EU-Streit über Staatsschulden:Offensiv ins Defizit

Lesezeit: 2 min

Was der deutsche Finanzminister verzweifelt zu verhindern sucht, hat sein französischer Kollege Mer tout simplement als Fakt verkündet: Frankreich werde 2004 zum dritten Mal in Folge gegen das Euro-Defizitlimit von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verstoßen. Die Freude darüber in der EU hält sich in Grenzen.

Alexander Hagelüken

(SZ vom 16.7.2003) — Die neue französische Kritik am Stabilitätspakt löste beim Treffen der EU-Finanzminister eine heftige Kontroverse aus. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) lehnte das Ansinnen Chiracs ab, die Defizitregeln für eine gewisse Zeit auszusetzen: "Wir brauchen keine Diskussion über eine Lockerung und Veränderung des Pakts".

Der Stabilitätspakt sei jeder Anforderung gewachsen — "also auch, um Wachstum zu bekommen". Staatssekretär Caio Koch-Weser sagte, Eichels Ansicht sei unter den Finanzministern "breiter Konsens" gewesen.

"Der Stabilitätspakt ist ein flexibles Mittel, das auch unter jetzigen Umständen Wachstum und Stabilität bieten kann", sagte der amtierende Vorsitzende der Euro-Gruppe, Italiens Finanzminister Giulio Tremonti. Sein österreichischer Kollege Karlheinz Grasser forderte Sanktionen gegen Länder, die dauerhaft gegen die Drei-Prozent-Grenze verstoßen und Sparanweisungen der anderen EU-Staaten ignorieren.

Laufende Strafverfahren

Gegen Frankreich und Deutschland laufen bereits Strafverfahren wegen Verletzung des Stabilitätspakts. Beide Staaten könnten im Jahr 2004 erneut ein Haushaltsdefizit von mehr als drei Prozent erreichen. In diesem Fall können die EU-Staaten verpflichtende Sparauflagen und Geldbußen in Milliardenhöhe beschließen.

Während Eichel ankündigte, Deutschland wolle die Marke 2004 einhalten, fachte der französische Finanzminister Mer die Diskussion weiter an. Mer relativierte in keiner Weise die Äußerung Chiracs, der am Montag in einer Rede zum Nationalfeiertag für eine Aussetzung der Defizitregeln plädiert hatte.

Zudem räumte Mer in der vertraulichen Diskussion der Finanzminister offenbar ein, dass Frankreich im kommenden Jahr erneut die Defizitgrenze überschreiten werde. Dies berichteten der österreichische Finanzminister Grasser und sein irischer Kollege Charles Mc Creevy.

Immer unwahrscheinlicher wird aber auch die Ankündigung von Finanzminister Eichel, 2004 einen Verstoß gegen den Stabilitätspakt zu vermeiden. Eichel hat die Einhaltung der Drei-Prozent-Grenze an ein Wachstum von zwei Prozent im kommenden Jahr gebunden. Nach Angaben von EU-Währungskommissar Pedro Solbes haben sich die Konjunkturaussichten in der Eurozone weiter verschlechtert.

Für dieses Jahr rechnet Solbes nur noch mit einem Wachstum von 0,7 Prozent, für kommendes Jahr mit 2,3 Prozent. Ein deutlicher Aufschwung könnte sich bis 2005 hinauszögern. Endgültig beigelegt ist der Streit um die Nachfolge des ersten Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Wim Duisenberg.

Trichet erwartungsgemäß nominiert

Die Finanzminister nominierten erwartungsgemäß den Gouverneur der französischen Notenbank, Jean-Claude Trichet, der das Amt am 1. November antreten soll. Vom Direktorium der Zentralbank und vom Europäischen Parlament wird kein Widerstand erwartet.

Die Ernennung Trichets war erst möglich geworden, nachdem ein Pariser Gericht den 60-Jährigen im Juni vom Vorwurf der Verwicklung in einen Betrugsskandal freigesprochen hatte.

Um die Besetzung des Chefpostens bei der Zentralbank hatte es von Anfang an Streit gegeben. Frankreich wollte Trichet bereits 1998 als ersten EZB-Präsidenten durchsetzen, scheiterte aber am Widerstand der anderen EU-Staaten, die Duisenberg favorisierten.

Der französische Staatschef verlangte daraufhin eine kürzere Amtszeit Duisenbergs, der in diesem Herbst nach nur vier Jahren abtritt. Trichet soll dagegen für acht Jahre amtieren, wie es das EU-Recht für den Posten des EZB-Präsidenten vorsieht.

Debatte über Konjunkturplan

Keinen Beschluss fassten die Finanzminister über den Vorschlag der italienischen Ratspräsidentschaft, die europäische Konjunktur mit einem Infrastrukturprogramm anzukurbeln. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi will 60 bis 70 Milliarden Euro für den Ausbau von Verkehrswegen und die Förderung der Forschung ausgeben.

Die Mittel sollen über Kredite der Europäischen Investitionsbank und über staatlich garantierte Darlehen an private Investoren aufgebracht werden. Staatssekretär Koch-Weser sagte, wichtig sei, dass bei dem Programm die Belastung der öffentlichen Haushalte minimiert und ein Maximum an privater Finanzierung erreicht werde.

Auch wirkten Infrastrukturprojekte oft erst mittelfristig. Die Finanzminister wollen im Oktober weiter über den Vorschlag beraten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: