Forum:Die Menschen mitnehmen

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Wir laufen Gefahr, als Wissensgesellschaft zu versagen, und gefährden so unsere Zukunft.

Von Christian P. Illek

Über Deutschlands Zukunft türmen sich erste dunkle Wolken auf. Dabei scheint doch alles eitel Sonnenschein: Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll, die Beschäftigung boomt, und die Nettolöhne sind gestiegen, was neben niedrigen Zinsen den privaten Konsum antreibt. Also alles bestens?

Mitnichten! Sicher, satt und fast träge dümpelt das Land auf den sanften Wogen einer auch im internationalen Vergleich robusten Wirtschaftsleistung. Doch am Horizont zeigen sich schon die ersten Ausläufer des Sturms. Die schwächelnde chinesische Wirtschaft wirft erste Schlagschatten auf die deutsche Konjunktur, nachhaltiger könnte allerdings der Sturm der Digitalisierung unser Land mit seiner disruptiven Kraft durcheinander wirbeln. Und Deutschland ist darauf nur unzureichend vorbereitet.

Was die digitale Leistungsfähigkeit betrifft, belegt Deutschland mit Platz zehn nur einen Mittelplatz unter den 28 EU-Staaten. Und laut einer jüngsten Untersuchung belegt Deutschland beim Index zur digitalen Durchdringung unter den führenden 17 Volkswirtschaften auch nur den 9. Platz, deutlich abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Niederlande und USA. Zwar nutzen gut 80 Prozent der Deutschen das Internet, aber noch mehr wissen nicht, was sich hinter Begriffen, wie "Internet der Dinge" und "Industrie 4.0" verbirgt. Und auch weite Teile des deutschen Mittelstands hinken bei der Digitalisierung bedenklich hinterher. Das ist alarmierend und deutet auf ein Kernproblem in unserem Lande hin: Wir laufen Gefahr, als Wissensgesellschaft zu versagen, und gefährden damit unsere Zukunft und unseren Wohlstand. Digitales Außenseitertum ist Gift für Gesellschaft und Wirtschaft.

Es muss gehandelt werden: Wir müssen nicht nur die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Digitalisierung schaffen, sondern auch die Menschen befähigen, aktiver Teil dieser Veränderung zu sein. Mehr noch: Menschen müssen nicht nur an der Digitalisierung teilhaben, sondern sie sollten auch in der Lage sein, etwas zu den damit verbundenen Wertschöpfungsprozessen beizutragen.

Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für die Humanisierung der Arbeit

Digitale Kompetenz wird nicht nur zur Schlüsselqualifikation für Arbeit, sondern für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben überhaupt. Ohne gehörige Anstrengungen in diesem Bereich wird nämlich das Heer der digitalen Außenseiter anwachsen und in letzter Konsequenz zu ernsten volkswirtschaftlichen Verwerfungen führen. Um das zu verhindern, brauchen wir eine alles umfassende Bildungsoffensive, die vor allem Bildungseinrichtungen und Wirtschaft noch enger verzahnt. Die Ausbildung an unseren Schulen und Universitäten ist nicht mehr zeitgemäß und nicht marktgerecht. Viele Lehrpläne in Deutschland sind veraltet und müssen dringend reformiert werden. Dies muss bei den politischen Gestaltern oberste Priorität haben. Informatikunterricht als Pflichtfach an unseren Schulen wäre zum Beispiel ein Teil des Puzzles. Die Politik muss aber auch bereit sein, die Bildungseinrichtungen mit den nötigen Mitteln zu versorgen und in die Lehrerausbildung zu investieren. Weitere Beispiele ließen sich finden.

Klar ist: Digitale Zukunft zum Nulltarif gibt es nicht. Seien wir ehrlich: Die Digitalisierung wird auch Arbeitsplätze vernichten. Gefährdet sind vor allem Menschen mit geringem Bildungsniveau und Tätigkeiten, welche sich gut durch Maschinen und Technologie ersetzen lassen. Ja, es wird auch neue Arbeit entstehen. Aber wenn wir den Menschen den Eintritt in das digitale Zeitalter nicht ermöglichen, wird hier ein erhebliches Delta bleiben - mit den entsprechenden negativen Folgen für Staat und Gesellschaft.

Blicken wir nach vorn: Die Digitalisierung bietet enorme Chancen für die Humanisierung der Arbeit. Ich rede nicht davon, dass stupide Tätigkeiten wegfallen werden - Skeptiker nehmen ja gerade diese Umwälzung gerne als Beleg für die Entmenschlichung von Arbeit durch die Digitalisierung, obgleich Monotonie und Unterforderung doch nichts mit menschenwürdiger Arbeit zu tun haben.

Ich spreche von der Verbesserung von Arbeitsbedingungen und von Arbeitsqualität. Wir haben die Chance, flexibler und ortsungebundener zu arbeiten, wir können (und müssen) kollaborativer zusammenarbeiten als bisher und können in abteilungsübergreifenden Teams unsere individuellen Fähigkeiten viel besser einbringen. Und: Wir werden Wissen mehr und mehr teilen und damit auch Prozesse in den Unternehmen demokratisieren. Damit werden Unternehmen krisenfester. So genannte Command-&-Control-Kulturen funktionieren nicht mehr, Fehlentwicklungen, die sich zu bedrohlichen Skandalen ausweiten können, werden viel früher transparent und können rechtzeitig korrigiert werden.

Die Neuordnung darf nicht einer kleinen Elite vorbehalten bleiben

Kurzum: Arbeit wird im Ökosystem Digitalisierung neu organisiert. Dabei muss der Mensch in den Mittelpunkt gestellt werden, nicht die Maschine oder der Algorithmus. Maschinen sollten uns dabei helfen, unsere Fähigkeiten zu erweitern.

Diese Neuordnung darf aber nicht einer kleinen digitalen Elite vorbehalten bleiben. Politik und Wirtschaft haben die Pflicht, möglichst viele Menschen auf diese Reise mitzunehmen. Sie müssen den Wandel für die Menschen vorbereiten und begleiten. Die Digitalisierung der Arbeitswelten muss in den Unternehmen ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt werden. Schließlich gilt es, die Beschäftigten in das digitale Zeitalter zu führen.

Vor dieser Transformation habe ich großen Respekt, sind die Voraussetzungen doch von Mensch zu Mensch und Land zu Land unterschiedlich. Zumal viele Unternehmen, auch die Telekom, hier vor einer besonderen Herausforderung stehen: Sie treiben die Digitalisierung voran und müssen gleichzeitig dieses Tempo bei der eigenen Transformation aufnehmen. Wir müssen in den Unternehmen neue Wege gehen, die Mitarbeiter entsprechend schulen, auch länder- und bereichsübergreifend agieren, um Wissen auszutauschen und sie weiterzuentwickeln.

Die Digitalisierung kommt sicher nicht als laues Lüftchen daher, eher als veritabler Sturm. Volkswirtschaften, Unternehmen, aber auch Gewerkschaften, die das nicht erkennen und sich nicht darauf einstellen, werden in schweres Fahrwasser geraten. Und das gilt nicht nur für Deutschland und Europa, sondern für Länder überall auf der Welt.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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