Erdbeben:Produktionsstopp  in Japan

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Straßen sind zerstört, Dutzende Menschen starben: Die Beben treffen außerdem indirekt das übrige Japan stärker als frühere Katastrophen. (Foto: Kazuhiro Nogi/AFP)

Die Erdbeben haben Folgen für die Konjunktur und die Wirtschaftspolitik des Landes. Sony musste die Herstellung von Bildsensoren für Kameras stoppen, weil ein Werk beschädigt wurde.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die beiden Erdbeben von Kumamoto, bei denen 43 Menschen starben, treffen alle Japaner, nicht nur die Menschen auf der Insel Kyushu. Sie erschüttern die gesamte Wirtschaft des Landes. Auf Kyushu wurden am Montag noch neun Menschen gesucht. Man zählte 1100 Verletzte, etwa 100 000 mussten auch die Nacht auf Dienstag in Notunterkünften ausharren, in denen es an Lebensmitteln fehlt. Viele von ihnen werden für Monate in den provisorischen Quartieren bleiben müssen. Die beiden Haupt- und ihre 500 Nachbeben treffen das übrige Japan stärker als frühere, vergleichbare Katastrophen - und stärker, als die meisten Japaner ahnen. Die Erdstöße fallen ausgerechnet in eine Zeit, in der viele Japaner und besonders der Finanzmarkt den Glauben an Abenomics verloren haben - an die Wirtschaftspolitik von Premier Shinzo Abe. Die Kombination aus üppigen Ausgaben, einer sehr lockeren Geldpolitik und Strukturreformen hat die Wirtschaft nur vorübergehend fit gemacht, jetzt zeigt sie wieder Schwäche. Schon vor den Beben von Kyushu rutschte Japans Wirtschaft in eine Rezession zurück. Die Geldpolitik der Zentralbank sollte angeblich die Deflation überwinden, doch vor allem wurde der Yen geschwächt. Sie ist ohne Wirkung verpufft. Die japanische Währung legte seit Wochen deutlich zu, ein Trend, der sich am Montag verstärkte - wie immer nach Naturkatastrophen. Ein stärkerer Yen verdüstert die Gewinnaussichten von im Ausland tätigen Unternehmen, die ihre Profite zurück ins Land holen. Die Konzerne konnten für 2015 Rekordprofite melden - in Yen. 2016 wird das voraussichtlich weniger sein. Zudem lässt der Privatkonsum schon seit einiger Zeit nach, die Preise stagnierten, nicht erst seit der Katastrophe. Die Börse brach ein, weil die Ausländer ihren Glauben an Abenomics verloren haben. Abe ist es mit seinen vielen Stimulierungspaketen nicht gelungen, die Wirtschaft anzukurbeln. Und die Notenbank hat ihre Ziele gründlich verfehlt, obwohl sie bereits ein Drittel aller Staatsanleihen und einen wesentlichen Teil aller in Tokio börsengehandelten Aktienfonds hält.

Die Katastrophe hat Abe und Notenbankchef Haruhiko Kuroda Argumente in die Hand gespielt. Kuroda wird die Geldpolitik noch im April weiter lockern, zumindest erwartet dies der Markt. Und Abe will im Mai ein bereits vor dem Beben skizziertes Konjunkturpaket schnüren, und im Juli eines speziell für die Opfer von Kyushu.

Letzteres mag den Opfern helfen. Aber bisher hat die Zentralbank mit der Geldpresse vor allem die Geldmenge aufgeblasen, den Finanzmarkt verzerrt und damit langfristig aus dem Gleichgewicht gebracht. Abe hat mit den Konjunkturpaketen vor allem Japans Schuldenberg vergrößert.

Sony muss die Herstellung des derzeit erfolgreichsten Produkts aussetzen

Konkreter als diese indirekten Folgen der Erdbeben von Kyushu, aber vielleicht weniger nachhaltig, sind ihre direkten Schäden. Toyota wird im Laufe dieser Woche alle Produktionslinien in Japan stoppen müssen, weil die Fabriken des Zulieferers Aisin Seiki, der Autotüren herstellt, vom Erdbeben beschädigt wurden. Mindestens 50 000 geplante Fahrzeuge werden vorerst nicht gebaut.

Sony musste die Produktion von Bildsensoren für Kameras stoppen, dem derzeit erfolgreichsten Produkt der Firma, weil ihr dafür wichtigstes Werk in Kumamoto beschädigt wurde. Die Aktien von Toyota und Sony gaben deutlich nach.

In Sendai, ganz im Süden von Kyushu, steht das einzige Atomkraft Japans, das derzeit am Netz hängt. Die Betreiberin Kyushu Electric beeilte sich zu melden, die zwei Reaktoren seien intakt und liefen normal weiter. Kritische Seismologen haben stets gewarnt, der Meiler sei zu wenig erdbebensicher. Shuichi Tanaka, der Chef der neuen Atomaufsicht, der die Betriebsbewilligung für Sendai unterschrieben hat, hielt es am Montag für nötig, eine Pressekonferenz einzuberufen, in der er die Sicherheit von Sendai unterstrich. Wie er selber schon sagte, weiß er, dass die Bevölkerung kein Vertrauen in die Atomkraftwerke mehr hat. Obwohl Sendai offenbar keinen Schaden nahm, dürfte dieses Erdbeben die Zukunftschancen der Atomkraft in Japan weiter schmälern.

Die bekannte Ökonomin Kathy Matsui von Goldman Sachs erwartete nach der Katastrophe 2011, die Regierung müsse nun das größte Konjunkturpaket schnüren, das Japan je gesehen habe. Trotz allem Leid, meinte Matsui damals, werde der Schock von Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe Japan schließlich wiederbeleben. Ihr Optimismus erwies sich als falsche Hoffnung. Tokio überwies danach zwar viel Geld, zumindest an Firmen, die in der Region bauten. Aber den Menschen wurde wenig geholfen. Fünf Jahre danach leben in Tōhoku noch fast 100 000 Tsunamiflüchtlinge in Containern, und fast ebenso viele Fukushima-Flüchtlinge in Provisorien. Das bremst die Entwicklung der ganzen Region

© SZ vom 19.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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