EU-Politik :Viel Geld, Streit, Drama

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Der neue EU-Handelskommissar Phil Hogan will die WTO reformieren. (Foto: Kenzo Tribouillard/AFP)

Die neue EU-Kommission muss bald wichtige Entscheidungen treffen - zum Haushalt, zum Klimaschutz und zu den Beziehungen zu Großbritannien.

Von Björn Finke, Brüssel

Die neue EU-Kommissionspräsidentin gibt sich tatendurstig. "Let's get to work", also: Lasst uns an die Arbeit gehen, rief Ursula von der Leyen den Abgeordneten des Europaparlaments zu, als sie in Straßburg ihr Kollegium und ihr Programm vorstellte. Von der Leyens Kommission konnte erst im Dezember ihr Amt antreten, einen Monat später als geplant, weil die Parlamentarier drei Kandidaten für Kommissarsposten abgelehnt hatten. Nach drei Wochen Arbeit begannen dann schon die Weihnachtsferien. Dafür stehen im neuen Jahr umso mehr Themen an. 2020 wird spannend - ein Überblick:

Reform des Stabilitätspakts

Bereits im Januar wird Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni Ergebnisse einer Untersuchung zu den Stärken und Schwächen des Stabilitätspakts vorlegen. Dieses Regelwerk soll sicherstellen, dass die Staaten mit der Euro-Währung solide Haushaltspolitik betreiben. Fachleute und einige Finanzminister fordern Anpassungen - allein schon, weil der Stabilitäts- und Wachstumspakt als zu kompliziert gilt. Allerdings gehen die Meinungen über die Richtung der Reformen auseinander. Gentiloni kündigte in einem SZ-Gespräch an, nach ausgiebigen Beratungen im zweiten Halbjahr 2020 Reformvorschläge zu präsentieren. Ob Gesetzesänderungen nötig seien oder bloß Vereinfachungen und Interpretationshilfen, sei offen, sagte der frühere italienische Premierminister. Entscheidend sei, dass die Haushaltsregeln in Zukunft auch den Kampf gegen den Klimawandel unterstützten.

Europas Grüner Deal

Klimaschutz ist eines der wichtigsten Anliegen der neuen Kommission. Von der Leyen nennt ihr ehrgeiziges Programm einen "europäischen Grünen Deal", in Anlehnung an den "New Deal", die wegweisenden Reformen von US-Präsident Roosevelt während der Weltwirtschaftskrise. Um ärmere Mitgliedstaaten beim grünen Umbau ihrer Wirtschaft zu unterstützen, will die deutsche Kommissionspräsidentin einen "Fonds für einen fairen Übergang" auflegen, also einen Subventionstopf. Details zu diesem Fördermittel-Budget möchte die frühere Verteidigungsministerin im Januar vorstellen. Im März, kurz vor Ende der ersten hundert Tage im Amt, wird die Kommission ein Klimagesetz präsentieren, welches das Ziel festschreibt, den Kontinent bis 2050 klimaneutral zu machen. Dieser Begriff bedeutet, dass wirtschaftliche Aktivitäten die Menge an Klimagasen in der Atmosphäre nicht mehr erhöhen dürfen. Alle Mitgliedstaaten bis auf Polen haben sich bereits auf dieses Ziel verpflichtet.

Haushalt für die Jahre bis 2027

Länder wie Polen oder Tschechien betonen, dass sie ambitionierte Klimaziele nur mittragen können, wenn sie ausreichend unterstützt werden. Doch wie üppig der Fonds für einen fairen Übergang ausfällt, hängt auch von der Größe des EU-Budgets ab. Die Regierungen streiten gerade über den Haushaltsrahmen für die sieben Jahre von 2021 bis 2027. Die Gespräche sind noch schwieriger als sonst, weil mit Großbritannien ein wichtiger Beitragszahler wegfällt. Die Bundesregierung und vier andere Netto-Zahler - das sind Länder, die mehr nach Brüssel überweisen als von dort zurückfließt - dringen auf Sparsamkeit; die Positionen liegen weit auseinander. Im Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, und es ist gut möglich, dass der Disput erst dann beigelegt wird.

Industriepolitik und Digitales

Im März soll nicht nur das Klimagesetz vorgestellt werden, sondern ebenso die neue Industriestrategie. Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton wird unter anderem Vorschläge machen, wie die Rolle europäischer Firmen bei Schlüsselthemen gestärkt werden kann: etwa bei Roboterautos, Onlinesicherheit oder dem Internet of Things, also der Digitalisierung und Vernetzung von Fabriken und Gütern. Am gleichen Tag wird zudem ein Aktionsprogramm zur Förderung der Kreislaufwirtschaft präsentiert. Hier geht es darum, Rohstoffe zu sparen und weniger wegzuwerfen. Bis Ende des Jahres will Brüssel auch ein Gesetz über digitale Dienste vorlegen. Die neuen Haftungs- und Sicherheitsregeln richten sich gegen die Verbreitung illegaler Inhalte über Plattformen wie Facebook oder Twitter.

Handelsstreitigkeiten

Der neue Handelskommissar Phil Hogan musste sich schon an einem seiner ersten Tage im Amt mit einer Krise herumschlagen: Das Berufungsgericht der Welthandelsorganisation WTO ist seit Mitte Dezember nicht mehr arbeitsfähig, weil die US-Regierung die Ernennung neuer Richter blockiert. Hogan will 2020 eine Reforminitiative für die WTO starten, aber ob das US-Präsident Donald Trump von seiner Sabotagetaktik abbringt, ist offen. Bis Sommer soll daher die EU-Verordnung geändert werden, die regelt, wie Hogan bei Handelsstreitigkeiten reagieren kann. Die Anpassungen ermöglichen es, auch ohne WTO-Richterspruch Vergeltungszölle zu verhängen. Ein anderes wichtiges Thema ist das Investitionsabkommen mit China. Der Vertrag soll die faire Behandlung von EU-Firmen in dem Land garantieren. Ursprünglich hieß es, er werde im September bei einem Gipfeltreffen in Leipzig unterzeichnet, doch zuletzt stockten die Verhandlungen.

Neues Kapitel im Brexit-Drama

Das wohl bedeutendste Abkommen, das 2020 abgeschlossen werden soll, betrifft Großbritannien. Nach dem Brexit am 31. Januar beginnt eine Übergangsphase, in der sich wenig ändert. Sie läuft bis Ende 2020, und in dieser Zeit müssen sich Brüssel und London auf einen Handelsvertrag einigen, damit im Januar 2021 keine Zölle eingeführt werden. Der Austrittsvertrag erlaubt die Verlängerung der Übergangsphase um bis zu zwei Jahre, aber der britische Premier Boris Johnson schließt das aus. Im Herbst könnten die EU und Großbritannien daher wieder auf eine harte Landung zusteuern: auf ein Auslaufen der Übergangsphase ohne Anschlussabkommen. Der Brexit ist ja immer für ein paar Dramen gut.

© SZ vom 02.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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