Filiale ohne Kasse:"Und wo bezahl' ich jetzt?"

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Saturn hat in Innsbruck den ersten kassenlosen Laden in Europa eröffnet. Einkaufen können Kunden dort nur mit Smartphone und ohne Bargeld. Nicht alle kommen damit klar.

Von Veronika Wulf

Im Saturn-Markt in einem Innsbrucker Einkaufszentrum schrillt der Alarm. Doch der Sicherheitsmann am Ausgang, den sie hier Doorman nennen, bleibt ruhig. Es war nur der Geschäftsführer Erwin Putz, der mit einem neuen Handyadapter in der Hand durch die Sicherheitsschranke ging. Er wollte einem Kunden demonstrieren, was passiert, wenn man nicht gezahlt hat. Das sollte eigentlich klar sein. Aber hier ist so manches den Kunden nicht ganz klar, denn zahlen läuft hier anders, als man es aus dem normalen Elektrofachgeschäft kennt, oder dem Supermarkt, oder jeglichem anderen Laden. Hier wird per App direkt am Regal gezahlt. Der Innsbrucker Saturn Express ist der erste Laden in Europa, in dem es keine Kassen gibt.

Es ist ein Pop-up-Store, also ein Experiment, das die Ingolstädter Elektronikhandelskette Media Markt Saturn hier auf 120 Quadratmetern knapp drei Monate lang durchführt. Man will sehen, wie die Leute auf das kassenlose Bezahlen anspringen. "Muss ich jetzt noch mal was bestätigen?", fragt der Kunde neben Geschäftsführer Putz, "oder woher weiß der Alarm, dass ich in der App gezahlt hab?" "Nein, das passiert automatisch. Das ist das Innovative an dem System", sagt Putz. Wie dieses System funktioniert, wird er an diesem Tag noch einige Male erklären. So wie seine beiden Mitarbeiter in den türkisfarbenen Hemden. Und der Doorman, den alle fragen, die zwar neugierig sind, sich aber nicht in den Laden trauen.

Im Markt erklären Schilder, wie man mit einer speziellen App und mit Karte oder Paypal einkauft

Zwischen Handyhüllen und elektronischen Zahnbürsten erklären Schilder, wie man hier einkauft: Man lädt die App fürs Handy herunter, wählt aus, ob man mit dem Dienst Paypal oder der Kreditkarte zahlen möchte, scannt einen Code auf dem Produkt und bestätigt. Sofort bekommt man einen Hinweis aufs Handy, dass man den Laden nun verlassen darf. Per Mail folgt die Rechnung. Die App hat die Londoner Firma Mishipay entwickelt, eines von zehn Start-ups, mit denen Media Markt Saturn Pilotprojekte umsetzt. Etwa 900 Produkte sind bei Saturn Express im Sortiment; von den Batterien für drei Euro bis zur Lautsprecherbox für 500 Euro. Der Laden hält gefragte Produkte vorrätig, Kopfhörer, Bluetooth-Lautsprecher, die meistverkauften DVDs und Computerspiele.

Seit der Eröffnung des Pop-up-Stores vor wenigen Tagen seien viele Kunden gekommen, sagt Geschäftsführer Putz. Er ist zufrieden. Auch an diesem Wochentag kommen immer wieder Leute in den kassenlosen Laden, die davon in der Zeitung gelesen haben. Eine Familie ist "nur zum Gucken" gekommen. "Ich hab' so was noch nie gesehen", sagt eine Frau. "Ich wollte nur mal meine Neugier befriedigen", ein Mann. Die App will er sich nicht herunterladen - "kein Speicherplatz", sagt er. "Außer es wäre irgendwann günstiger über die App, schließlich spart Saturn ja Personal." Das sei aber nicht das Ziel, sagt Putz. Man wolle dem Kunden ein innovatives und schnelles Bezahlsystem anbieten, ohne auf die persönliche Beratung zu verzichten.

