Existenzgründung:Machst du mit?

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Unternehmerin Nicole Jones erzählt heute anderen Frauen von ihren früheren Existenzängsten und wie sie ihre Firma 5Minds IT-Solutions auf Expansionskurs brachte.

Von Marcel Grzanna

Nicole Jones leitet seit fünf Jahren ein Software-Unternehmen auf Expansionskurs. Anderen Frauen berichtet sie von ihren eigenen Existenzängsten, die sie früher begleiteten, und will sie damit motivieren, es ihr gleichzutun.

Tag eins war wie der einer Praktikantin: Kaffee kochen, Fastfood zum Mittag besorgen, die Telefonanlage inspizieren. Nicole Jones erinnert sich gut daran. Weder sie selbst noch die beiden Softwareentwickler, die sie eigentlich wegen ihrer Expertise als Finanzfachfrau um Unterstützung gebeten hatten, wussten so recht, was sie miteinander anfangen sollten. Von einer guten Idee waren damals nur noch ein Firmenname und zwei Gesellschafter übrig geblieben, die sich zwar bestens mit Programmieren auskannten, aber dem Baby kein unternehmerisches Herz einpflanzen konnten. Vision und Strategie wurden verschluckt von der täglichen Arbeit am Produkt, und die dringend benötigte kaufmännische Struktur hinter den Kulissen konnte sich nicht ausreichend entwickeln.

Ihr Unternehmen 5Minds IT-Solutions stand kurz vor dem Aus und Nicole Jones vor der Wahl. Sie konnte sich verabschieden aus dem Büro oder aber einen Kredit aufnehmen und sich als Gesellschafterin einkaufen in das Konstrukt. Auf die drohende Gefahr hin, einen Haufen Geld in den Sand zu setzen. Zweifellos war das ein Risiko: Selbständigkeit, Gründerin, IT? Alles Neuland. Doch das Angebot der Entwickler stand: "Machst du mit?"

Ein paar Gespräche mit ihrer Ehefrau später und dem festen Entschluss, es allen Widrigkeiten zum Trotz versuchen zu wollen, stieg Jones in das Geschäft ein. Das Digitale reizte sie. Männer, denen sie davon erzählte, waren beeindruckt. "Software? Du, als Frau?", stand in deren Gesichtern. Viel geändert hat sich auch fünf Jahre später noch nicht. "Wenn ich als Frau sage, dass ich Zahlen und Mathematik mag, dann bekomme ich häufig erstaunte Blicke", sagt Jones, wobei sie betont, dass sie ja nicht selbst die Software entwickelt, sondern eben den kaufmännischen Bereich leitet. Doch selbst das kommt manchem reichlich exotisch vor. Als frühere Finanzberaterin bei der Deutschen Bank spürte Nicole Jones sehr viel Sicherheit, aber keinen Spielraum, selber zu gestalten. Nach 25 Jahren in leitender Position in der Finanzbranche wollte sie die Dinge selbst in die Hand nehmen. "Ich war mir meiner Qualitäten und Erfahrungen bewusst und überzeugt, dass ich das kann", sagt die 50-Jährige. Gemeinsam schmiedete sie mit ihren beiden Mitstreitern den Masterplan, den sie seit 2014 konsequent verfolgen. Das Motto: Think big, denke groß.

Sie verlegten 5Minds aus dem nahe gelegenen Oberhausen in ihre Heimatstadt Gelsenkirchen im Ruhrgebiet, wo es schließlich an die Expansion ging. "Wir standen vor der Wahl, uns als reiner Dienstleister zu positionieren oder ganzheitliche Lösungen anzubieten. Da haben wir schnell begriffen, dass wir mehr können, als nur die Software zu entwickeln", sagt Jones. Projektmanagement und Beratung kamen als neue Zweige des Geschäfts hinzu. Seitdem wächst die Zahl der Mitarbeiter kontinuierlich, knapp 70 sind es bereits. Statt Freelancer zu beschäftigen, die nur projektweise angeheuert werden, sollen Festangestellte die firmeneigene DNA zum Kunden tragen. Einen Ausbau auf mehrere Hundert Angestellte scheuen die Gründer nicht.

