Fahrräder:Genossen mit neuem Antrieb

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Die ZEG, Europas größter Fahrrad-Fachhändler, hat 2015 Kettler erworben - gut fürs Geschäft, wie sich zeigt.

Von Steffen Uhlmann, Köln

Georg Honkomp, 55, besitzt sechs Fahrräder. Das liebste sei ihm jetzt ein "Cruiser mit 3-Gang-Schaltung", sagt der Vorstandschef der Kölner Zweirad-Einkaufsgenossenschaft (ZEG). "Das reicht zum Brötchenholen." Früher ist er häufig mit dem Pinarello unterwegs gewesen. Doch das italienische Edelrennrad, mit dem der Vater von zehn Kindern im Frühjahr und Sommer mehrmals die Woche zwischen seinem Wohnort Bonn und dem 50 Kilometer entfernten Arbeitsort Köln gependelt ist, steht seit Monaten in der Ecke. "Ich nehme jetzt das Auto, weil ich andauernd auch noch nach Saarbrücken muss", sagt er. "Wir haben doch Ende vergangenen Jahres Kettler gekauft."

Nun zieht er eine erste Bilanz. Die Genossenschaft, die in diesem Jahr ihr 50- jähriges Jubiläum feiert, ist eine Allianz aus 1000 Fahrrad-Fachhändlern in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern. Seit Jahren kooperiert sie mit namhaften Markenherstellern wie Giant, Scott oder KTM. Zugleich vertreiben die Genossen unter den Eigenmarken Pegasus und Bulls klassische Familienräder und Mountainbikes. Seit einiger Zeit aber holt man sich auch noch Fremdmarken ins Haus. 2013 wurde die fast 130 Jahre alte sächsische Traditionsmarke Wanderer übernommen. Ein Jahr später folgte der nicht minder traditionsreiche Hersteller Hercules aus Bayern, der zuletzt im Besitz des niederländischen Fahrrad-Konglomerats Accell gewesen war. Und nun die saarländische Radschmiede Kettler, die jetzt als ZEG-Tochter Kettler Alu-Rad GmbH den gesamten Fachmarkt bedienen soll.

"Es ist enorm schick geworden, sein Fahrrad vorzuzeigen und über die Marke zu reden."

Dass sich der Vorstandschef persönlich um den Neuanfang von Kettler unter dem Dach der ZEG kümmert, hat natürlich Gründe. "Es ist mit Abstand unsere bislang größte Investition", sagt Honkomp, der schon 1986 zur Genossenschaft stieß und dort binnen einer Jahresdekade vom Vorstandsassistenten zum Vorstandsvorsitzenden aufstieg. "Und außerdem: Wir betreiben mit Kettler jetzt unsere erste eigene Fahrradfabrik." Zwar hat die ZEG auch früher schon die Eigenmarken Pegasus und Bulls selbst entwickelt. Gefertigt aber werden die Modelle allesamt in Asien und Osteuropa.

Als das Kettler-Familienunternehmen, das unter anderem auch Sport- und Spielgeräte produziert, 2015 aus finanzieller Not seine Fahrradsparte abgeben musste, griff der ZEG-Vorstand zu. "Nicht nur, aber auch aus Altruismus und Sentimentalität", bekennt Honkomp. "Kettler ist doch der Erfinder des Alu-Rahmens und baut seit Jahren Zweiräder in Spitzenqualität - das ist einfach eine tolle Marke, die nicht in ausländische Hände geraten sollte." Zumal, wie Honkomp betont, in einer zunehmend anonymer werdenden Welt die Marke eines Produkts immer wichtiger werde. Und das gerade auch beim Fahrrad, das vor allem unter jungen Leuten das Zeug zum Statussymbol und Lieblingsobjekt hat. "Es ist enorm schick geworden, sein Fahrrad vorzuzeigen und über die Marke zu reden", sagt Honkomp. "Da ist man als Autofahrer gleich mal von vorgestern."

Über den Kaufpreis der "tollen Marke" Kettler, samt Übernahme des Werkes mit 80 Beschäftigten, schweigt Honkomp. Bestätigen aber will er die 20 bis 25 Millionen Euro, die die Genossen mindestens in die Hand nehmen müssen, um das Werk, seine Fertigung, aber auch die Produkte zu modernisieren. "Die Traditionsmarke soll verjüngt und sportlicher, die Produktion rationalisiert und leistungsfähiger werden", sagt der ZEG-Chef. "Schließlich wollen wir die Kapazität in den nächsten drei bis fünf Jahren von 30 000 auf 100 000 Räder steigern und sie damit mehr als verdreifachen." Den Schwerpunkt sollen dabei E-Bikes aller Kategorien bilden, die weiterhin den Trend im deutschen Markt bestimmen. Sie sind der eigentliche Wachstumsträger der gesamten Branche.

