Finanzinvestoren:Black Power

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Forsch und voller Energie: Die Risiko-Kapitalgeberin Arlan Hamilton investiert vor allem in Start-ups von Minderheiten. (Foto: Unlimited Style Real Estate Photography)

Der typische US-Wagniskapitalgeber ist männlich, weiß, heterosexuell - und damit das genaue Gegenteil der kalifornischen Investorin Arlan Hamilton.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Am Abend des 2. November 2012 stand Arlan Hamilton auf einer gewaltigen Musikbühne am Strand von Abu Dhabi und schaute bewegt den 50 000 jungen Menschen zu, die ausgelassen im bunten Scheinwerferlicht tanzten. Die laue Nacht, das Meer, die Band, die Soul-Klänge - und sie, die junge Tourmanagerin, die man für ihre Reisen um die Welt noch bezahlte, mittendrin. Arlan Hamilton war angekommen, wo sie immer hingewollt hatte.

Dachte sie.

Dreieinhalb Jahre später sitzt Hamilton im neuen, eigenen Büro vor den Toren von Los Angeles und muss lachen. "So kann man sich täuschen", sagt sie und blickt auf die frisch gestrichene, lavendelfarbene Wand. Dass ihr Herz immer noch an der Musik hängt, zeigt der Name, den sie ihrer Firma gegeben hat: Backstage Capital. Doch davon abgesehen hat ihre alte Welt mit der neuen nur noch wenig zu tun.

Hamilton ist heute Wagniskapitalgeberin, Venture Capitalist (VC), wie man im Englischen sagt. Sie sammelt von vermögenden Privatanlegern Geld ein und unterstützt damit Firmengründer - allen voran Frauen, Afroamerikaner, Latinos und andere "unterrepräsentierte Überflieger", die bisher kaum Zugang zu Investoren hatten. Kein Musiker, keine noch so überragende Band hat die 35-Jährige je so fasziniert wie die Welt der Gründer und Erfinder, in die sie kurz nach jenem November-Konzert 2012 erstmals eingetaucht war.

Auf die Idee gebracht hatten sie ausgerechnet Popstars wie Madonna und Justin Bieber, deren Tun und Lassen sie als Tourmanagerin aufmerksam verfolgte. "Irgendwann habe ich festgestellt, dass viele Musiker einen Teil ihres Geldes im Silicon Valley investieren - sicher auch, um junge Menschen zu unterstützen, vor allem aber wohl, weil sie eines Tages erzählen möchten, dass die das nächste Airbnb oder Uber entdeckt haben", erzählt Hamilton. Je mehr sich die junge Frau mit der Materie beschäftigte, desto begeisterter wurde sie. Monatelang schloss sie sich zu Hause ein, las Bücher, Aufsätze und Blogs, schaute Interviews, Fachsendungen und Magazine, sprach mit Gründern und Geldgebern. Bis sie im November vergangenen Jahres Backstage Capital aus der Taufe hob.

Nicht einmal zwei Prozent des US-Wagniskapitals gehen an Afroamerikaner

Um zu ermessen, wie groß Hamiltons Schritt nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre neue Branche ist, muss man sich den typischen kalifornischen oder New Yorker Wagniskapitalgeber vorstellen. Stark vereinfacht gesagt, ist dieser Investor männlich, weiß, heterosexuell - und damit das glatte Gegenteil von Arlan Hamilton: Sie ist weiblich, schwarz und lesbisch, und sie empfindet diese Kombination nicht nur als prägend für ihre Persönlichkeit, sondern auch als Auftrag. "Da draußen sind unzählige Frauen, Schwarze, Menschen mit anderer sexuellen Orientierungen unterwegs, die großartige Ideen haben, von den traditionellen Risikofinanzierern aber links liegen gelassen werden", sagt die gebürtige Texanerin. "In diese Marktlücke bin ich gestoßen - nicht aus Mitleid oder weil ich ein Helfer-Gen hätte, sondern weil die Leute verdammt gut sind und ich mit ihnen Geld verdienen will."

Tatsächlich gehen nach einer Untersuchung der Gründer-Plattform Digital Undivided (DID) nicht einmal zwei Prozent aller Mittel, die Wagniskapitalgeber in den USA bereitstellen, an Afroamerikaner. Der Anteil schwarzer Frauen ist mit zwei Promille kaum noch messbar. Gelingt es einer Gründerin tatsächlich einmal, einen Investor zu finden, erhält sie im Schnitt 36 000 Dollar. Ein Startup, das von einem weißen Mann geführt wird, kommt auf 1,3 Millionen.

"Junge, weiße Tech-Investoren suchen junge, weiße Unternehmensgründer - die halten sich einfach an das, was sie kennen."

