Ein Urteil mit noch unkalkulierbaren Folgen: Versicherungen müssen künftig einheitliche Tarife für Frauen und Männer anbieten. Unterschiedliche Prämien auf Grundlage des Geschlechts sind nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) diskriminierend. Entsprechende Ausnahmeklauseln müssen bis Ende 2012 abgeschafft werden, entschied das höchste europäische Gericht in Luxemburg. Das Urteil wird sich auf die Tarife jedes Einzelnen auswirken - nicht immer positiv.
Es gab bereits erste Einschätzungen von Versicherern, dass ein solches Urteil teurere Tarife für alle nach sich ziehen wird. Steht aus Ihrer Sicht zu befürchten, dass die Versicherungstarife steigen?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Ein Bespiel aus den aktuellen Tarifen: Eine junge Frau bekommt heute eine günstigere Autoversicherung als ein junger Mann, der sein erstes Auto zulässt. Statistisch ist erwiesen, dass junge Männer mehr Unfälle bauen - darum ist ihr Tarif höher. Diese junge Frau wird sicher in Zukunft etwas mehr für ihre Versicherung bezahlen müssen - und dabei, so gesehen, das Risiko der Männer mitzufinanzieren. In anderen Fällen, bei einer privaten Rentenversicherung, bekommen Männer in der Regel mehr aus den gezahlten Beiträgen - weil statistisch eine etwa fünf Jahre geringere Lebenserwartung haben. Mal werden also künftig die Frauen mehr zahlen, mal die Männer. Und es könnte dazu kommen, dass man für die neuen Kalkulationsunsicherheiten Puffer einbauen muss. Daher kann es sein, dass in der Tendenz die Versicherungen ein bisschen teurer werden.
Welche Arten von Versicherungen sind von dem Urteil betroffen?
Das Urteil wird vor allem Folgen für die Kfz-Versicherungen, Lebens- und Rentenversicherungen, Unfall- und private Krankenversicherungen haben - aber es gibt Abstufungen. Autoversicherungen zum Beispiel haben viele Spezifizierungen, nach denen man eingeordnet wird, das Geschlecht ist nur eine davon. Für Lebens- oder Rentenversicherungen hingegen ist das Geschlecht ein ganz wichtiger Faktor, den Frauen leben einfach im Schnitt fünf Jahre länger als Männer.
Werden bereits abgeschlossene Verträge nachträglich geändert?
Bereits bestehende Verträge sind gemäß dem Urteil nicht betroffen. Bis zum 21.12.2012 muss das Urteil in nationales Recht umgesetzt werden. Sofern der Gesetzgeber an der Richtlinie nichts mehr ändert, müssen ab diesem Zeitpunkt Unisex-Versicherungsverträge geschlechtsunabhängig angeboten werden.
Wer proftiert von dem Urteil, wer ist eher im Nachteil? Frauen oder Männer?
Das kommt auf die Versicherung an - mal werden die Frauen die Männer mitfinanzieren, mal ist es anders herum.
Immer wieder werden Vermutungen laut, dass dieses Urteil für die Versicherer ein willkommener Anlass ist, die Tarife durch die Bank zu erhöhen.
In Deutschland gibt es etwa 400 Versicherer - und am Ende des Tages muss jeder sicherstellen, dass er seine Leistungen erbringen kann. Die Unternehmen müssen am Markt mit attraktiven Produkten bestehen, und das gestaltet sich auch über den Preis. Kein Versicherungsunternehmen hat ein Interesse daran, besonders teure Produkte anzubieten.
Gibt es bereits Versicherungen, bei denen geschlechtsunabhängig gerechnet wird?
Haftpflichtversicherungen etwa haben Unisex-Tarife - denn es ist egal, wem ein Missgeschick passiert. Auch bei den Riester-Renten hat der Gesetzgeber bereits 2006 den Unisex-Tarif eingeführt. Hinzu kommen verschiedene Industrieversicherungen und die Rückversicherer - alle Versicherungen also, bei denen das Geschlecht nicht in erster Linie eine Rolle spielt.
Es heißt in dem Urteil, die Versicherungsbranche müsse bis spätestens 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife anbieten - ist das zu schaffen?
Das ist wie ein Ping-Pong-Spiel. Nach dem Spruch des EuGH muss eine Richtlinie umgesetzt werden - erst in europäisches Recht, dann muss der nationale Gesetzgeber noch kommen und entscheiden. Und dann kann es sein, dass von anderer Seite nochmal geklagt wird. Heute und morgen ändert sich erstmal nichts.
Müssen Versicherungstarife in Zukunft ganz anders berechnet werden als heute? Welche Konsequenzen hätte das?
Man wird in Zukunft nicht mehr risikogerecht eingestuft. Die Tarife, bei denen die Versicherer heute die Statistiken zur Hilfe nehmen, können so nicht mehr berechnet werden. Man wird die Tarife ausmitteln müssen. Dass führt nicht zu mehr Gerechtigkeit für den einzelnen Kunden.