Finanzindustrie:Die Lehren aus der Krise

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Es ist falsch, von einer Krise des Kapitalismus zu sprechen oder gar der Marktwirtschaft - es ist eine Krise des Finanzsystems.

Marc Beise

Es war ein Wochenende, an dem die Panik freihatte. Zwei Tage, an denen es keine Horrornachrichten von der Börse geben konnte - weil die Börse geschlossen hatte. An denen der amerikanische Notenbankchef und der Finanzminister Zeit gewannen, ihre weiteren Maßnahmen gegen die Finanzkrise mit etwas mehr Umsicht zu planen.

Banker an der Wall Street (Foto: Foto: dpa)

Der ruhigere Blick ist auch hilfreich, die aktuellen Ereignisse einzuordnen. Am besten lässt es sich diskutieren, wenn man alle Fakten kennt. Leider ist das bei der größten Finanzkrise seit langem nicht der Fall. Nicht einmal die Akteure in den Finanzzentren und Regierungszentralen wissen wirklich, was vorgeht. Sie alle reden viel und verstehen wenig.

Wie groß darf die Freiheit sein?

Das ist die erste Lehre aus der großen Krise: dass Menschen Dinge zugelassen und veranstaltet haben, die sie nicht begriffen und schon gar nicht in ihren Konsequenzen übersehen haben. Das war ein unverzeihlicher Fehler. Wie im richtigen Leben muss auch in Politik und Wirtschaft, beim Führen eines Unternehmens und erst recht einer Bank oder Versicherung gelten: Tue nur, genehmige nur, bewerte nur, was du auch selbst verstehst.

Es herrscht zweitens eine große Unsicherheit über die Frage, wie groß die Freiheit an den Märkten sein darf. Viel ist jetzt die Rede davon, dass sich das Prinzip der freien Marktwirtschaft nicht bewährt habe. Jene, die sich noch an Zeiten der Planwirtschaft erinnern (zum Beispiel in der DDR) und diese nicht verklären, sondern in ihrer ganzen Unfähigkeit, Wohlstand zu schaffen, erinnern, sind möglicherweise verzweifelt: Ja, wenn das eine System nicht funktioniert und das andere nicht, welches dann?

Rasch wird dann der Ruf laut nach einem ominösen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus oder auch nur der Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, die es jedenfalls in Deutschland doch einmal gegeben habe unter wahlweise Ludwig Erhard (fünfziger Jahre) oder Willy Brandt (siebziger Jahre), die aber in der Gier des Neoliberalismus oder des Turbokapitalismus verlorengegangen sei. Ein unsinniges Argument.

Vom Bröckeln, gar vom Verlust der sozialen Marktwirtschaft kann angesichts des gewaltigen Umfangs von Sozialleistungen in Deutschland, dem beherrschenden Umfang des Sozialetats und der zahlreichen Eingriffe des Staates ins Wirtschaftsleben nicht ernsthaft die Rede sein. Umgekehrt hat es einen wirklich ungezügelten Kapitalismus in Deutschland nie gegeben, übrigens auch nicht in den USA. Und selbst an der Wall Street gab es kein pures Laissez-faire.

In Wirklichkeit besteht ein sehr reglementiertes marktwirtschaftliches System, in dem es Gesetze für alles und jedes gibt: Selbst große Konzerne sind am Ende viel weniger beweglich, als viele Menschen das glauben. Der Einfluss der amerikanischen Börsenaufsicht SEC, die die Säuberung des korruptionsverseuchten Siemens-Konzerns erzwang, und die Wettbewerbshüter der USA und der EU, die selbst Giganten wie Microsoft in die Knie zwingen, beweisen, dass es an Kontrolle nicht fehlt.

Nur in einem einzigen Bereich ist der Gesetzgeber der Realität nicht nachgekommen: in der Finanzwelt. Deshalb ist es falsch, von einer Krise des Kapitalismus zu sprechen oder gar der Marktwirtschaft - es ist eine Krise des Finanzsystems. Die Architektur der Geldströme ist wichtig wie nie, aber sie ist weiterhin nur ein Teil der Ökonomie.

Kern der Wirtschaft ist immer noch das Herstellen, Verkaufen und Kaufen von Gütern, die reale Wertschöpfung. Entscheidend für den dauerhaften Wohlstand ist nicht die Frage, ob eine weitere US-Investmentbank pleitegeht oder ob der Deutsche Aktienindex noch einmal um 1000 Punkte absackt. Wichtiger ist, ob die deutschen Firmen weiter auf den Exportmärkten reüssieren, ob die Ingenieure die weltbesten Techniken erfinden, ob die Automobilfirmen sich der Konkurrenz aus Asien erwehren können und ob der Mittelstand so innovativ und erfolgreich bleibt wie bisher.

Besseres Steuersystem, weniger Bürokratie

Eine Politik, die das erreichen will, muss die Kapitalmärkte stärker regulieren, damit sie nicht weiter Unheil anrichten können: Sie muss die Geschäfte der Finanzindustrie genauer überwachen und dafür sorgen, dass Banken, Hedgefonds und Versicherungen - anders als heute - jederzeit und für jedermann offenlegen, welche Risiken sie eingehen.

Eine solche Politik muss vor allem aber über den Tag hinaus den Millionen kleinen und größeren Firmen in Deutschland und allen Selbständigen wieder mehr Freiraum geben, innovativ und erfolgreich zu sein. Dazu brauchen die Firmen ein besseres Steuersystem, weniger Bürokratie, mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, bessere Bedingungen für die Forschung und anderes mehr - leider ist es nicht mehr chic, darüber zu reden. Dafür haben nun die ideologischen Brandstifter Konjunktur, die höhere Steuern für Reiche und Unternehmen fordern, Familienunternehmer enteignen wollen und Kontrolle pur predigen.

Dies ist nun die doppelte Herausforderung: die entfesselten Finanzmärkte bändigen und zugleich der Wirtschaft mehr Freiraum geben. Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist eine solche differenzierte Politik fast unmöglich. Trotzdem müssen verantwortliche Politiker diesen Versuch starten.

© SZ vom 22.09.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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