Folgen der Finanzkrise:Lettland wankt, Schweden bangt

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Skandinavische Banken haben sich in Boomzeiten besonders stark auf dem Baltikum engagiert - nun drohen ihnen Milliardenverluste.

Gunnar Herrmann

Die Krise Lettlands droht zu einem Problem für den Ostseeraum zu werden. In Stockholm befürchtet man, dass eine Abwertung der lettischen Währung Lat zu hohen Verlusten schwedischer Banken und damit zu einem Absturz der schwedischen Krone führen könnte. Die Regierung in Riga versucht seit Monaten eine Abwertung des Lat zu verhindern, dessen Kurs an den Euro gebunden ist. Vergangene Woche hat sich die Krise in dem baltischen Land zugespitzt. Ein Mitglied der polnischen Notenbank warnte davor, die Krise könne sich auch auf andere Länder ausweiten.

Geldautomaten schwedischer Banken gehören in der lettischen Hauptstadt Riga zum Straßenbild. (Foto: Foto: Reuters)

Lettland verhandelt derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU über finanzielle Hilfe. Bereits 2008 hatte Riga einen Notkredit vom IWF bekommen. Menschen und Unternehmen in Lettland sind nach Jahren des Booms hoch verschuldet. Besonders viele Kredite gewährten ihnen schwedische Banken, vor allem die Swedbank und die SEB. Der Zeitung Svenska Dagbladet zufolge hat sich das Kreditvolumen der Swedbank in der Region zwischen 2004 und 2009 mehr als verfünffacht. Das Institut hat demnach im Baltikum gut 22 Milliarden Euro verliehen. Ähnlich hoch ist diese Zahl bei der SEB, der Bank, die zum Einflussbereich der berühmten Unternehmerfamilie Wallenberg gehört.

Schlagartige Abwertung

Viele der Kredite wurden in Euro gewährt. Das war unproblematisch, denn der Wechselkurs der lettischen Währung Lat war bislang an jenen der Gemeinschaftswährung gebunden. Aber nun meinen Beobachter, dass die lettische Regierung eine schlagartige Abwertung der Währung um bis zu 25 Prozent beschließen könnte. Ein schwächerer Lat würde die wirtschaftliche Erholung des Landes zwar vereinfachen. Der Preis für solch einen Schritt jedoch wäre hoch: Die Kreditzinsen, die meist in Euro zu entrichten sind, würden für viele Letten über Nacht dramatisch teurer werden.

Zahlen müssten dann vermutlich auch die schwedischen Banken. Denn sie müssten nach Schätzungen bis zu zehn Prozent ihrer Kredite abschreiben, weil ihre Schuldner schlicht nicht mehr liquide sind. Als nun über eine Abwertung des Lat diskutiert wurde, konnten die Stockholmer Bankenchefs die Besorgnis über die Entwicklung in Lettland direkt an ihren Aktienkursen ablesen. So verlor die Swedbankaktie 23 Prozent.

Geschätzte Verluste: 17 Milliarden Euro

Die schwedische Reichsbank schätzt die zu erwartenden Verluste für alle schwedischen Kreditinstitute auf etwa 17 Milliarden Euro. Wenn es "richtig schlecht" gehe, dann könnten daraus bis zu 30 Milliarden Euro werden, sagte Reichsbankchef Stefan Ingves. Er betonte jedoch, die Verluste seien keinesfalls so groß, dass die Krise im Baltikum zu einer Bedrohung für das schwedische Bankensystem werden könnte. Ingves kritisierte die Banken allerdings dafür, dass sie in der Zeit des Booms Kredite zu leichtfertig vergeben hätten. Ebenso wie andere Finanzexperten in Schweden ist er der Meinung, dass die Geldhäuser auf jeden Fall mit Verlusten im Baltikum rechnen müssen; die Frage sei nur, wann. Ändert sich in Riga der Wechselkurs, geht es vermutlich sehr schnell. Bleibt der Lat stabil, verteilen sich die Verluste über einen längeren Zeitraum.

Bis jetzt versichern die meisten Beteiligten, die Abwertung des Lat sei nichts weiter als ein übles Gerücht. Die lettische Regierung hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie diesen Schritt unbedingt vermeiden will. Auch weil die ersehnte Einführung des Euro wohl erst einmal in weite Ferne rücken würde, will man in Riga nicht an der Währungsschraube drehen. Die Alternative zu einer Korrektur des Wechselkurses ist allerdings ein rigoroses Sparprogramm - und die lettischen Bevölkerung hat bereits in den vergangenen Monaten eine Menge schmerzhafter Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben verkraften müssen.

Schwedens Regierung gibt sich zurückhaltend

Die schwedische Regierung, die zum 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, gibt sich in Sachen Lettland derzeit betont zurückhaltend. Finanzminister Anders Borg weigerte sich bei einer Pressekonferenz am Freitag strikt, irgendwelche Empfehlungen abzugeben. Entscheidungen über Finanzpolitik und Wechselkurs seien allein Sache Lettlands, sagte er. Allerdings machte er deutlich, dass eine Entscheidung fallen muss - und zwar bald. Um die Lage zu stabilisieren, bedürfe es "weiterer Maßnahmen", sagte der schwedische Finanzminister. Und dass es gut wäre, "wenn wir in den nächsten Tagen Fortschritte sehen könnten".

Neben den Banken sind auch andere Branchen in Schweden indirekt von der Baltenkrise betroffen. Denn wegen der Risiken, denen Schwedens Finanzsystem im Osten ausgesetzt ist, ist der Kurs der Krone in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 15 Prozent gefallen. Kostete der Euro vor einem Jahr noch deutlich weniger als 9,50 Kronen, so müssen die Schweden mittlerweile fast elf Kronen dafür hinblättern. Das ist ärgerlich für Leute, die gerne ins Ausland reisen.

Für die stark vom Export abhängige schwedische Industrie hat es jedoch auch Vorteile: Sie kann ihre Produkte nun etwas günstiger auf dem Weltmarkt anbieten. Profitieren können auch Feriengäste aus Euroländern wie zum Beispiel Deutschland: Der Wert ihrer Urlaubskasse ist allein im vergangenen Monat um etwa drei Prozent gestiegen. Und sollte der Lat in dieser Woche tatsächlich abgewertet werden, dann gehen Experten davon aus, dass der Kronen-Kurs vor dem Sommer noch einmal deutlich fällt.

© SZ vom 08.06.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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