2015 stieg die Zahl der verkauften E-Bikes erneut zweistellig - um 11,5 Prozent, von 480 000 auf nunmehr 535 000 Einheiten. Damit haben sie nun einen Anteil von 12,5 Prozent am Gesamtfahrradmarkt erreicht. Mittelfristig rechnet der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) mit einem jährlichen Anteil des E-Bikes am Gesamtmarkt von mehr als 15 Prozent. Nach seinen Schätzungen seien schon jetzt etwa 2,5 Millionen Fahrräder mit Elektroantrieb auf deutschen Straßen unterwegs. Honkomp sieht noch weit größere Chancen für das E-Bike-Geschäft. "Ich halte mittelfristig 50 Prozent E-Bike-Anteil für realistisch", sagt er. Seine Genossenschaftsmitglieder haben im vergangenen Jahr über eine Million Fahrräder abgesetzt, davon 100 000 E-Bikes, die aber, wertmäßig betrachtet, schon über ein Drittel des Umsatzes mit Fahrrädern ausmachen. Einschließlich Dienstleistungen hatten die 1000 Mitglieder von Europas größtem Fahrradfachhändler im vergangenen Jahr gut 1,2 Milliarden Euro umgesetzt. "In diesem Jahr sind erneut bis zu fünf Prozent Wachstum für die ZEG drin", glaubt ihr Chef. "Bei E-Bikes aber werden wir wertmäßig ein Plus von 20 Prozent erreichen."

Immer mehr junge Leute greifen nach Rädern und Mountainbikes mit Motorunterstützung. Adäquat dazu wächst der Bewegungsradius. Die Jahreslaufleistung eines E-Bikes ist nach jüngsten Erhebungen mit durchschnittlich 2500 Kilometern viermal höher als bei einem Rad ohne technische Unterstützung. Den Trend zum E-Bike stützt dabei nicht nur die "rollende Leichtigkeit", die immer mehr Pedaleure für sich entdecken, sondern auch weitere technische Verbesserungen. "Die Akkus und Motoren werden kleiner, leichter, leistungsfähiger und mehr und mehr direkt in das Fahrrad integriert", erklärt Honkomp. "Das macht sich dann auch beim Gesamtgewicht bemerkbar, das in den nächsten fünf Jahren auf deutlich unter 20 Kilo sinken wird", ist er überzeugt. Ein gewichtiges Verkaufsargument vor allem in den Städten, wo die nicht billigen E-Bikes sicher aufbewahrt werden müssen. Zudem werde das Rad immer "intelligenter", weil es mehr und mehr mit modernen Informationssystemen vernetzt wird, sagt Honkomp. So habe etwa Bosch für 2018 eine GPS-Ortung für Fahrräder angekündigt.

Auch die ZEG selbst will technische Entwicklungen für die Zweiräder weiter vorantreiben und baut dazu an ihrem Kölner Hauptsitz ein Entwicklungszentrum auf, das Anfang Oktober mit 20 Ingenieuren und Designern starten wird. Die Verbesserung der Ergonomie sei ein erstes großes Thema, sagt Honkomp. "Die Gestaltung des Rahmens ein anderes." Man wolle das Rad nicht neu erfinden, aber das Produkt sicherer, leichter, optisch und technisch attraktiver machen. Das werde auch das Geschäft rund um das Fahrrad weiter antreiben, ist sich der ZEG-Chef sicher.

Honkomp glaubt, dass Rad-Dienstleistungen über kurz oder lang etwa ein Drittel des Geschäfts ausmachen können. Die Genossenschaft sei mit diversen Tochterunternehmen "kräftig unterwegs". So sei ZEG mit Hotels und Reiseveranstaltern in das Fahrradverleih-Geschäft eingestiegen. Zusammen mit der Post wiederum entwickelt die ZEG eine neue Generation von motorgetriebenen Lastenfahrrädern. Und schon seit drei Jahren bietet die Genossenschaft Firmen ein Dienstfahrradsystem an. Die beteiligten Unternehmen stellen ihren Mitarbeitern bei Bedarf Diensträder zur Verfügung, die dann in den Gehaltsabrechnungen berücksichtigt werden.

Gute Geschäfte erhofft sich Honkomp auch im Online-Handel. "Wir sind jetzt mit Bulls gestartet", sagt er. "Schritt für Schritt kommen auch die anderen Marken hinzu." ZEG liefert, so Honkomp, ein komplett fahrbereites Fahrrad innerhalb von 24 Stunden an den Kunden aus. "Wir können sogar noch schneller liefern, weil die Genossenschaft mit ihren Mitgliedern über ein dichtes Händlernetz verfügt", sagt er und liefert dazu die Tempovorgabe gleich mit: "Das Ziel müssen drei Stunden sein."

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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