Flugzeugindustrie:Parken auf der Rollbahn

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Produktion des Modells „737“: Der US-Konzern Boeing kann derzeit viele Maschinen nicht liefern. (Foto: Andy Clark/Reuters)

Boeing kann viele Maschinen des Erfolgsmodells "737" nicht fertig bauen. Wichtige Lieferanten kommen mit Aufträgen nicht nach. Dabei brauchen die Airlines dringend neue Flieger.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Der Anflug, vor allem bei schönem Wetter, ist spektakulär: Der Flughafen von Renton im US-Bundesstaat Washington ist ausgesprochen schön gelegen. Er befindet sich am Südufer des Lake Washington, eines lang gezogenen Sees zwischen Seattle und den Bergen des Küstengebirges Cascades. Doch in den letzten Wochen ist ein Problem aufgetaucht: Wo parken nach der Landung?

Der bei Privatpiloten beliebte Flughafen ist in erster Linie Heimat der Endmontagelinie der Boeing 737. Normalerweise bleiben die Jets, nachdem sie zusammengebaut wurden, nur kurz und fliegen dann ein paar Kilometer zum benachbarten Boeing Field, von wo aus sie an die Kunden übergeben werden. Doch mittlerweile ist Renton voll: ein großer Parkplatz wurde schon frei geräumt für die Jets, ein Rollweg umfunktioniert. Und wer in Renton mit einem größeren Flugzeug starten oder landen will, der muss das zwei Stunden vorher ankündigen, damit die Jets am Boden zur Seite geschoben werden können.

Etwa 50 halbfertige Maschinen müssen irgendwo auf dem Gelände abgestellt werden

Was in Renton zu besichtigen ist, ist die größte Produktionskrise seit knapp 20 Jahren. Nach unterschiedlichen Schätzungen muss Boeing ungefähr 50 halb fertige Kurz- und Mittelstreckenjets der 737-Baureihe irgendwo auf dem Werksflughafen abstellen. Hauptverantwortlich sind offenbar vor allem zwei Lieferanten, Spirit Aerosystems und CFM International, beide sind wohl schwer in Verzug. Spirit baut für Boeing in Wichita den Rumpf der 737, CFM liefert die Motoren. Aber auch kleinere Komponenten sollen derzeit häufiger fehlen: Bis sie ankommen, müssen die Maschinen irgendwo abgestellt werden. Die Engpässe betreffen nicht nur zwei, drei Schlüssellieferanten, auch viele kleinere Unternehmen der Branche arbeiten am Rande ihrer Möglichkeiten.

Die Platzknappheit in Renton war zuletzt offenbar derart akut, dass Boeing einige fertige Jets auf den Nachbarflughafen fliegen, dort die Motoren abmontieren und in Renton an die nächsten Flugzeuge schrauben ließ, damit diese vom Hof geschafft werden konnten.

Es ist ein weiteres Kapitel in Sachen Wachstumsschmerzen, unter denen die Luftfahrtindustrie derzeit fast überall leidet. In Europa, vor allem in Deutschland, klagen Industrie und Kunden über Verspätungen, Flugausfälle und fehlende Infrastruktur. Boeing-Rivale Airbus hatte zeitweise rund 100 Maschinen des 737-Konkurrenten A320 neo in Toulouse und Hamburg abgestellt. Die Flugzeuge waren zwar weitgehend fertig, aber die Triebwerkshersteller CFM International und Pratt & Whitney waren auch bei Airbus mit den Lieferungen in Verzug. Die Lage hat sich mittlerweile bei Airbus leicht entspannt, aber immer noch stehen mehrere Dutzend A320neo s herum und binden Kapital.

Fluggesellschaften und Leasingunternehmen weltweit haben rund 11 000 der neuesten A320- und 737-Versionen bestellt und den beiden führenden Flugzeugherstellern auf Jahre hinaus die Produktion abgekauft. Vor allem Airbus drängt seither die eigenen Lieferanten, die Lieferziele zu erhöhen. Airbus will ab Mitte 2019 jeden Monat 60 A320 und A320neo bauen, Boeing erhöht derzeit auf die Rate 57. Beide denken darüber nach, die Produktion noch weiter auszubauen, Airbus auf über 70 Flugzeuge. Doch die Geschäftspartner ziehen nicht mit. CFM International, ein Gemeinschaftsunternehmen von General Electric (GE) und dem französischen Luftfahrtkonzern Safran, hat bereits vor Monaten öffentlich erklärt, dass es die Pläne sehr skeptisch sieht. Und Pratt & Whitney ist derzeit so sehr mit dem Hochlauf und den technischen Schwierigkeiten bei den neuen PW1100-Motoren, die die A320neo antreiben, beschäftigt, dass an weiteres Wachstum vorerst sowieso nicht zu denken ist.

Bei Boeing wecken die Bilder aus Renton Erinnerungen an 1997 - damals parkten schon einmal Dutzende Jets vor den Hangars und mussten in eigens aufgebauten Zelten fertiggestellt werden. Doch damals wurden nur etwa halb so viele Maschinen gebaut wie heute. Die Lösung damals brachte die Entscheidung, die 737-Produktion für einen Monat stillzulegen. Doch diesen Schritt will Boeing unter allen Umständen vermeiden. Auch Airbus hält eisern am Produktionsziel (800 oder mehr Jets im laufenden Jahr) fest. Nun müssen nur noch die Lieferanten mitspielen.

© SZ vom 05.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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