Ferrari:Der Sound aus Maranello

Lesezeit: 3 min

Demnächst unter dem Kürzel "RACE" an der New Yorker Böse erhältlich: Ferrari, Hersteller dieses roten Modells 308 aus den 80er Jahren. (Foto: Intertopics)

Der legendäre Hersteller der roten Rennwagen, Ferrari, rollt lärmend an die Wall Street. Es ist ein komplexes Geschäft, das der Eigentümerfamilie Agnelli den Rückzug bei Fiat-Chrysler ermöglicht.

Von Ulrike Sauer, Rom

"Die Sache ist schnell erledigt, nur die Zeit, ein Brötchen zu verdrücken", sagt Sergio Marchionne. Er serviert Ferrari, den Mythos aus dem Örtchen Maranello bei Modena, als Fast Food für Börsianer. Das aber ist vom Feinsten: Der Chef von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) verkauft Ferrari - das beste Pferd im Fiat-Stall. Ein nationales Heiligtum, eine der stärksten Marken der Welt. Flotte Sprüche aber gehören zum Markenzeichen des Fiat-Managers.

Auf der Fahrt an die Wall Street bog Marchionne in dieser Woche in die letzte Kurve. In Manhattan parkten zum Auftakt seiner Werbetour durch die USA an der 6th Avenue ein F12 Berlinetta und ein California T. An diesem Freitag empfängt er in der Ferrari-Heimat Maranello handverlesene Investoren zu Einzelgesprächen. Der 63-Jährige steht ein Jahr nach dem New Yorker Börsengang von Fiat Chrysler wieder am Ziel. Am Mittwoch kommender Woche soll auf den Leuchttafeln an der Wall Street hinter dem Kürzel RACE erstmals der Kurs des Ferrari-Papiers aufblinken.

Dass Aktien der Rennsportlegende sehr gut weggehen, mag sein. Seit Jahren spekuliert man über eine Versilberung des profitablen Fiat-Juwels. Der Appetit ist groß, serviert wird nur ein Häppchen. FCA besitzt 90 Prozent des Unternehmens, gibt aber nur 10 Prozent ab. Die Agnellis hatten die Edelmarke 1988 fast komplett ins Fiat-Imperium geholt. 10 Prozent behielt der Gründersohn Piero Ferrari. Man rechne mit einer zehnfachen Überzeichnung der Aktien, heißt es. Die Internetseiten für Autofreaks schwärmen vom "Dröhnen der Aktie" - auch Börsianer lauschen nun dem Ferrari-Sound. Und der Branche tut in den düsteren Zeiten der Diesel-Affäre bei VW ein wenig Glamour gut.

Marchionne setzt auf den Raritätseffekt. Seit Montag bietet Fiat-Chrysler 18,8 Millionen Aktien mit einer Preisspanne von 48 bis 52 Dollar an. Maximal kassiert der Konzern also 865 Millionen Euro. Ferrari, nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem 1929 gegründeten Rennstall hervorgegangen, würde damit mit knapp neun Milliarden Euro bewertet. Weniger als Marchionne prognostizierte, aber mehr als Analysten dem Cavallino zubilligten. Ins Zeug legen muss sich Marchionne nun, um die Investoren davon zu überzeugen, dass sich hinter "RACE" kein Autohersteller, sondern eine Luxusmarke verbirgt. Der Emissionspreis für die Ferrari-Aktien entspricht etwa dem 12,5-Fachen des für 2015 erwarteten Bruttogewinns in Höhe von 752 Millionen Euro. Mit diesem Verhältnis nähert sich Ferrari der Bewertung von Luxuslabeln wie Hermès oder Prada. Die Strategie hat ihren Preis: Um aus der Sportwagenmanufaktur eine pure Luxusmarke zu machen, verleugnet Marchionne die Ferrari-Identität. "Die Autos sind paradoxerweise nebensächlich für Ferrari", behauptet er.

Gleichzeitig lockt der Chef mit einem Tabubruch. Er will Absatzsteigerungen zulassen. 2014 lieferte Ferrari 7255 Exemplare aus, für die Kunden gibt es eine Warteliste. In Zukunft ließe sich die Produktion auf 10 000 hochfahren, um der Nachfrage aus den Schwellenländern gerecht zu werden. "Wenn das Konzept der Exklusivität unerreichbar wird, hört die Exklusivität auf", sagt Marchionne. Warum auch die Kunden zur Konkurrenz schicken? Die Aktienofferte ist nur der erste Schritt in Richtung Ferrari NV, einer Aktiengesellschaft holländischen Rechts, in die sich der legendäre italienische Sportwagenbauer verwandelt. Die zweite Stufe folgt Anfang 2016, wenn Ferrari von Fiat-Chrysler abgespalten wird.

Dann verschenkt Marchionne den verbliebenen 80-Prozent-Anteil an die FCA-Aktionäre. Klingt verrückt? Ist aber typisch Marchionne. Wer Ferrari haben will, muss Fiat-Chrysler kaufen. Die Rechnung geht auf: Der Aktienkurs von FCA legte seit der Ankündigung des Plans vor einem Jahr um fast hundert Prozent zu - trotz Abgas-Skandal. Die wahren Trennungsgründe sind nach 46 Jahren Partnerschaft andere. Marchionne benötigt Geld, um seine Wachstumsziele zu verfolgen. Der aus den von ihm geretteten Pleitekandidaten Fiat und Chrysler fusionierte Konzern soll bis 2018 den Gewinn auf fünf Milliarden Euro verfünffachen und den Absatz um 60 Prozent auf sieben Millionen Autos steigern. Dazu sollen 48 Milliarden Euro investiert werden. Das Ziel ist tollkühn. FCA ächzt unter acht Milliarden Euro Schulden.

Diese Last lindert nun Ferrari. Neben dem Börsenerlös fließen 2,25 Milliarden Euro als Sonderdividende an die Mutter. Außerdem schiebt Marchionne der Sportwagenikone noch kräftig Schulden unter. Eine hübsche "Scheidungsprämie", lästert der Ökonom Salvatore Bragantini. Die Ferrari-Abspaltung hilft Marchionne auch bei der Suche nach einem starken Partner für FCA, seinem übergeordneten Strategieziel. Bislang ließ ihn Mary Barra, die umworbene Chefin von General Motors (GM), abblitzen. Steht nun der Preis für Ferrari fest, lässt sich auch der Restwert von FCA berechnen. Marchionne ist dann in der Lage, den GM-Aktionären ein Fusionsangebot zu präsentieren.

Ja, und dann erfüllt er einen Wunsch der Agnelli-Erben, die über ihre Familienholding Exor noch FCA kontrollieren. Sie erhalten 25 Prozent der Ferrari-Anteile und 35,8 Prozent der Stimmrechte, was ihrem Bestreben, das Risiko im automobilen Massengeschäft zu reduzieren, entgegenkommt. "Exor will Ferrari für sich, um so den Rückzug aus der Kontrolle eines Großkonzerns vorzubereiten, der zu hohen Einsatz erfordert", so Ökonom Bragantini.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: