Flatrate:Volle Pulle

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Flatrates sind populär, nun auch bei Strom- und Heizkosten. Ökologisch ist das Modell nur, wenn erneuerbare Energien genutzt werden. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Bisher wurden Strom und Heizung nach Verbrauch abgerechnet. Jetzt bieten immer mehr Vermieter Pauschalen an. Das klingt sinnvoll - kann aber auch zur Energieverschwendung verleiten.

Von Ralph Diermann

Die Heizkörper bis zum Anschlag aufdrehen, wenn es draußen bitterkalt wird - und dafür eine saftige Nebenkosten-Nachzahlung in Kauf nehmen? Oder die Heizung doch besser auf Sparflamme laufen lassen und dafür einen dickeren Pullover anziehen? Was ist das kleinere Übel, frösteln oder zahlen? Fragen, die sich viele Haushalte jeden eisigen Wintertag aufs Neue stellen müssen. Nicht jedoch die sechs Parteien, die vor einigen Monaten eine Wohnung in einem neuen Mehrparteienhaus der Wilhelmshavener Wohnungsbaugenossenschaft Spar + Bau bezogen haben: Die Heizenergie und auch den Strom, den sie verbrauchen, bezahlen sie pauschal mit ihrer Miete, unabhängig von ihrem Verbrauch.

Unbegrenzter Musik- und Seriengenuss auf Streaming-Plattformen, mobiles Telefonieren ohne Limit - Flatrates sind populär. Nun hat auch die Immobilienbranche dieses Prinzip entdeckt: Einige Wohnungsbaugesellschaften, meist Genossenschaften, erheben jetzt Pauschalmieten, die Wärme- und mitunter auch Strom-Flatrates enthalten. Die Haushalte können kräftig einheizen, ihre Geschirrspüler laufen lassen und Wäsche waschen, ohne an Heizkosten und Stromrechnung denken zu müssen. Von einem breiten Trend will Ingrid Vogler, Leiterin des Referats Energie und Technik beim Immobilienverband GdW, zwar nicht sprechen. "Aber wir beobachten, dass sich mehr und mehr Unternehmen der Wohnungswirtschaft mit diesem Konzept beschäftigen", sagt Vogler.

Das Modell scheint aus der Zeit gefallen zu sein, wo doch angesichts des Klimawandels eigentlich Energiesparen angesagt ist. Timo Leukefeld, der als externer Experte das Energiekonzept für das Haus in Wilhelmshaven entworfen hat, sieht hier aber keinen Widerspruch. "Lieber intelligent verschwenden als dumm sparen", so beschreibt der Ingenieur seinen Ansatz.

Das Modell funktioniert, weil die Sonne den Großteil der Energie liefert

Einen Freibrief kann die Genossenschaft ihren Mietern vor allem deshalb ausstellen, weil Leukefeld die Sonne zur zentralen Energiequelle des Hauses gemacht hat. Dach und Teile der Fassade sind großflächig mit Solarthermie-Kollektoren und Photovoltaik-Modulen belegt. Ein gut isolierter, neun Meter hoher Wassertank im Innern des Hauses kann die Sonnenwärme aus den Kollektoren über Wochen hinweg speichern. Und eine Batterie mit fünfzig Kilowattstunden Speicherkapazität macht es möglich, den tagsüber produzierten Solarstrom abends und nachts zu nutzen. Der Strom fließt auch in die Elektroauto-Ladestation, die der Vermieter installiert hat. Bewohner können dort kostenlos laden.

Einen Schönheitswettbewerb würde das Gebäude mit den vielen Solarpaneelen auf Dach und Fassade wohl nicht gewinnen - der Preis dafür, dass der Wärme- und Strombedarf der Bewohner über das ganze Jahr betrachtet zu je siebzig Prozent durch die Sonne gedeckt wird. Die verbleibende Strommenge wird zugekauft, die restliche Wärme liefert ein Gaskessel. Viel Erdgas ist dafür nicht nötig, weil der energetische Standard der Gebäudehülle sehr hoch ist. Insgesamt 10,50 Euro pro Quadratmeter zahlen die Bewohner für das Paket aus Kaltmiete, Energie und den übrigen Nebenkosten. Mit einer verbrauchsabhängigen Abrechnung der Wärme und einem separaten Stromvertrag würden viele Mieter wohl günstiger fahren. Dafür gewinnen sie aber an Lebensqualität, sagt Leukefeld. "Die Mieter können ihre Wohnung jederzeit auf 23 Grad aufheizen, ihre Elektrogeräte nach Belieben nutzen und mit ihrem Elektroauto fahren, ohne sich über ihre Energiekosten Gedanken machen zu müssen", erklärt er. Da die Höhe der Pauschalmiete für zehn Jahre festgeschrieben ist, sind sie zudem vor steigenden Energiepreisen - und auch vor einer Erhöhung der Kaltmiete - geschützt.

