Fluktuation in Vorstandsetagen:Chefs auf dem Schleudersitz

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Heute hier, morgen dort: Klebten Deutschlands Vorstände lange Jahre auf ihren Sesseln, wechseln die Chefs heute so häufig wie nie. 2007 wurden doppelt so viele Top-Manager gefeuert.

Markus Balser

Die Fluktuation in Chefetagen erreicht nach dem Urteil von Experten in Deutschland Rekordniveau: So viele deutschsprachige Unternehmen wie noch nie haben 2007 ihre Chefs ausgetauscht.

Chefsessel leer? Der nächste kommt bestimmt. (Foto: Foto: dpa)

Erst am Montag war mit Infineon-Chef Wolfgang Ziebart ein weiterer Konzernchef gestürzt. Bundespräsident Horst Köhler forderte am Dienstag stärkere Kontrollen in Konzernen.

Rasante Verkürzung der Amtszeit

An der Spitze der Post musste Klaus Zumwinkel gehen. Auf dem Platz von Henkel-Chef Ulrich Lehner sitzt nun Kasper Rorsted, und in der Commerzbank hat seit kurzem statt Klaus-Peter Müller Martin Blessing das Sagen.

Klebten Deutschlands Vorstände lange Jahre auf ihren Sesseln, hat sich die Lage in den vergangenen Monaten ins Gegenteil verkehrt. "Wir erleben eine rasante Verkürzung der durchschnittlichen Amtszeit deutscher Vorstandschefs", sagt der Münchner Professor und Corporate-Governance-Experte Manuel René Theisen.

Wechselrate hat sich verdoppelt

In einer am Dienstag veröffentlichten internationalen Studie fand auch die Unternehmensberatung Booz & Company heraus: In Führungsetagen geht es hier zu Lande so turbulent zu wie noch nie. Im vergangenen Jahr gab es in 19,7 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen Wechsel an der Konzernspitze. Damit hat sich die Wechselrate innerhalb eines Jahres verdoppelt. Booz analysiert jährlich die Wechsel von Vorstandsvorsitzenden in den 2500 größten privaten Unternehmen der Welt.

Der kräftige Anstieg liegt zum einen an der höheren Zahl der geplanten und schon seit längerem angekündigten Personalien an der Vorstandsspitze. Deutlich gestiegen sind allerdings auch die Rausschmisse: In 6,3 Prozent der rund 300 untersuchten Firmen im deutschsprachigen Raum zogen Aufsichtsräte die Notbremse und trennten sich vom Vorstandschef, weil sie mit dessen Arbeit unzufrieden waren.

Die Aufsichtsräte sind wachsamer

Der Wert war 2007 damit fast doppelt so hoch wie 2006. Der Sprecher der Geschäftsführung von Booz, Stefen Eikelmann führt den Anstieg auf stärkere Kontrollen in Konzernen zurück. Die Rolle von Aufsichtsräten habe sich gewandelt, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Zeit der Hobbymandate sei vorbei. "Größere Haftungsrisiken führen dazu, dass Aufsichtsräte die Arbeit ihrer Konzernchefs wachsamer verfolgen."

Investoren-Einfluss wächst

Die Wahrscheinlichkeit aus dem Amt gejagt zu werden, ist vor allem in jungen Branchen groß. Auffallend häufig tauschten Unternehmen in den Branchen Telekommunikation (40 Prozent), Industriegüter (30 Prozent) und IT (28 Prozent) ihre Vorstandschefs aus. In den Branchen habe es viele regulatorische Veränderungen gegeben.

Sie befänden sich in einem Umbruch, der häufige Wechsel erkläre, sagt Eikelmann. Nach Einschätzung von Experten lösten kürzere Amtszeiten in Deutschland auch höhere Managergehälter aus. "Zitterprämien für kurze Amtszeiten waren lange nicht eingepreist, weil Vorstände sich jahrelang selbst bei schlechter Leistung halten konnten", sagt Theisen.

Köhler kritisiert Manager

Bundespräsident Horst Köhler hat seine Kritik an überzogenen Managergehältern erneuert. Die Elite der Wirtschaft tauge offenbar für viele nicht mehr als Vorbild. Wenn der Eindruck entstehe, die Manager stopften sich die Taschen voll, dann dürfe man sich auch nicht wundern, wenn das Bild der sozialen Marktwirtschaft für viele zum Zerrbild werde, sagte Köhler bei der Verleihung des Max-Weber-Preises für Wirtschaftsethik in Berlin. Er forderte die Aufsichtsorgane von Unternehmen zum Eingreifen auf, "wenn es an der Kultur der Mäßigung und des Vorbilds mangelt".

Als Mittel gegen den Verfall der Steuermoral empfahl Köhler, das komplizierte deutsche Steuersystem zu vereinfachen. Köhler erinnerte an das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns. "Vertrauen entsteht durch Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Mäßigung und Mut." Diese Tugenden müssten erlernt und gelebt werden durch glaubwürdiges Auftreten und eine Kultur der Mäßigung. Der Bundespräsident fordert von den Managern erneut, sich bei ihren Gehältern zurückhaltend zu zeigen. Das abstrakte Vertrauen in ein Wirtschaftssystem sei verbunden mit dem Vertrauen in seine führenden Akteure.

© SZ vom 28.5.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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