Flüchtlinge:Gekommen, um zu bleiben

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Drei Jahre nach dem Höhepunkt der Migrationswelle hat die Wirtschaft dazugelernt. Nur: Der Fachkräftemangel ist bisher nicht behoben.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Von Somalia nach Baden-Württemberg: Ein junger Geflüchteter macht ein Praktikum bei einem mittelständischen Unternehmen. (Foto: Christoph Schmidt/dpa)

Gunnar Redmer arbeitet neuerdings im Zweischichtbetrieb. Ein Hotel und ein Restaurant betreiben er und seine Frau in Röbel an der Müritz, einer Ferienregion in Mecklenburg-Vorpommern. Seit einigen Wochen kümmert Redmer sich nun sehr früh morgens ums Frühstück, abends steht er dann als Kellner im Restaurant. Der Grund: Seit Mitte Juli fehlen ihm zwei Mitarbeiter. Die Ausländerbehörde hat einem ukrainischen Ehepaar, das 2015 wegen des Ukraine-Konflikts mit seinen drei Kindern aus der Region Donezk geflohen war und schon kurz danach bei Redmer anfing, die Arbeitserlaubnis entzogen.

Der Hotelier spricht von fehlenden Geburtsurkunden, abgelehnten Asylanträgen und 1500 gesammelten Unterschriften gegen eine Abschiebung. Und darüber, dass die beiden nächstes Jahr ihren IHK-Abschluss im Hotel- und Restaurantfach gemacht hätten. "Die wären dann Facharbeiter gewesen." Warum eine Familie, die ihren Lebensunterhalt selbst bestritten und nicht mal Kindergeld bekommen hat, in die Grundsicherung gezwungen und mit Abschiebung bedroht wird, versteht Redmer nicht. Die Familie sei integriert, spreche gut Deutsch, die Kinder seien gut in der Schule. Seine Hoffnung und die Akte liegen jetzt bei der Härtefallkommission.

Auch Marlene Thiele kann Geschichten darüber erzählen, wie es manchmal hakt bei der Integration. Sie ist Projektleiterin des Anfang 2016 gegründeten Netzwerks "Unternehmen integrieren Flüchtlinge", ins Leben gerufen vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Am Anfang waren 300 Unternehmen dabei, heute sind es 1800. Der Wissensstand rund um Aufenthaltsrecht und Fördermöglichkeiten sei inzwischen in vielen Betrieben "unglaublich". Ein Problemthema bleibe die Sprache, oft gebe es zu wenig berufsspezifische und berufsbegleitende Sprachkurse. "Auch behördliche Fragen kosten viel Kraft", sagt Thiele. In kleinen Firmen sei oft der Chef der direkte Ansprechpartner, wenn es um Beschäftigungs- und Aufenthaltserlaubnis gehe. Auch Nachhilfe werde organisiert, manchmal suche die gesamte Belegschaft nach einer Wohnung für die geflüchteten Kollegen.

Wer eine Ausbildung macht, wird nicht abgeschoben. Zumindest nicht in der Theorie

Ein wichtiges Instrument für die Unternehmen ist Thieles Erfahrung nach die neu geregelte Ausbildungsduldung. Wer einen Ausbildungsvertrag hat, darf auch nach einem abgelehnten Asylantrag für die Dauer der Ausbildung plus zwei weitere Berufsjahre bleiben. Eigentlich. Allerdings gehen die Länder offenbar sehr unterschiedlich mit dieser Regel um. "Besonders schwierig ist es in Bayern", sagt Thiele. Da werde mit dem ablehnenden Asylbescheid gleich eine Vorladung mitgeschickt - durch die dann die Abschiebung als eingeleitet gilt. Dann aber erlischt das Recht auf Ausbildungsduldung.

