Flughafen-Ausbau in Frankfurt:Ein ganzes Chemiewerk wird verlagert

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Das größte Hindernis für den Bau der Frankfurter Nordwestlandebahn wird aus dem Weg geräumt: Das Chemiewerk Ticona. Als Entschädigung zahlt Fraport 650 Millionen Euro.

Sibylle Haas und Christoph Hickmann

Die Summe von 650 Millionen Euro als Entschädigung für die Betriebsverlegung des Ticona-Werks sei eine "anspruchsvolle Herausforderung" für sein Unternehmen, sagte der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Wilhelm Bender. Sie sei aber auf Grund betriebswirtschaftlicher Gutachten gerechtfertigt.

Das Chemiewerk Ticona liegt in der zukünftigen Einflugschneise des Flughafens Frankfurt. (Foto: Foto: dpa)

Durch die Einigung werde die Nordwestlandebahn nun 2011 in Betrieb genommen, der erste Bauabschnitt des geplanten dritten Terminals, der 60 Prozent der Gesamtmaßnahme ausmache, stehe bis 2014. Die Verträge würden in den nächsten Monaten ausgehandelt und der Fraport-Hauptversammlung Ende Mai 2007 vorgelegt.

Chemiewerk in der Einflugschneise

Der Frankfurter Flughafen ist der größte in Deutschland und stößt nach Angaben Benders an seine Kapazitätsgrenze. Das Ticona-Werk in Kelsterbach ist in direkter Nähe zum Flughafen. Durch den Bau der neuen Landebahn hätte es mitten in der Einflugschneise gelegen.

Das Werk stellt Kunststoffe unter anderem für die Automobilindustrie her. Die Störfallkommission des Bundes hatte die Bahn als unvereinbar mit dem Chemiewerk bezeichnet. Die EU-Kommission sah einen möglichen Verstoß gegen europäisches Umweltrecht. Auch Ticona wehrte sich gegen den Ausbau.

"Das ist nicht nur ein Schritt, das ist ein Meilenstein in die richtige Richtung", sagte der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Es sei "trotz aller rechtlichen Argumente besser, sich auf dem unternehmerischen Wege zu einigen", so Koch. Er hatte sich für den Bau der Nordwestbahn stark gemacht und auch damit gedroht, Ticona zu enteignen und das Werk zu schließen.

Festgelegt auf eine Ausbauvariante

Man könne nun "erleichtert sein, das die beiden Unternehmen einen Weg gefunden haben", sagte Koch. Die Fraktionen von SPD und Grünen im hessischen Landtag warfen Koch vor, sich sehr früh auf die Nordwestbahn als Ausbauvariante festgelegt und "das Sicherheitsrisiko Ticona" zunächst ignoriert zu haben.

Dafür zahlten nun die Ticona-Mitarbeiter die Zeche, sagte SPD-Fraktionschef Jürgen Walter. Wenn das Werk in ein anderes Bundesland verlagert werde, sei das ein schwerer Schlag für den Standort Hessen. "Kochs Fehler kostet Arbeitsplätze und 650 Millionen Euro", sagte Frank Kaufmann (Grüne). Koch versicherte, es seien keine Arbeitsplätze in Gefahr.

Das Land Hessen ist mit 31,68 Prozent größter Einzelaktionär, gefolgt von der Stadt Frankfurt (20,23 Prozent), der Lufthansa (9,99 Prozent), dem Bund (6,56 Prozent) und zwei Finanzinstituten, der Rest ist im Streubesitz. Die im MDax gelistete Fraport-Aktie reagierte mit Kursabschlägen auf die Nachricht.

Fraport-Chef Bender rechtfertigte den Betrag von 650 Millionen Euro. Die Übereinkunft verhindere wesentliche zeitliche Verzögerungen, sagte Bender. Sie schaffe "mehr Rechtssicherheit und ist für Fraport verantwortbarer und letztlich auch preiswerter als das Risiko jahrelanger Auseinandersetzungen".

Fraport kauft Areal

Die Entschädigung für Ticona werde gestaffelt in fünf Raten bis 2011 gezahlt, sagte Bender. Der Betrag werde bilanziell aktiviert und sei damit nicht ergebniswirksam. Ein Teil der 650 Millionen Euro sei bereits als Kosten für die Beseitigung von Hindernissen auf dem Ticona-Gelände einkalkuliert gewesen, so Bender weiter. Außerdem erhalte Fraport das gesamte Areal.

Von 2012 an rechne Fraport mit einer jährlichen Ergebnisbelastung vor Steuern von etwa 40 Millionen Euro. Der Vorstandsvorsitzende der Celanese AG, Andreas Pohlmann, kommentierte die Einigung mit den Worten: "Eine Fortführung der bestehenden rechtlichen Auseinandersetzungen und deren Eskalation ist aus unternehmerischer Sicht höchst problematisch".

Fraport übernimmt nach eigenen und nach Angaben von Ticona die Kosten für die Verlagerung sämtlicher Geschäftsaktivitäten, einschließlich der Neuerrichtung der Produktionsanlagen. Das Ticona-Werk beschäftigt derzeit 900 Menschen.

Beschäftigungsgesellschaft für die Arbeiter

Fraport will sämtliche Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz aufgrund der Verlagerung entfällt, in eine Beschäftigungsgesellschaft übernehmen, an der auch das Land Hessen beteiligt werden soll. Über die Zahl der betroffenen Mitarbeiter wurden keine Angaben gemacht. Unklar ist auch, wo das neue Werk seinen Sitz haben wird.

"Wir hoffen, dass der neue Standort der Industriepark Höchst oder Griesheim sein wird", sagte die Bezirksleiterin der Chemiegewerkschaft IGBCE, Gertraud Lauber. Nach Branchenkreisen ist auch der ostdeutsche Industriestandort Leuna im Gespräch. Derzeit werde daran gearbeitet, einen Standort innerhalb Deutschlands zu finden, betonte Ticona/Celanese.

© SZ vom 30.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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