Mit dem eigenen Unternehmen kam auch das Gefühl wachsender Verantwortung als Arbeitgeber in einer Stadt und Region, die nach Innovationen dürstet, seit der Bergbau tot ist. "Beim Sommerfest siehst du deine Mitarbeiter mit ihren Familien, und dann wird dir klar, dass es bei jeder unternehmerischen Entscheidung nicht nur um deine eigenen Bedürfnisse geht", sagt Jones. Dieses Gefühl bestärkte den Entschluss, die Mitarbeiter enger an die Zukunft des Unternehmens zu binden, indem es sie auffordert, ihre Vielfalt und Kreativität in die Entwicklung einzubringen. Jeder soll sich an den Zielformulierungen der Firma transparent beteiligen, nur das gemeinsame Leitbild kommt aus der Führungsetage. OKR, heißt dieses Managementkonzept abgekürzt für Objectives and Key Results. Als bekanntester Anwender gilt Google. Wer sich schwertut, eigene Ziele zu definieren und zu verfolgen, bekommt Unterstützung von Nicoles Ehefrau Steffi. Die frühere Fußball-Weltmeisterin und Bundestrainerin gibt ihre Erfahrung aus dem Leistungssport heute als OKR-Managerin im Unternehmen an die Mitarbeiter weiter.

Zu den Kunden des Start-ups zählen bereits Dax-Unternehmen und namhafte Mittelständler. Der Umsatz hat sich mittlerweile auf mehr als sechs Millionen Euro pro Jahr verzwanzigfacht. Aber all das ist nur eine Zwischenbilanz. Das Unternehmen träumt vom eigenen Firmencampus, auch nach Google-Vorbild, gleich neben dem Stadion, in dem Schalke 04 zu Hause ist. Think big. "Wenn wir uns heute schon limitieren, dann werden wir morgen nichts Großes kreieren", sagt Jones.

Ihre Erfahrung als Gründerin gibt die Unternehmerin heute an Frauen weiter, denen noch der Mut fehlt, eigene Ideen umzusetzen. Denen erzählt sie, wie es war, ihre eigenen Existenzängste zu überwinden und auf die Sicherheit als frühere Finanzberaterin bei der Deutschen Bank zu verzichten, ohne zu wissen, was danach kommen würde. Und Jones betont, dass es die beste Entscheidung ihres Berufslebens war.

Städte und Gemeinden, aber auch der Bund unterstützen solches Engagement. Das Wirtschaftsministerium will über sein Existenzgründungsportal mehr Menschen und besonders mehr Frauen dazu ermutigen, Firmen zu gründen oder zu übernehmen. Ein steiniger Weg. Die Zahl der Gründungen in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Die Gründungsneigung nimmt sogar unter den Frauen noch stärker ab als unter den Männern. Auch weil die Vorbilder fehlen, heißt es. Deshalb will Jones mit ihrer Geschichte auch anderen Frauen helfen.

Es sei besonders wichtig, jede Frage eines Kreditgebers beantworten zu können

Viele Gründungen scheitern am Geld. Der durchschnittliche Kapitaleinsatz habe sich merklich erhöht, stellt der aktuelle Gründungsmonitor der KfW-Bank fest. "Finanzierungsprobleme sind vor dem finanziellen Risiko das Gründungshemmnis mit der höchsten Barrierewirkung."

Bei 5Minds gelang die bisherige Expansion durch den Cashflow. Drei Partnerbanken haben dem Unternehmen Überziehungskredite gewährt, sollte es einmal mit der Liquidität eng werden. Zu jeweils guten Bedingungen, auch weil Jones die Finanzbranche gut kennt und weiß, mit welchen Argumenten sie in den Verhandlungen um Kreditbedingungen für ihr Unternehmen punkten kann. Es sei besonders wichtig, jede Frage eines potenziellen Kreditgebers konkret beantworten zu können, sagt sie. Entsprechend detailliert jongliert die gelernte Bankkauffrau mit den kleinsten Zahlen und unscheinbarsten Statistiken in ihrem Unternehmen. Zumal die großen Zukunftspläne der Firma unweigerlich Fremdkapital benötigen. Sei es durch Geld aus einem Wirtschaftsförderungstopf oder eben aus einem Kredit.

Das Unternehmen arbeitet an einem eigenen Programm für Prozessautomatisierung, dessen Entwicklung bereits seit knapp zwei Jahren vorangetrieben wird. Allein im vergangenen Jahr steckten die Gründer 600 000 Euro in das Projekt. Die gesamte Finanzierung wird ein Vielfaches davon benötigen. Mit der Entwicklung ist es aber nicht getan. Steht das Produkt, müssen Vertrieb und Marketing aufgebaut werden. "In diesen finanziellen Dimensionen stoßen wir dann als Start-up an unsere Grenzen. Dann brauchen wir Kapital von außerhalb." Jones ist zuversichtlich, dass die Firma Geldgeber finden wird, "weil unser Konzept keine Schwachpunkte hat." Nach einem Vierteljahrhundert in der Finanzbranche weiß sie, dass gute Kontakte und Kenntnisse zu den Überlegungen von Geldgebern allein nicht ausreichen, "um Schwachpunkte zu kaschieren."

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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