

Amazon und Google können sich einfach gegen europäische Abgaben wehren. Europa braucht kein tech-feindliches, sondern ein zukunftsorientiertes Steuersystem.

Von Deborah Schanz

Steuersysteme sind ein Spiegel der Gesellschaft. Der progressive Tarifverlauf unserer Einkommensteuer spiegelt den Wunsch nach Umverteilung wider; die steuerliche Begünstigung von Elektromotoren den Willen, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu verringern. Und die derzeit vor allem in Deutschland und der EU geführte Diskussion zur Einführung einer Digitalsteuer? Sie zeigt auf, dass Europa in der digitalen Welt keinen Führungsanspruch erhebt. Die Umsätze digitaler Unternehmen sollen besteuert werden, weil es so naheliegend erscheint: Uns Europäer träfe es nicht, denn besteuert würden die großen Digitalkonzerne, die vorwiegend aus den USA kommen - wir jedoch profitierten von dem erzielten Steueraufkommen. Die EU hat zukünftige Digitalsteuern zur Finanzierung ihres Corona-Aufbauplans bereits fest eingeplant.

Doch wer trägt diese Steuer? Bei dieser Frage geht es um die Überwälzung, also darum, wer letztendlich durch eine erhobene Steuer belastet wird. Dies wird seit Jahrzehnten diskutiert und aufwendig empirisch untersucht. Die Ergebnisse sind regelmäßig gemischt. Steuererhöhungen belasten Unternehmensgewinne nur anteilig, zum Teil finden Überwälzungen auf Arbeitnehmer und Konsumenten statt. In Ländern, die bereits eine Digitalsteuer eingeführt haben, beobachten wir nun einen viel einfacheren Mechanismus: Die Steuer wird nicht von den Digitalkonzernen getragen, sondern vollständig überwälzt. Dies geschieht ganz transparent, wie die Beispiele Amazon und Google zeigen. Amazon legt die Digitalsteuer auf die Marketplace-Händler um. Google erhöht seine Preise für Werbekunden um die Digitalsteuer und weist sie separat in der Rechnung aus. Beides ist nur wegen der monopolartigen Marktstellung der Konzerne möglich. Am Ende zahlt der Konsument.

Und eine zweite grundlegende Frage stellt sich: Ist es klug, digitale Unternehmen höher zu belasten? Die Idee der Digitalsteuer war, vor allem ausländische digitale Unternehmen höher zu besteuern. Das schlägt grundlegend fehl; denn deren Steuerbelastung wird nicht erhöht. Aufgrund ihrer monopolartigen Stellung ist nicht einmal zu erwarten, dass die durch Überwälzung steigenden Preise zu weniger Absatz in Europa führen werden. Umgekehrt sind bei europäischen Unternehmen AGBs mit Überwälzungen von Digitalsteuern auf Kunden nicht bekannt. Die Marktmacht der europäischen Digitalunternehmen reicht nicht, sodass ihre Gewinnmargen geschmälert werden und ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter sinkt. Der Plan der Belastung der anderen schlägt also fehl.

Besteuerungsrechte verteilen und eine Mindeststeuer: Die G-20-Finanzminister diskutieren zwei Ansatzpunkte

Was wäre eine sinnvolle Alternative? In den nächsten Tagen arbeiten die Finanzminister der G-20-Staaten wieder an einer weltweit abgestimmten Reform der Gewinnbesteuerung. Das Ziel bleibt aus europäischer Sicht vergleichbar mit dem der Digitalsteuer: die höhere Belastung von Digitalkonzernen. Die Vorschläge umfassen die weltweite Neuverteilung von Besteuerungsrechten (die sogenannte Säule 1) und die Einführung einer internationalen Mindestbesteuerung (Säule 2). Doch bei beiden Vorschlägen liegen die Interessen der Nationalstaaten weit auseinander.

