Forum:Afrika in der Krise nicht alleinlassen

Lesezeit: 3 Min.

Der Kontinent braucht Hilfe.

Von Yonas Adeto, Karim El Aynaoui, Thomas Gomart,Paolo Magri, Greg Mills, Karin von Hippel und Guntram Wolff

Covid-19 wird die globale Politik verändern. Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Übertragung sowie die Schwere der Auswirkungen sind, wie wir inzwischen wissen, eine echte Belastung für uns alle. Da sich das Virus schnell durch weltweite Übertragungsketten verbreitet, ist die Beherrschung seiner Auswirkungen untrennbar mit der Verfügbarkeit von Ressourcen und der Qualität staatlicher Institutionen in allen Teilen der Welt verbunden. Aus diesen Gründen darf die Weltgemeinschaft die Auswirkungen von Covid-19 auf die am stärksten gefährdetsten Bevölkerungsgruppen nicht vernachlässigen und muss sich insbesondere auf Afrika fokussieren.

Es ist nur drei Monate her, dass am 31. Dezember 2019 die chinesischen Behörden das Pekinger Büro der Weltgesundheitsorganisation über eine mögliche Epidemie informierten. Innerhalb von 100 Tagen sind nun weltweit drei Milliarden Menschen in ihren Häusern und Wohnungen eingesperrt. Dies ist ein radikaler Ansatz zur Bewältigung einer Gesundheitskrise. Aber was bedeutet dies für Länder ohne medizinische Grundversorgung und mit nur beschränkten staatlichen Mitteln?

Auch wenn gerade alle Nationen vom Virus bedroht sind und darum kämpfen, das Schlimmste zu vermeiden, ist es mehr denn je notwendig, global zu denken und lokal zu handeln, um die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen in der Welt zu schützen. Diese sind nicht nur dem Virus selbst ausgesetzt, sondern auch dessen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Globale Pandemien sind nicht billig. Sie zu bekämpfen, ist teuer, besonders für die Armen.

Zur Erinnerung: Die HIV/Aids-Pandemie hat das Wirtschaftswachstum in Afrika südlich der Sahara schätzungsweise um zwei bis vier Prozent verringert. Die Weltbank schätzt, dass die Ebola-Epidemie von 2014 bis 2016 etwa zwölf Prozent des gemeinsamen BIP der drei am stärksten betroffenen Länder (Guinea, Liberia und Sierra Leone) gekostet hat. Aber nichts ist vergleichbar mit den Auswirkungen von Covid-19. Innerhalb von 14 Tagen hat der damit verbundene Börsencrash neun Billionen US-Dollar an Wert vernichtet. Geringeres globales Wirtschaftswachstum könnte zusätzlich geschätzte zwei Billionen US-Dollar kosten. Der Lockdown der großen Volkswirtschaften droht noch katastrophalere Auswirkungen zu haben. Eine schwere globale Rezession scheint unvermeidlich.

Diese Auswirkungen werden insbesondere in Afrika zu spüren sein, wo die Menschen näher an der Armutsgrenze leben als in anderen Regionen der Welt. Die Menschen dort haben nur wenig Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können. In Afrika lebt die Mehrheit der Armen der Welt. Innerhalb 25 Jahre ging der Anteil der weltweit in Armut lebenden Menschen von 36 Prozent im Jahr 1990 auf zehn Prozent in 2015 zurück, was einem Rückgang von mehr als einer Milliarde Menschen entspricht. Der langsamere Fortschritt Afrikas und das schnelle Bevölkerungswachstum dort haben jedoch dazu geführt, dass die Zahl der Menschen die dort in Armut leben, von 278 Millionen im Jahr 1990 auf 413 Millionen 2015 gestiegen ist. Die Armutsquote in Subsahara-Afrika liegt heute bei über 40 Prozent. Von den 28 ärmsten Ländern der Welt befinden sich 27 in Afrika.

Die Kombination aus anfälliger Infrastruktur, zaghaften Institutionen und schwachen Regierungen ist schon in normalen Zeiten eine gefährliche Mischung. Diese ist auch Ursache von weitverbreiteter informeller Erwerbstätigkeit und einem niedrigen Beschäftigungsniveau, sowie von niedrigen und unstetigen Einkommen. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass 74 Prozent der Afrikaner in ihrer Beschäftigung "gefährdet" sind, das heißt, arbeitslos oder unterbeschäftigt sind, verglichen mit der globalen Benchmark von 45 Prozent. Dies auf einem Kontinent, auf dem Sozialstaaten praktisch nicht existieren. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in Subsahara-Afrika beträgt 1585 US Dollar, was gerade einmal 14 Prozent des weltweiten Durchschnitts entspricht.

In der Pandemie kann diese Kombination aus niedrigem Einkommen und begrenzten staatlichen Mitteln schlimme Folgen haben. Darüber hinaus belasten die Auswirkungen des Ölpreisverfalls, schwache Ernährungssicherheit, die Störung des internationalen Handels und der Wertschöpfungsketten insbesondere in den schnell wachsenden afrikanischen Volkswirtschaften, der plötzliche Stopp der Tourismusströme und der ausländischen Direktinvestitionen sowie die härteren Bedingungen an den Finanzmärkten die afrikanischen Länder zusätzlich.

In einer Zeit, in der viele Länder in der Welt nach innen schauen und sich auf die Bekämpfung der Krankheit konzentrieren, müssen wir darüber nachdenken, wie den weniger gut dastehenden Menschen am besten geholfen werden kann. Best-Practice-Antworten in Afrika müssen in internationaler Zusammenarbeit umgesetzt werden. Dazu gehört es, Notfalleinsatzzentren zu aktivieren, mithilfe von Technologie die Echtzeitverbreitung von Covid-19 zu ermitteln, Mittel zu entwickeln, um die Übertragung zu verlangsamen und stetig zu reduzieren (insbesondere in Hochrisikogruppen), die Spitzenkapazität in den Gesundheitssystemen auszubauen und die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie abzuschwächen. Während der Ebola-Krise hat Afrika gezeigt, wie mit dem richtigen Maß an internationaler Hilfe Pandemien kontrolliert und schließlich ausgelöscht werden können.

Als Gruppe von Forschern aus Europa und Afrika halten wir es für entscheidend, die Augen der Weltgemeinschaft auf die Auswirkungen von Covid-19 in Afrika zu lenken. Diese Krise ist ein Rendezvous von Globalisierung und globaler Armut. Es sollte eine Chance für internationale Zusammenarbeit werden.

Yonas Adeto arbeitet am Institute for Peace and Security Studies an der Universität Addis Abeba, Äthiopien. Karim El Aynaoui ist Präsident des Policy Center for the New South an der Mohammed VI Polytechnic University, Marokko. Thomas Gomart ist Direktor des Institute of International Relations, Frankreich. Paolo Magri arbeitet am International Political Studies in Italien. Greg Mills ist Direktor der Brenthurst Foundation, Südafrika. Karin von Hippel ist Generaldirektorin der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute. Guntram Wolff ist Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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