Finanzfrauen:"Sie weinte, aber sie nahm"

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Kaiserin Maria Theresia kam jung auf den Thron und setzte viele Wirtschaftsreformen durch. So bereitete sie ihr Habsburger Reich auf die Zukunft vor.

Von Joachim Käppner

Heutzutage wäre es in Europas Hauptstädten - natürlich mit der Ausnahme von Paris - zumindest befremdlich, wenn der Gatte einer Regierungschefin öffentlich bekannte und in Hofkreisen gern betratschte Affären mit anderen Damen hätte. Und wenn diese dann noch klingende Namen trügen wie Gräfin Colloredo, Gräfin Palffy und Fürstin Maria Wilhelmina von Auersperg, die Klatschpresse müsste ihre Storys von Herz und Schmerz nicht mehr erfinden. Jedenfalls, Franz Stephan von Lothringen pflegte nach Sitte seines Standes und seiner Zeit zärtlichen Umgang mit den bekannten Wiener Schönheiten.

Wirklich übel scheint ihm seine Gemahlin, Kaiserin Maria Theresia, die gelegentlichen Abweichungen vom Pfade der christlichen Ehe nicht genommen zu haben. Sie gebar ihm, wie man damals sagte, immerhin 16 Kinder. Als er 1765 starb, trug sie nur noch schwarz und schrieb einen rührenden Epitaph: "Ich verlor einen Gatten, einen Freund, den einzigen Gegenstand meiner Liebe." In ihrem Gebetbuch trug sie eine Notiz über die gemeinsame Zeit: "Jahre: 29, Monate: 354, Wochen: 1 540, Täge: 10 781, Stunden: 258 744."

Während Franz Stephan von Lothringen sich Kirche, Kindern, Kurtisanen widmete, regierte seine Gattin das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das heißt: soweit es dem Habsburger Kaiserhaus in Wien folgte. Bekanntlich tat Preußens Regent das genaue Gegenteil und verwickelte Maria Theresia in die sehr unschönen schlesischen Kriege. Die brachten ihm die reiche Provinz Schlesien ein sowie Schmähungen wie "der Elende" oder "das Monstrum" ein, wie Maria Theresia Preußens König zu titulieren pflegte.

Sie kombinierte zweierlei Frauenbilder: das der Mutter und das der Herrscherin

1740 saß sie, erst 23-jährig und wohl zur eigenen Überraschung, beim plötzlichen Ableben des Vaters, Kaiser Karls VI., jählings auf dem Wiener Thron, als Folge verzwickter dynastischer Regelungen. Dazu und zu den Titular-Details ihres Kaisertums nur so viel: Eine weibliche Thronfolge galt als Szenario des schlimmsten Falls, und nun war er da. Der verschlagene Preuße Friedrich nutzte die Stunde sofort zum Einmarsch in Schlesien, und wenige hätten der jungen Frau in Wien so viele Jahre an der Spitze einer der wichtigsten Mächte Europas zugetraut.

In einer Denkschrift hielt sie selbst fest, wie sie jene erste Zeit ihrer Herrschaft erlebte: "In diesen Umständen fande ich mich ohne Geld, ohne Credit, ohne Armee, ohne eigene Experienz und Wissenschaft und endlich auch ohne allen Rat, weilen ein jeder aus ihnen anvorderist sehen und abnehmen wollte, wohin die Sachen sich wenden würden. In dieser Situation befande ich mich, da von dem König von Preußen feindlich angegriffen wurde."

Indessen war sie klug genug, sehr bald eine Schwäche ihres großen Reiches zu erkennen, welche mit ein Grund für die allzu häufigen Niederlagen gegen die schießfreudigen Preußen war: sein verkorkstes und verzopftes, der neuen Zeit mit ihrem Aufschwung von Handel, Wissenschaft und Aufklärung nicht mehr angemessenes Finanz- und Wirtschaftssystem. Zu viel Mittelalter war darin, zu viel Besitzstand selbstherrlicher Kleinfürsten, zu viel Macht der Stände als Vertretung eigensüchtiger Interessen von Adel, Kirche und freien Städten. Auf dem Land dagegen gab es noch Leibeigenschaft.