Verbandsexpertin Vogler kann dem Konzept einiges abgewinnen. "Eine Pauschalmiete ist durchaus ein interessantes Modell", erklärt sie. Allerdings eignen sich dafür ihrer Einschätzung nach nur Gebäude mit einem sehr guten Wärmeschutz - Neubauten nach dem KfW-55-Standard und besser oder gut sanierte Bestandsgebäude. "Je energieeffizienter die Immobilie ist, desto geringer ist die Gefahr, dass Bewohner das Modell ausnutzen", sagt Vogler. Die Wilhelmshavener Genossenschaft mag sich darauf allerdings nicht verlassen - sie schützt sich mit einer Obergrenze für den Energieverbrauch. "Die Grenze ist äußerst großzügig bemessen. Man müsste schon mit fünf alten Kühltruhen und einer Cannabiszucht mit Wärmelampen einziehen, um sie zu erreichen", sagt Leukefeld. Auf den Einbau teurer Strom- und Wärmezähler für die einzelnen Wohnungen, die einen Missbrauch anzeigen könnten, hat die Genossenschaft deshalb erst einmal verzichtet. Nur wenn die den Gesamtverbrauch erfassenden zentralen Messgeräte extrem hohe Werte anzeigen sollten, würden Einzelzähler nachgerüstet.

Auch Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund hält das Modell grundsätzlich für interessant. "Ob es sich für Mieter lohnt, hängt aber immer von der konkreten Ausgestaltung der Pauschale ab", erklärt er. Aber ist eine individuelle Abrechnung nicht fairer, da sie sparsam heizende Haushalte belohnt? "Es gibt gute Gründe, die Gerechtigkeit von Einzelabrechnungen in Frage zu stellen", sagt Ropertz. Zum einen dürfe ohnehin nur ein Teil der Energiekosten verbrauchsabhängig abgerechnet werden. Zudem gebe es in Mehrfamilienhäusern immer Wohnungen, die baulich bedingt mehr Energie benötigen - Eckwohnungen mit mehreren Außenwänden zum Beispiel. "Nicht zu vergessen ist, dass die Energiekosten auch vom Heizverhalten des Haushalts unter der eigenen Wohnung abhängen, da Wärme immer nach oben steigt", so Ropertz. Bei einer Pauschalmiete ist all das kein Thema mehr.

Auch für Wohnungsunternehmen hat die Pauschalmiete einige Vorteile: Sie locken damit solvente Mieter, die bereit sind, für Komfort und Kostensicherheit etwas mehr zu bezahlen. Da die Preisgestaltung des Pakets für die Mieter intransparent ist, entziehen sich die Vermieter einem Marktvergleich. Zudem erzielen sie mit dem Einbeziehen der Stromversorgung in das Modell zusätzliche Umsätze, die normalerweise in die Taschen der Versorger fließen. Und nicht zuletzt fällt für sie der Aufwand für die Heizkostenabrechnung weg. Davon profitieren auch die Mieter, da die Kosten für das Ablesen der Werte durch einen Dienstleister und auch der Zähler selbst auf die Nebenkosten umgelegt werden. "Bei energieeffizienten Gebäuden ist das insofern ein großer Vorteil, als dass die Messkosten umso stärker ins Gewicht fallen, je geringer der Energiebedarf ist", sagt Vogler.

Ist das auch erlaubt? Da bewegen sich Vermieter in einer Grauzone

Allerdings bewegen sich die Wohnungsbaugesellschaften mit der Energieflat rechtlich auf unsicherem Terrain. Nicht was die Heizwärme betrifft - die Heizkostenverordnung erlaubt ausdrücklich, auf die individuelle Abrechnung zu verzichten, wenn ein Gebäude nach dem Passivhaus-Standard errichtet wurde oder wenn die Wärme überwiegend aus erneuerbaren Quellen gewonnen wird, etwa mit einer Solarthermie-Anlage oder einer Wärmepumpe. Beim Strom dagegen fehlt es an einer eindeutigen Rechtsgrundlage. Die Wilhelmshavener Genossenschaft deklariert die Stromversorgung daher im Mietvertrag zu einer Nebenleistung, wie beispielsweise die Bereitstellung eines Fahrradschuppens. Der Strom wird damit weder verkauft noch verschenkt, sondern ist Teil der Mietvereinbarung. Vogler sieht hier die Politik in der Pflicht, rechtliche Klarheit zu schaffen. "Wo die Strom- und die Wärmelieferung gemeinsam erfolgen, sollten sie auch mietrechtlich als Einheit behandelt werden. Das würde die Anwendung dieses Modells deutlich vereinfachen", erklärt die GdW-Expertin.

Etwa 25 Flatrate-Projekte in ganz Deutschland hat Leukefeld derzeit in der Planung. Eine Handvoll davon, so der Experte, wollen Wohnungsbaugesellschaften zusammen mit Energieversorgern umsetzen. Sie nehmen den Vermietern alle Aufgaben rund um die Energie-Flatrate ab: Die Versorger gewährleisten den Wohnungsbaugesellschaften, dass sie ihnen zehn oder mehr Jahre lang die nötige Energiemenge zu einem konstanten Preis liefern. "Damit binden sie die Kunden über einen langen Zeitraum und können zudem lukrative Zusatzgeschäfte machen - die Wärme- und Stromspeicher für die Stabilisierung ihrer Netze nutzen zum Beispiel, die überschüssige Energie aus den Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen der Gebäude in der Nachbarschaft vermarkten oder den Mietern Elektromobilität anbieten", sagt Leukefeld. "Das gibt ihnen viel mehr Gewinnmöglichkeiten als nur der Verkauf von Kilowattstunden Strom und Gas."

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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