Als 2015 die Flüchtlingswelle kam, gab es in der Wirtschaft viele Optimisten. Angesichts des Fachkräftemangels sahen nicht wenige ein großes Potenzial in den Menschen, die nach Deutschland strömten. Doch die Integration erwies sich als zäh. Im März bezogen noch immer gut 986 000 Flüchtlinge aus den acht maßgeblichen Asylherkunftsländern außerhalb Europas - Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien - Hartz-IV-Leistungen. Als arbeitssuchend verzeichnete die Bundesagentur für Arbeit im Juni knapp eine halbe Million Flüchtlinge.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: So hatten im April fast 297 000 Flüchtlinge aus diesen Ländern Arbeit, vor einem Jahr waren es nur gut 143 000 gewesen, noch ein Jahr zuvor sogar nur etwas mehr als 96 000. Von den Flüchtlingen mit Job sind heute 230 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 67 000 geringfügig. In anderen Migrantengruppen sind die Relationen noch besser, so stehen knapp 26 000 Ukrainern in der Grundsicherung gut doppelt so viele Beschäftigte gegenüber.

Die Unternehmen fordern eine Aufenthaltserlaubnis aus Erwerbsgründen

Im Bereich des DIHK bilden derzeit 14 Prozent der Ausbildungsbetriebe Flüchtlinge aus, weitere 16 Prozent wollen in den nächsten zwei Jahren damit beginnen. 20 000 Flüchtlinge machen aktuell eine IHK-Ausbildung. Im Handwerk, das stets auf seine "jahrzehntelange Erfahrung mit Integration" hinweist, sieht es ähnlich aus. Ende vergangenen Jahres machten dort gut 11 000 Flüchtlinge eine Ausbildung, mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Dazu kommen zahlreiche Praktika, berufsvorbereitende Lehrgänge und Helferjobs, außerdem arbeiten nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) inzwischen auch fertig ausgebildete Flüchtlinge als Fachkräfte in den Betrieben. "Auch wenn es sicher noch nicht die ganz großen Zahlen sind, kann man an der Entwicklung der letzten Jahre aber schon sehen, dass wir deutliche Erfolge dabei erzielt haben, dass Flüchtlinge eine Ausbildung im Handwerk machen", sagt ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. "Wichtig und gesellschaftlich geboten" sei der Integrationsprozess. Die Umsetzung aber bleibe "komplex" und erfordere "von allen Beteiligten einen langen Atem".

Das zeigen schon die Beschäftigungsquoten: Insgesamt haben derzeit, trotz aller Erfolge, nur gut 26 Prozent der Flüchtlinge aus den acht maßgeblichen Asylherkunftsländern eine Beschäftigung; unter allen Ausländern sind es dagegen 49 Prozent, unter den Deutschen 68 Prozent. "Viele Unternehmen engagieren sich sehr bei der Integration von Flüchtlingen", sagt DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Am besten sei es, wenn das über eine betriebliche Ausbildung gelingt. Dafür aber bräuchten die Betriebe Rechtssicherheit - und leider machten Unternehmen "immer wieder frustrierende Erfahrungen", weil die Ausbildungsduldung regional sehr unterschiedlich ausgelegt werde. Auch Wollseifer vom Handwerk verlangt eine einheitliche Anwendung und spricht von Steinen, die Betrieben in den Weg gelegt würden.

Thiele von der Flüchtlingsinitiative der Wirtschaft weist noch auf etwas anderes hin. In vielen Gegenden herrsche nicht bloß Fachkräfte-, sondern Arbeitskräftemangel. Selbst Helfer seien in Süddeutschland mitunter schwer zu finden, Flüchtlinge daher vielen als Arbeitskräfte willkommen. Die Abschiebung kann ihnen aber dennoch drohen. Ein Wunsch der Wirtschaft sei es deshalb, sagt Thiele, dass der Wechsel vom Asylsystem in Richtung einer Aufenthaltserlaubnis aus Erwerbsgründen einfacher wird.

Ob dieser "Spurwechsel" Teil des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes sein wird, das Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben und an dem Innen-, Arbeits- und Wirtschaftsministerium derzeit arbeiten, ist fraglich. Mit Blick auf den Fachkräftemangel setzt die Wirtschaft dennoch einige Hoffnungen in eine Neuregelung der Erwerbsmigration. Vielleicht wäre das dann auch was für den Röbeler Hotelier Redmer und seine Leute.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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