Der Gatte half, doch sie griff auch selbst durch: Die Habsburger Kaiserin Maria Theresia baute zwar selbst teure Schlösser, aber mahnte zur Sparsamkeit. (Foto: Süddeutsche Zeitung/sz-collage)

Obwohl sie selber der Versuchung zum Verschönern sündteurer Schlösser nicht in jedem Moment ihres langen Lebens zu widerstehen vermochte, stellte sie sich dem vergeudungssüchtigen Adel ungefragt als imperiales Vorbild zur Verfügung: "So ist ein Landesfürst schuldig, zu Aufnahme oder Erleichterung seiner Länder und Unterthanen wie auch deren Armen, alles anzuwenden, keineswegs aber mit Lustbarkeiten, Hoheiten und Magnifizenz die einhebenden Gelder zu verschwenden."

Österreich gehörte, neben England, Frankreich, Russland und eben den Preußen, zu den fünf führenden Mächten Europas; auf dem Balkan übernahm es Region um Region von den weichenden Osmanen, ein Erbe, an dem es 1914 zerbrechen sollte und das schon im 18. Jahrhundert erhebliche Kräfte und Mittel band. Das alte Grenzland Ungarn dagegen verwandelte sich in Maria Theresias Zeit in ein Kerngebiet der Habsburger Macht. Das Mittel zur Reform waren Finanzen und Wirtschaft. Systematisch versuchte sie die Einnahmen der Krone, also des Zentralstaates, auszuweiten und zu verstetigen.

Ziel ihrer Wirtschaftspolitik war es außerdem, die Bevölkerungszahl und die Produktivität der Wirtschaft zu steigern. Sie schaffte Binnenzölle und andere Handelserschwernisse ab. Klerus und Adel, die eben noch über das Küken auf dem Thron gelästert hatten, mussten plötzlich Steuern entrichten. Das war unerhört, aber, wie sich herausstellte, nicht zu ändern; es halfen weder Klagen noch Intrigen. Herausforderungen bot sie die Stirn, gleich ob sie aus Wien oder aus Berlin kamen.

Auch wenn von ihr vor allem das Bild der späten Jahre geblieben ist, jenes der korpulenten, etwas bigotten und zum Moralisierenden neigenden Matrone: Das war nur eine von vielen Facetten einer begabten Herrscherin. Bemerkenswert ist, wie sie ihre Ausnahmestellung als Frau auf dem Kaiserthron nutzte. Das höfische 18. Jahrhundert, so patriarchalisch, wie es war, kannte vielleicht mehr als das späte 19. eine Reihe politisch sehr einflussreicher Frauen. Legendär sind noch die Hofdamen des Wiener Kongresses 1815, die als Geliebte von Königen und Kanzlern ebenso Geschichte schrieben wie als Strippenzieherinnen der großen Diplomatie. Aber das war eben doch die zweite Reihe; Maria Theresia dagegen stand allein an der Spitze eines Imperiums, das von Norditalien über Ungarn bis nach Siebenbürgen reichte.

Sie war nicht im heutigen Sinne emanzipiert, aber: Sie versuchte gar nicht erst, wie, sagen wir, mehr als zwei Jahrhunderte später Maggie Thatcher, männlicher als die Männer zu wirken. Im Gegenteil, sie präsentierte sich als gute, ja ideale Ehefrau und Mutter - ihrer fast unüberschaubaren Kinderzahl sowie der Nation. Da sie die Kinder, nicht immer zu deren Freude, stets so unerbittlich wie geschickt an fremde Höfe verheiratete, galt sie als "Schwiegermutter Europas". In gewisser Weise hat sie das spätere bürgerliche Bild der heilen Familie mitgeprägt, auch Frauen konnten sich mit einer Herrscherin identifizieren, die nicht so kalt und entfernt wirkte wie andere Regenten ihrer Zeit.