Eine junge Frau mit Hund an der Leine lässt sich die App erklären, bezahlt einen Haartrockner und sagt: "Cool, das war's schon?" Doch nicht alle tun sich so leicht. Die Hinweisschilder kann man schon mal übersehen oder für gewöhnliche Werbung halten. Vielen Kunden fällt gar nicht auf, dass die Kassen fehlen - bis sie bezahlen wollen. Einer hält die digitalen Preisschilder für die Innovation, ein anderer scannt den Strichcode statt den Bezahl-Code.

Eine Frau holt sich ein Adapterkabel aus dem Regal und schaut sich suchend um. "Und wo bezahl' ich jetzt?", fragt sie. "In der App", antwortet eine Mitarbeiterin. "Dann nicht", sagt die Frau, legt das Kabel hin und geht. "Ich will mit Bargeld bezahlen, auch wenn ich anstehen muss", sagt sie draußen. "Das mit der App dauert mir zu lange und ich will meine Daten nicht hergeben." Tatsächlich braucht man ein paar Minuten, bis man die App heruntergeladen und sich mit Namen, E-Mail-Adresse und Passwort registriert hat. Immerhin kann man die Kreditkartendaten direkt von der Karte scannen und muss die Zahlen nicht abtippen.

Gar keine Kasse - das ist für die Kunden neu. Was hingegen bereits relativ verbreitet ist, sind Kassensysteme, bei denen der Kunde selbst scannen kann. Einer Umfrage des EHI Retail Institute in Köln zufolge, benutzt bereits jeder dritte Händler sogenannte Self-Check-out- und Self-Scanning-Systeme. Man kennt das etwa von Ikea, wo man die Waren auf dem Wagen selbst scannt und anschließend mit Karte bezahlt. Auch das Scannen am Regal gibt es bereits, bei Großhändlern beispielsweise. Allerdings muss man auch da am Ende an einer Art Selbstkasse bezahlen.

Was den Datenschutz und die Sicherheitsstandards angeht, halte man sich an österreichisches Recht, "das ja sehr streng ist", sagt Putz. Saturn setzt auf die sogenannte RFID-Technik, mit der Objekte berührungslos erkannt werden können (siehe Her mit den Daten ). Das Konzept funktioniert anders als der kassenlose Laden, den Amazon in Seattle eröffnet hat. Dort überwachen Kameras und Algorithmen, wer was kauft. In China gibt es sogar Märkte, die beim Betreten das Gesicht der Kunden scannen und es digital mit den Bankdaten verknüpfen.

In diesem Saturn klebt auf jedem Produkt ein RFID-Chip mit dem Produktnamen, der Artikelnummer und einem QR-Code. Der Chip sieht nicht nach Hightech aus, kann jedoch am Ausgang den Alarm auslösen. Sobald der Kunde in der App bezahlt, wird der Alarm deaktiviert.

Seit der Eröffnung habe das bei jedem Einkauf geklappt, sagt Putz. Die Technik funktioniert also, nur die Kunden sind noch zögerlich. Hält man sich ein, zwei Stunden im Saturn Express auf, hat man den Eindruck, dass es hauptsächlich zwei Gruppen von Kunden gibt: diejenigen, die kaufen wollen, aber ein Problem mit der App haben. Und andere, die zwar neugierig sind, aber nichts kaufen wollen. Was wohl auch daran liegt, dass die Technik noch nicht so bekannt ist. Einmal registriert, ist das Einkaufen jedoch deutlich bequemer als an der Kasse anzustehen. Allerdings wünschte man sich das eher im Supermarkt, wo sich viele öfter in der Schlange einreihen als im Elektrofachhandel.

Und dann gibt es noch die Kunden, die diese neue Filiale gar nicht anspricht, wie etwa die ältere Frau, die mit einem Zettel in den Laden kommt und sich von einem Mitarbeiter die richtigen Batterien zeigen lässt. Er erklärt ihr das mit der App, sie versteht nicht. "Haben Sie ein Smartphone?", fragt er. "Smartphone?", fragt sie zurück. Kunden ohne Smartphone, Kreditkarte oder Paypal-Account können die Mitarbeiter nur in die Innsbrucker Nachbarfiliale schicken. Dort gibt es noch Kassen.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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