EU vs. Google:Verdächtiger Pförtner

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Da schaute auch das Silicon Valley zu: EU-Kommissarin Margrethe Vestager verkündet 2018 eine weitere Milliardenstrafe gegen Google. (Foto: John Thys/AFP)

Der Suchmaschinen-Konzern soll seine Macht als Tor zum Internet missbraucht haben. Ein Verfahren vor dem EU-Gericht will klären, was erlaubt ist. Es könnte wegweisend sein.

Von Björn Finke, Brüssel

Drei Tage sind für die mündliche Verhandlung in der Rechtssache T-612/17 angesetzt; am Mittwoch ging es los vor dem EU-Gericht in Luxemburg, am Freitag ist Schluss. Neben den beiden Streitparteien nehmen zehn Unterstützer an dem Verfahren teil, neun auf Seite der EU-Kommission und einer auf Seite des Internet-Unternehmens Google und seines Mutterkonzerns Alphabet. Viel Aufwand, aber es geht ja auch um viel - um sehr viel: um eine Strafe von 2,4 Milliarden Euro, um die Erfolgsbilanz von Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager und darum, wie Europa mächtige Online-Unternehmen in Schranken weisen kann.

Wettbewerbshüterin Vestager verhängte die Strafe vor zweieinhalb Jahren, weil der US-Konzern seine marktbeherrschende Stellung ausgenutzt haben soll. Es ging um Shoppingdienste: Gibt jemand etwa den Namen eines Fernsehermodells bei Google ein, erscheinen in der Ergebnisliste Anbieter, die den Preis für das Gerät bei verschiedenen Läden vergleichen. Google baute seinen eigenen Shoppingdienst auf - und platzierte den sehr prominent auf den Ergebnisseiten, während die etablierten Rivalen erst deutlich weiter unten auftauchten, so der Vorwurf der Kommission.

In den Jahren 2018 und 2019 legte Vestager nach: Die Wettbewerbskommissarin, die im Dezember zur Vizepräsidentin aufstieg und nun auch für Digitalpolitik zuständig ist, brummte den Kaliforniern zwei weitere Strafen auf. Sie sollen ihre Macht bei Handybetriebssystemen und Online-Werbung zulasten von Rivalen ausgenutzt haben. Die drei Strafen summieren sich auf mehr als acht Milliarden Euro.

Google legte stets Widerspruch ein, nun beginnt das erste Verfahren. Der Konzern bestreitet, andere Preisvergleichsdienste benachteiligt zu haben; Änderungen beim Suchalgorithmus und der Präsentation dienten lediglich dazu, die Ergebnisse für Nutzer zu verbessern. Zudem habe die Kommission Fehler bei der Beweisaufnahme gemacht. Der Ansatz der Brüsseler Behörde behindere "innovative Technologien", sagte ein Anwalt Googles am Mittwoch. Das Urteil der fünf Richter wird nicht vor Ende des Jahres erwartet, und dann ist Berufung zum Europäischen Gerichtshof möglich, der höchsten Instanz.

Unterstützt das Gericht Vestagers Auffassung, könnte das weitreichende Folgen haben. So könnte die Kommission bei weiteren Branchen untersuchen, ob der Internet-Konzern, der beständig in neue Geschäftsfelder vordringt, Rivalen unfair benachteiligt. Für zahlreiche Bürger ist die Suchmaschine das Eingangstor zum Internet - als Pförtner und Wegweiser hat Google daher viel Macht. Erst zu Beginn dieser Woche schickten 34 Unternehmen, die im Internet Ferienhäuser vermitteln, und deren Branchenverbände einen Brief an die dänische Kommissarin. Darin beschweren sie sich über Googles neuen Ferienwohnungs-Suchdienst, der sehr prominent auf den Ergebnisseiten auftaucht.

Beraten werden die Firmen von Thomas Höppner, Partner im Berliner Büro der Anwaltskanzlei Hausfeld. Zugleich ist der Jurist beim Shoppingdienste-Verfahren in Luxemburg beteiligt - er arbeitet für drei Unterstützer der EU-Kommission, darunter die deutschen Verlegerverbände BDZV und VDZ. Höppner sagt, dieser Prozess sei ein "klarer Präzedenzfall" für die Beschwerde der Ferienwohnungs-Makler.

Ein Sieg in Luxemburg könnte Vestager auch ermutigen, härter gegen weitere mächtige Webkonzerne vorzugehen. Die liberale Politikerin startete im vorigen Sommer eine Untersuchung gegen Amazon. Die Webseite ist eine Plattform für andere Händler, verkauft aber ebenfalls auf eigene Rechnung. Die Kommission prüft nun, ob die Amerikaner die anderen Händler benachteiligen. Vestager deutete zudem an, über die Dominanz des Zahlungsdienstes Apple Pay beunruhigt zu sein.

"Eine Tendenz, wie es ausgehen könnte, dürfte schon am Freitag absehbar sein."

Das Verfahren in Luxemburg behandelt nur Googles Strafe. Die Kommission forderte den Konzern jedoch zugleich auf, die Benachteiligung anderer Preisvergleichsdienste zu beenden. Im vergangenen November klagten allerdings 41 Anbieter in einem Schreiben an Vestager, dass Googles Anpassungen unzureichend seien. Beraten wurden sie wieder vom Berliner Kartellrechtler Höppner. Er hofft, dass ein Erfolg im laufenden Prozess dazu führen werde, dass die Kommission Nachbesserungen verlangt. "Eine Tendenz, wie es ausgehen könnte, dürfte schon am Freitag absehbar sein", sagt er.

Vestager erarbeitete sich durch ihren harten Kurs gegen Google und andere Konzerne den Ruf einer eisernen Streiterin für Fairness. Doch ob diese Entscheidungen vor Gericht Bestand haben, zeigt sich erst jetzt. Im September begann etwa das Verfahren zur Steuernachzahlung von Apple. Vestager verlangte, dass das Unternehmen 13 Milliarden Euro plus Zinsen an den irischen Fiskus überweist, wegen illegaler Staatsbeihilfen. Unterliegt die Kommission bei derart spektakulären Fällen vor Gericht, würde dies das Image der Vizepräsidentin ankratzen. Zugleich würde die Behörde wohl bei ähnlichen Fällen demnächst weniger forsch voranschreiten.

Allerdings könnte sich die Rechtslage, der Rahmen des Erlaubten, bald ändern - zulasten der dominierenden Webkonzerne. Die EU-Kommission will bis Jahresende ein Gesetz über digitale Dienste vorlegen, und darin soll es auch um die Macht von Internetplattformen wie Google, Amazon oder Facebook gehen, die Unmengen an nützlichen Daten anhäufen und damit den Wettbewerb beschränken könnten.

In einem Gespräch mit der SZ sagte Vestager kürzlich, vielleicht sei es nötig, "neu zu interpretieren, welche Pflichten ein marktbeherrschendes Digitalunternehmen hat". Kartellrechtler Höppner schätzt, das Luxemburger Verfahren könnte ebenfalls in die Gesetzgebung einfließen: "Wenn das Gericht feststellt, dass Googles Verhalten in Ordnung war, ist es schwierig zu argumentieren, dies jetzt per Gesetz verbieten zu wollen", sagt er. "Das Gericht muss die Frage beantworten: Ist solch ein Verhalten eine Sauerei oder nicht?"

© SZ vom 13.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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