"Es läuft bei den Steuereinnahmen verdammt gut":Erstaunte Schätzer

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Selbst die Experten wundern sich: Der Staat wird 2007 erstmals mehr als eine halbe Billion Euro einnehmen.

Ulrich Schäfer

Der Steuerschätzer Alfred Boss hat schon manches erlebt - aber so etwas noch nicht. Die Steuereinnahmen steigen, und der Mann vom Institut für Weltwirtschaft weiß auch nicht mehr, warum. Na klar, die Wirtschaft boomt. Aber dadurch allein lässt sich nicht erklären, wie viel Geld derzeit in die Kassen des Fiskus strömt.

Er kann sich über unerwartet hohe Steuereinnahmen freuen: Finanzminister Peer Steinbrück (Foto: Foto: dpa)

Die Firmen verdienen prächtiger denn je - aber die Unternehmensteuern erhöhen sich noch schneller. Die Bürger kaufen mehr ein - doch die Mehrwertsteuer wächst noch schneller.

Konsum läuft auch nach der WM gut

Rätsel über Rätsel. Auch Boss kann sie nur zum Teil entschlüsseln. Die Körperschaft- und Gewerbesteuer, vermutet er, steige deshalb so schnell, weil nun ein paar Gesetzesverschärfungen greifen. Und die Mehrwertsteuer? "Offenbar läuft der Konsum auch nach der Fußball-Weltmeisterschaft gut", mutmaßt der Ökonom.

Selbst die Lohnsteuer, die nach der rot-grünen Steuerreform ständig gelitten hatte, entwickelt sich prächtig. "Irgendwo muss es also neue Jobs geben", sagt Boss.

Zahlen nach oben korrigieren

Und so werden die Steuerschätzer in diesem Herbst in eine ungewohnte Rolle fallen: Sie müssen ihre Zahlen, anders als sonst meist üblich, nicht kräftig nach unten korrigieren - sondern noch kräftiger nach oben. "Es läuft bei den Steuereinnahmen verdammt gut", sagt Boss. "Es entwickelt sich viel besser, als wir zu träumen gewagt haben", sagen Leute aus dem Bundesfinanzministerium, die nicht genannt werden wollen.

Und so werden Boss und seine Kollegen am 3. November, wenn der Arbeitskreis Steuerschätzung tagt, ihre Prognose aus dem Frühjahr kräftig nach oben revidieren müssen - wie weit nach oben, darf Boss nicht sagen. So wollen es die Regeln, die sich die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute selbst auferlegt haben.

Denn bereits am Donnerstag werden sie erstmals ein wenig den Schleier lüften. Dann legen sie ihr Herbstgutachten vor. Tief versteckt in dem Papier, das sie alle halbe Jahre für die Regierung erstellen, werden die sechs Institute eine erste, wenn auch vorläufige Prognose abgeben, zwei Wochen werden sie dann gemeinsam mit ihren Kollegen aus Bund und Ländern dann nochmals ganz genau das Steueraufkommen schätzen. Es wird, so viel ist klar, gewaltig sein.

Zur Zeit kann Boss nur auf seine letzte, ganz persönliche Prognose verweisen, enthalten im Konjunkturbericht des Instituts vom September. Damals hat er geschätzt, dass Bund, Länder und Kommunen in diesem Jahr 480 Milliarden Euro einnehmen werden; das sind 15 Milliarden Euro mehr, als die Steuerschätzer noch im Mai vorausgesagt haben - und schon da hatten sie ihre Zahlen um acht Milliarden Euro nach oben korrigiert.

30 Milliarden mehr Einnahmen als 2005

Seit September hat sich die Konjunktur aber nochmals aufgehellt, selbst die Regierung rechnet mittlerweile nicht mehr mit einem Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent, sondern mit 2,4 Prozent. Vermutlich werden es also noch ein paar Milliarden mehr sein, als Boss im September geschätzt hat, alles in allem wohl 482 oder 483 Milliarden - und mithin dreißig Milliarden mehr, als der Staat noch vor einem Jahr eingenommen hat.

Auch 2007 dürfen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) und seine Kollegen aus Ländern und Kommunen mit steigenden Einnahmen rechnen, was sich zum Teil mit der höheren Mehrwertsteuer erklärt, zum Teil aber auch mit dem so genannten Basiseffekt: Weil das Niveau dieses Jahr steigt, erhöht sich auch das Niveau im nächsten.

Schallmauer überschritten

So hat Boss im September einen Anstieg auf etwa 500 Milliarden Euro vorausgesagt. So wie es aussieht, wird diese Schallmauer nun sogar überschritten - und der Fiskus wird erstmals mehr als eine halbe Billion Euro einnehmen. Jedenfalls in der Prognose.

Boss sagt, die Schätzer seien in den vergangenen Jahren oft gescholten worden, weil sich ihre Zahlen als zu optimistisch erwiesen hätten und sie diese im Nachhinein nach unten korrigieren mussten. "Es ist doch schön", sagt der Ökonom, "wenn es jetzt mal andersherum läuft."

(SZ vom 16.10.2006)

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