Finanzpolitik:Ach, Euro

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Installation des italienischen Künstlers Maupal in Rom: Die Regierung tut sich schwer damit, die Schuldenregeln aus Brüssel einzuhalten. Nun werden sie gelockert. (Foto: Filippo Monteforte/AFP)

Frankreich kann sich mit seinen Reformvorschlägen kaum durchsetzen. Der Frust in Paris ist groß - über Olaf Scholz und noch ein paar andere Hanseaten.

Von Cerstin Gammelin und Alexander Mühlauer, Berlin/Brüssel

Olaf Scholz arbeitet gern mit Fotos. Auf Twitter kann man verfolgen, mit wem sich der Bundesfinanzminister trifft. Vergangene Woche etwa, da war @WBHoekstra zu Gast im @BMF_Bund. Auf dem Foto stehen drei Fahnen in einer Ecke, die zwei Minister davor - und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass da etwas nicht ganz zusammenpasst: Der niederländische Finanzminister ist ein schlaksiger Zwei-Meter-Mann, der aus Deutschland zwei Köpfe kleiner. Man habe über die Stärkung der Euro-Zone und die Reformen des Europäischen Stabilitätsmechanismus geredet, ist zu lesen. Ein Link führt direkt ins niederländische Finanzministerium, zu einer Erklärung der "Hanseatischen Liga".

An diesem Punkt wird deutlich, dass es in der Euro-Zone nicht nur optische Auffälligkeiten gibt, sondern handfeste inhaltliche Differenzen. Sogar unter Hanseaten. Scholz, der gerne auf seine Erfahrung als ehemaliger Hamburger Bürgermeister verweist, bekommt zurzeit heftigen Gegenwind aus dem Norden. Hoekstra, unter Europas Finanzministern so etwas wie der Anführer der "Hanseatischen Liga", lehnt viele der deutsch-französischen Reformvorschläge für die Euro-Zone ab. Zusammen mit sieben anderen nordischen Staaten haben sich die Niederlande verbündet. Sie alle fürchten, dass Deutschland sich von Frankreich zu sehr in Richtung Transferunion treiben lässt. Kein Wunder also, dass Hoekstra vehement gegen das von Paris und Berlin vorgeschlagene Euro-Zonen-Budget ist. "Mein Maßstab sind die Interessen der niederländischen Bürger, und ich sehe nicht, was sie davon haben sollten", sagt er. Sätze wie diese sorgen vor allem in Paris für Argwohn.

Wie groß der Missmut bei Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire ist, davon konnte sich Hoekstra vergangene Woche bei einem Besuch in Paris überzeugen. Der Franzose, von der Körpergröße zumindest auf Augenhöhe mit dem Holländer, erhob schwere Vorwürfe: "Geschlossene Klubs" wie die "Hanseatische Liga" würden die Einheit Europas gefährden, sagte er. Auf den Einwand, dass die Achse Berlin-Paris im Grunde auch ein spezieller Klub sei, entgegnete Le Maire, dass die deutsch-französische Zusammenarbeit "das Herz" des europäischen Projekts sei.

Der Schlagabtausch, über den die Financial Times zuerst berichtete, zeigt, wie groß der Frust in Paris ist: EU-Diplomaten sehen in Le Maires harscher Kritik an den Hanseaten vor allem ein Ventil für seinen Missmut über Deutschland. Denn abgesehen vom jüngsten Vorschlag eines Euro-Zonen-Budgets, das in der Währungsunion derzeit nicht mehrheitsfähig ist, bleibt Berlin hart, wenn es darum geht, Reformen voranzutreiben. Insbesondere bei der Vollendung der Bankenunion, zu der auch eine europäische Einlagensicherung für Sparguthaben zählt, blockiert Scholz. In Brüssel sprechen hochrangige EU-Beamte schon länger davon, dass diese "unter künstlicher Beatmung" stehe; wie es aussieht, hat Berlin nun den Stecker gezogen.

Wenn sich die Euro-Finanzminister am kommenden Montag treffen, um das Reformpaket für die Währungsunion abzustimmen, wird wohl nur von einem weiteren Fahrplan auf dem Weg zur Vollendung der Bankenunion die Rede sein. Beschlossen werden dürften lediglich eine Letztabsicherung für den Bankenabwicklungsfonds sowie eine Stärkung des Euro-Rettungsfonds ESM.

Die Minister werden den Staats- und Regierungschefs für ihren Gipfel Mitte Dezember also wohl nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zur Beschlussfassung vorlegen können - was aus Sicht der Franzosen vor allem an den Deutschen liegt, die weiter auf maximale Risikominimierung setzen, bevor überhaupt etwas vergemeinschaftet wird. Wie in Den Haag, so werden auch in Berlin Le Maires Einlassungen immer kritischer gesehen. In Paris wiederum attackiert man die Bundesregierung mittlerweile ohne große Zurückhaltung.

Scholz kaschiert seine Zögerlichkeit mit dem Verweis auf das angeblich Machbare. Er wolle keine großen europäischen Reformen ankündigen, sagt er, sondern dafür sorgen, dass das Machbare umgesetzt werde. "Ich versuche, Dauerbrenner von einer Phase des Darüberredens in eine Realisierung zu bringen", erklärte Scholz am Montagabend. Er wolle "statt Vorträge Erträge bieten".

Scholz hatte eingeladen in sein Ministerium zu einer Debatte mit dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze. Der geht hart mit der deutschen Regierung ins Gericht, sie habe mit ihrer national ausgerichteten Krisenpolitik dazu beigetragen, dass die Staaten in der Euro-Zone auseinanderdriften. Tooze spricht aus, was viele in der Euro-Zone denken: "Deutschland drückt seine Verantwortung weg", sagt er. "Die Deutschen reden aus der Binnensicht. Nicht aus der Sicht der Euro-Zone".

Scholz bemüht sich, zu deeskalieren. Er lobt seine eigene Unaufgeregtheit. Man müsse "nicht bestimmte Inszenierungen vorantreiben". Was sich auf die Streitigkeiten seines Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble mit Schuldnerländern wie Griechenland bezogen haben dürfte. Tooze aber lässt das Eigenlob nicht so stehen: "Es gibt eine große Enttäuschung in großen Teilen Europas über das Ausbleiben einer großen Antwort aus Berlin", sagt er. Warum habe Berlin nicht geantwortet? "Die Enttäuschung darüber ist sehr real und sehr ernst. Es ist eine vertane historische Gelegenheit". In Brüssel warnen nicht wenige EU-Diplomaten davor, dass sich diese Uneinigkeit zwischen Deutschland, Frankreich und den Nord-Staaten noch rächen dürfte - spätestens in der nächsten Krise, die aus Italien kommen könnte.

In Paris wartet man unterdessen noch immer auf die ein oder andere deutsche Antwort. Die Hoffnung, dass der Sozialdemokrat Scholz im Sinne Europas großzügiger agieren würde als der Christdemokrat Schäuble, hat sich nicht erfüllt. Am Ende bleibt vor allem ein Satz von Scholz hängen: "Ein deutscher Finanzminister bleibt ein deutscher Finanzminister."

© SZ vom 28.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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