Erfindergeist:Die Zukunft der Technik

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Neue Erfindungen werden anfangs überschätzt, dann aber oft unterschätzt. Falls sie es überhaupt geschafft haben, sich durchzusetzen.

Von Helmut Martin-Jung

Illustration: Claudia Klein (Foto: N/A)

Bei vielen Erfindungen lässt sich früh erahnen, welches Potenzial in ihnen steckt. Dass sich das Internet nahezu ideal dazu eignen würde, Bücher, CDs und später alle möglichen Dinge zu verkaufen, das hat zum Beispiel Jeff Bezos, der Gründer und Chef von Amazon, gesehen - und genutzt. Die Frage ist dann eher, wie lange es dauert, bis man sagen kann, eine Technik habe sich durchgesetzt. Manch einer, der sich da verschätzt hat, der zu optimistisch war, bleibt auf der Strecke - gute Idee, aber zu früh dran.

Das gilt für manche der Start-ups, die über den Jordan gingen, als um die Jahrtausendwende die erste Dotcom-Blase zerstob. Viele davon hatten aber einfach auch keine besonders gute Idee, oder keinen Plan, wie sie Geld verdienen würden. Geld von Investoren hatten sie vor allem deshalb bekommen, weil sie mit dem Zauberwort Internet für sich werben konnten, also dem kommenden großen Ding jener Zeit. Das Internet ist als Basistechnologie heute unverzichtbar. Der Glanz ist allerdings verblasst, weil es - wie jede Technik - auch negative Begleiterscheinungen mit sich gebracht hat.

Es braucht also nicht allzu viel prophetische Gabe um vorherzusagen, dass es bei den gehypten Erfindungen von heute nicht anders sein wird. Sind sie so weit entwickelt, dass man absehen kann, was in ihnen steckt, verbinden viele sehr hohe Erwartungen damit. Es muss nicht immer gleich die Rettung des Menschengeschlechts sein, aber die Welt zu einem besseren Ort zu machen, bezeichnet schon fast die Mindesthöhe der Latte, die man verbal setzt.

Doch meist tun sich unerwartete Probleme auf. Auch das sollte niemanden wirklich überraschen. Denn wenn es darum geht, eine Technik zur Reife zu bringen, zeigt sich, dass die letzten 20 Prozent des Weges 80 Prozent des Aufwandes erfordern. Fehlen dann Energie oder Motivation, diesen Aufwand zu betreiben, kann es auch das Ende einer vielversprechenden Erfindung bedeuten, oder aber ihren Dornröschenschlaf. So geschehen mit der künstlichen Intelligenz (KI). Vor Jahrzehnten schon meinten einige Forscher, man werde es in einigen Jahren geschafft haben, die grundlegenden Fragen zu lösen. Als das dann aber ausblieb, versiegten die Quellen des Fördergeldes.

Illustration: Claudia Klein (Foto: N/A)

Manche Technologien erwachen aus diesem Schlaf, andere dämmern auf ewig dahin, in der Hoffnung auf einen Funken, der die Flamme wieder entzündet. Technologien, die es geschafft haben, das Tal der Enttäuschung zu überwinden oder die, wie die künstliche Intelligenz, aus ihrer Schlafstarre befreit wurden, werden im Lauf der Zeit mehr und mehr selbstverständlich. Die Welt wartet zwar noch immer - und das vermutlich auch noch sehr lange - auf eine allgemeine künstliche Intelligenz, die es mit der menschlichen aufnehmen kann.

Doch viele spezialisierte KI-Anwendungen gehören längst zum Alltag, zum Beispiel die Spracherkennung, die in den vergangenen Jahren gewaltige Fortschritte gemacht hat. Fortschrittliche Firmen optimieren mit KI die Produktion, Anbieter wie Netflix nutzen die Technik, um ihren Nutzern Inhalte vorzuschlagen, die sie interessieren könnten.

Doch das ist erst der Anfang. Weltweit wird mit Hochdruck daran gearbeitet, bei dieser Technologie nicht den Anschluss zu verlieren. In den USA sind es die großen Konzerne, die Milliarden investieren, in China ist es vor allem der Staat. Auch in Europa versuchen die EU und nationale Regierungen, die Entwicklung voranzutreiben. Das alles schließt nicht aus, dass es doch nicht so schnell vorangeht, wie viele hoffen, manche aber auch befürchten.

Denn diese Gruppe gibt es auch, Menschen, die in der neuen Welt vor allem das Negative sehen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Das hat nicht nur seine Berechtigung, das ist bitter nötig. Zumindest so lange, wie die Warnungen nicht umschlagen in bloße Angstmacherei. Damit ist niemandem gedient. Ein vorausschauendes Abwägen der Risiken dagegen kann viel Ärger und auch Leid ersparen. Man muss schließlich nicht jeder neuen Erfindung nachrennen, bloß weil sie neu ist. Neu heißt nicht immer besser.

So sehr auch die Begeisterten und die Warner auseinanderliegen mögen, in einem gleichen sie sich oft auf erstaunliche Weise. Ist eine neue Technik erst einmal etabliert, wird ihr Potenzial eher unterschätzt. Wie wichtig es für Unternehmen heute ist, eine vernünftige Digitalisierungsstrategie zu entwickeln - in vielen Firmen ist das noch immer nicht angekommen. Auch die Politik hat sich in diesem Punkt nicht durch Voraussicht ausgezeichnet, sondern die Entwicklung verschlafen. Nun soll das alles aufgeholt werden, schnelles Internet, Digitalisierung der Verwaltung und vieles mehr, aber das ist natürlich eine schwierige Angelegenheit, wenn man aus der Defensive agiert.

Wenn man nur wüsste, welche Technologien wirklich die Zukunft prägen werden. Wir haben einige vielversprechende neuere Entwicklungen zusammengestellt und versucht zu bewerten, wie zukunftsträchtig sie wirklich sind. Wie so oft gilt aber auch hier: Hinterher ist man immer schlauer.

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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