Diese Frauen haben die Finanzwelt bewegt. SZ-Serie, Teil 26. (Foto: SZ-Grafik)

Ihre betonte Mütterlichkeit hinderte sie keineswegs an ruchlosen Taten. 1744 ließ die erzkatholische Kaiserin die traditionsreiche jüdische Gemeinde Prags vertreiben, eine der dunkelsten Stunden ihrer Regentschaft. Bei der polnischen Teilung von 1772 kassierte Österreich Galizien; und sarkastisch kommentierte ihr Erzfeind Friedrich II.: "Sie weinte, aber sie nahm."

Schon 1746 notierte der preußische Gesandte in Wien, Graf Otto Podewils, über sie: "Ihr Geist ist lebhaft, durchdringend, fähig, sich mit Regierungsgeschäften zu befassen. Sie hat ein sehr glückliches Gedächtnis und viel Urteil." Gegen sein Land mobilisierte sie Bündnisse mit Frankreich, Russland, Sachsen; Schlesien konnte sie nicht retten, aber immerhin ein Gleichgewicht der Kräfte.

Der Verlust der reichen Region zwang Maria Theresia zu weiteren Reformen. Wie schwer dies war in einer Verwaltung zwischen ochsenköpfiger Verweigerung und alteingeführten Korruption, das hat sie wiederum selbst festgehalten: "Solchem nach beweise, wienach die Ministri meiner Vorfahren sich keineswegs einer weislichen zu Beförderung des Dienstes gereichenden Politique, sondern nur des erworbenen starken Credits darzu bedienet, um das eigene Convenienz zu befördern und die Ministerialchargen auf ihre Familie und Befreundte fortzupflanzen und dem alten eingewurzelten Gebrauch ihres Vorfahrers zu folgen."

Bei ihren Reformen war hilfreich, dass ihr kaiserlicher Gemahl zwar nichts von Politik, aber einiges von Geld verstand. Gerade in der Finanzverwaltung ließ sie unnütze Ämter und Dienstposten verschwinden, sie reformierte auch Bildung und Strafrecht und unternahm Versuche zur Befreiung der Bauern. Die Riege der anfänglich noch mächtigen Berater am Hof - ausgenommen Johann Christoph von Bartenstein, Vizekanzler und graue Eminenz in der österreichischen Staatskanzlei - betrachtete sie mit eisiger Verachtung: "Meine Mitarbeiter ließen, statt mir Mut zuzusprechen, diesen gänzlich sinken." So lag mehr denn je in ihrer Verantwortung. Als besonders effizient, wenigstens in den Reichsteilen Österreich und Böhmen, erwies sich das "Directorium in publicis et cameralibus", eine Art Zentralverwaltung für Inneres und Finanzen.

1780 starb sie und hinterließ ein Reich, das wesentlich moderner war als jenes, das sie vier Jahrzehnte zuvor übernommen hatte. Bei alldem blieb sie eine Figur des Übergangs und musste es bleiben, so wie ihr Reformwerk den Charakter des Halben und Halbherzigen trug. Viele Neuerungen blieben stecken, denn sie lebte zwischen den Zeiten.

Aus Sicht der Stände, die sich ihr zäh widersetzten, war sie, wie die Wirtschaftsverbände von heute es ausdrücken würden, eine Umverteilerin und Sozialromantikerin. Und doch war sie ein Kind ihrer Epoche. Selbst ihr aufgeklärter Absolutismus vertrug sich nicht mit der langsam heraufziehenden Epoche eines freieren Geistes und eines freieren Spiels der wirtschaftlichen Kräfte, die kein Monarch mehr persönlich zu steuern und zu bestimmen vermochte.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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