Die Neuverteilung der Gewinnbesteuerung rückte in den Fokus, da weltweit Unzufriedenheit mit dem bestehenden System herrscht. Dieses hat seinen Ursprung in der traditionellen globalen Arbeitsteilung, in der entlang der Wertschöpfungskette eine physische Präsenz in den beteiligten Staaten notwendig war und die Besteuerung daran anknüpfte. Absatzstaaten, in denen durch die Digitalisierung keine physische Präsenz eines Unternehmens mehr notwendig ist, gehen in diesem System leer aus - zumindest, was die Gewinnbesteuerung angeht, denn Umsatzsteuern werden gerade dort gezahlt.

Die Säule 2, die globale Mindeststeuer, geht einen Schritt weiter: Wenn eine ausländische Mutter- oder Tochtergesellschaft zu niedrig besteuert wird, ist das Sitzland eines vor- oder nachgelagerten Konzernunternehmens berechtigt, deren Gewinn zusätzlich zu besteuern. Der Fokus auf Digitales oder Konsumenten entfällt. Die Steuer wird nicht zum Bestrafen oder Lenken eingesetzt, sondern soll lediglich ein Mindestmaß an weltweiter Besteuerung sicherstellen. Dabei wird in Kauf genommen, dass sich die ohnehin schon immense Komplexität der weltweiten Steuersysteme noch einmal dramatisch erhöht.

Mithilfe des 137 Staaten umfassenden "Inclusive Framework" der OECD wird versucht, noch bis zum Jahresende Konsens bei beiden Reformideen herzustellen. Die gemeinsame Euphorie wurde gebremst, als die USA Mitte des Jahres die Teilnahme an den Verhandlungen auf Eis legten. Das bedeutet kein finales Nein, doch macht es eine globale Einigung bei beiden Säulen unwahrscheinlicher. Selbst eine politische Neuausrichtung nach den US-Präsidentschaftswahlen dürfte kein grundlegendes Umdenken in den USA bewirken. Denn auch wenn Joe Biden pro-europäischer und stärker global konsensorientiert ist als Amtsinhaber Donald Trump, so stellt auch er amerikanische Interessen in den Vordergrund.

Eine neue Steuer sollte nicht als tech-feindliche Abgabe abgehängter alter Industrienationen ausgestaltet sein

Doch der Druck vieler Staaten, mehr Steuereinnahmen zu generieren, ist durch die Corona-Pandemie deutlich gestiegen. Eine Einigung der mitwirkenden Staaten der OECD-Runde wird durch Corona somit wieder wahrscheinlicher, denn viele der Staaten - mit Ausnahme der USA und kleinerer Steueroasen - sehen sich als mögliche Gewinner der Reform. Dabei werden selbst amerikanische Drohungen in Kauf genommen, auf einseitig US-Tech-Unternehmen belastende Steuern mit massiven Strafzöllen zu reagieren. Die meisten Länder haben bei ihren im Alleingang eingeführten oder geplanten Digitalsteuern klargestellt: Im Falle eines weltweiten Konsenses zur Gewinnbesteuerung schaffen sie die Digitalsteuern wieder ab. Doch auch andersherum gilt: Ohne Einigung werden Digitalsteuern weiterhin wie Pilze aus dem Boden schießen. Zumindest in all den Staaten, die digital nicht führend sind.

Dies ist jedoch zu kritisieren. Wenn zusätzliches Steueraufkommen generiert werden soll - was im derzeitigen Zustand der Wirtschaft alles andere als klug ist - dann auf anderem Wege: Eine höhere oder neue Steuer sollte nicht als tech-feindliche Steuer abgehängter alter Industrienationen ausgestaltet sein, sondern Spiegel eines modernen und nachhaltigen Wirtschaftssystems sein. Sie sollte nicht traditionelle Geschäftsmodelle begünstigen, sondern nachhaltige Innovationen fördern. Sie sollte nicht Digitales behindern, sondern technologischen Fortschritt belohnen.

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