Bei der ungleichen Verteilung des Geldes, so die DID-Studie, spielen Rassismus und Sexismus immer noch eine Rolle - und sei es nur dergestalt, dass viele Wagniskapitalgeber Gründern, die von der Norm abweichen, unbewusst die Fähigkeit absprechen, eine Firma zum Erfolg zu führen. "Da ist oft mehr Gedankenlosigkeit als Böswilligkeit dabei", vermutet Hamilton. "Junge, weiße Tech-Investoren suchen junge, weiße Unternehmensgründer - die halten sich einfach an das, was sie kennen. Deshalb wissen sie auch nicht, was sie verpassen, wenn sie Schwarze und Frauen links liegen lassen."

Backstage Capital ist nicht der einzige VC-Fonds in den USA, der sich die Unterstützung vernachlässigter gesellschaftlicher Gruppen auf die Fahnen geschrieben hat. Es gibt Kesha Cash und ihren Impact America Fund, der Firmengründer unterstützt, die das Leben von Familien mit geringen Einkommen verbessern wollen. Es gibt Menschen wie Charles Hudson, Jocelyn Goldfein und Hunter Walk - aber niemand von ihnen ist so forsch, so voller Energie wie die fröhlich-wütende Hamilton: "Liebe weiße Wagniskapitalgeber: Wenn Ihr das hier lest, ist es (fast!) zu spät", überschrieb sie im Juni 2015 im Internet eine Art persönliches Manifest, in dem sie die Gründung ihrer Firma ankündigte.

Mit ihrem Enthusiasmus reißt die Wahl-Kalifornierin nicht nur ihre mittlerweile drei Mitarbeiter mit, sondern auch immer mehr Investoren, die Geld bei ihr anlegen. Unbekannte sind darunter, aber auch Prominente wie Netscape-Gründer Marc Andreessen, Google-Maps-Erfinder Lars Rasmussen oder Leslie Miley, der bis vor sechs Monaten einziger schwarzer Top-Manager bei Twitter war, die Firma wegen deren Umgang mit Minderheiten aber schließlich verließ. Wer mit wie viel bei Backstage Capital dabei ist, darf Hamilton wegen börsenrechtlicher Auflagen nicht sagen. Sie lässt aber durchblicken, dass sie bereits einige Millionen Dollar zusammen hat.

Zu den acht Firmen, deren Gründung sie bisher mit je 25 000 bis 100 000 Dollar unterstützt hat, gehören so unterschiedliche wie Nailsnaps, ein Unternehmen aus Kalifornien, mit dessen App Frauen Aufkleber für ihre Fingernägel designen können. Oder das Startup Kairos aus Miami, das mit seiner Software für Gesichts-, Mimik- und Emotionserkennung ganz neue Wege beim mobilen Bezahlen und in der Werbung eröffnen will - und bei Einsamkeit. Viele Firmen haben einen Tech-Hintergrund, aber nicht alle: Die New Yorker Designerin Katharine Polk etwa stellt moderne Hochzeitskleider jenseits von Schleier und Schleppe her. Wer gut ist, kann in einer zweiten Finanzierungsrunde mit weiteren 100 000 bis 250 000 Dollar rechnen.

Dass bisher alle Firmen auf gutem Weg zu sein scheinen, schreiben die Backstage-Macherinnen auch dem gesellschaftlichen Hintergrund der Gründerinnen und Gründer zu. "Wenn eine schwarze Frau zu mir kommt, die an einer Elite-Universität studiert hat, dann weiß ich: Die musste sich schon viel mehr anstrengen als andere, um überhaupt an der Uni angenommen zu werden - die muss einfach gut sein!", sagt Hamilton, und ihre Mitstreiterin Susan Kimberlin, eine Weiße, ergänzt: "Solche Gründer sind einfach härter im Nehmen."

Die Kriterien, nach denen Backstage Capital unterstützenswerte Unternehmen aussucht, sind keinen Deut laxer als bei anderen Wagniskapitalgebern: Wie gut ist das Team, die Idee, das Produkt? Wer sind die möglichen Kunden, und wie wird ihnen geholfen? Wie viel Marktforschung haben die Gründer betrieben, und welchen Beitrag kann ein Wagniskapitalgeber zum Erfolg leisten? Von geschätzt 1000 Firmen, die sich in diesem Jahr um eine Anschubfinanzierung bei Hamilton bewerben werden, werden deshalb am Ende vielleicht 30 tatsächlich Geld erhalten.

"Klar macht es Spaß, Menschen zu helfen, von denen man selbst überzeugt ist", sagt sie. "Aber damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte mit Backstage Millionärin werden, und das geht nur, wenn die Rendite stimmt." Als politische Aktivistin sieht sich die quirlige Frau im Kapuzenpulli deshalb nicht, auch wenn sie im nächsten Atemzug bekennt, sie sei regelrecht "süchtig danach, die Welt zu verbessern".

Immerhin, ein bisschen ist ihr das vielleicht schon gelungen: Der nationale Wagniskapitalgeberverband NVCA hat jüngst eingestanden, dass es mit der Diversität in der Gründerszene wie in den eigenen Reihen nicht weit her ist. Eine Taskforce soll nun Auswege suchen. Noch kämpft der Arbeitskreis allerdings mit dem gleichen Unbill wie die gesamte Branche: Von seinen 16 Mitgliedern ist genau eines schwarz.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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