Erbschaft:Wer hilft, erbt mehr

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Wenn Kinder die Pflege ihrer Eltern übernehmen, kann das zu einer finanziellen Last werden. Ihnen könnte deshalb ein höherer Erbanteil zustehen. (Foto: Jakob Berr)

Wer lang selbst für die Eltern sorgt, hat später einen größeren Anspruch auf den Nachlass. Für entfernte Verwandte gilt das jedoch nicht, sie gehen leer aus.

Von Berrit Gräber, München

Tag für Tag, sieben Jahre lang, hat sie ihre demenzkranke Mutter zu Hause auf dem großen Bauernhof im Landkreis München gepflegt. Für die Betreuung bekommt sie keinen Cent, ihr Mann sorgt für den Lebensunterhalt. Die jüngere Schwester lebt in Hamburg, der Bruder bei Frankfurt. Die Geschwister kommen nur an Weihnachten und zum Geburtstag der Mama zu Besuch. Als die Mutter stirbt und kein Testament hinterlässt, pocht die älteste Tochter auf einen größeren Erbteil. Die Geschwister sollen ihr für die jahrelange Pflegeleistung einen Ausgleich zahlen. Der Nachlass von fast 900 000 Euro gäbe das locker her. Doch die Geschwister sperren sich. Der Streit wird bald vor Gericht landen. Müssen sie ihrer Schwester einen Pflegebonus abtreten?

Grundsätzlich ja. Seit der Erbrechtsreform 2010 ist klar gesetzlich geregelt, dass ein pflegendes Kind Anspruch auf einen größeren Anteil vom Nachlass hat als seine miterbenden Schwestern und Brüder, wie Jan Bittler erläutert, Fachanwalt für Erbrecht und Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge (DVEV). Das gilt unabhängig davon, ob es für die Betreuung aus dem Beruf ausgestiegen ist und Einkommenseinbußen hinnehmen musste oder nicht. Gibt es kein Testament wie im Fall der Münchner Familie, sind die Geschwister verpflichtet, den unentgeltlichen Einsatz ihrer Schwester finanziell zu honorieren. Diese müsste nicht einmal allein die Pflege der Mutter gestemmt haben. Ihr Anspruch auf ein Extra zum regulären Erbteil besteht auch dann, wenn sie sich Unterstützung von Hilfskräften geholt und bezahlt hätte. "Was zählt, ist die Gesamtschau", sagt Erbrechtsanwalt Paul Grötsch, Geschäftsführer des Deutschen Forums für Erbrecht in München.

Doch unter Geschwistern bricht immer wieder erbitterter Streit aus, sobald sie sich auf einen konkreten Ausgleichsbetrag einigen sollen. Oft geht es um viel Geld. Die Rechtsprechung gehe von etwa 400 bis 2500 Euro im Monat aus, berichtet Bittler. Aber solche Summen können nur eine Orientierung bieten. Einen einheitlichen Stundenlohn für die häusliche Pflege von Mutter und Vater gibt es nicht, auch keine offiziellen Tabellen oder gesetzlichen Vorgaben dazu. Entscheidend ist immer auch der Wert des Nachlasses. Hat die Mutter ihren Kindern nur 20 000 Euro hinterlassen, wäre etwa ein Ausgleich von 18 000 Euro unangemessen hoch. Können sich die Geschwister nicht einigen, muss ein Gericht die knifflige Aufgabe übernehmen und den Wert der Pflege schätzen. Vor dem Landgericht Konstanz bekam 2009 eine Tochter, die ihre Mutter acht Jahre lang gepflegt hatte, beispielsweise 30 000 Euro zusätzlich zu ihrem normalen Erbanteil zugesprochen (Az. 5O 249/08 E).

Oft bestreiten Geschwister auch schlichtweg, dass sich die Schwester oder der Bruder wie angegeben um den Erblasser gekümmert hat. "Es kommt häufig vor, dass die Pflegeleistung nicht anerkannt wird", gibt Grötsch zu bedenken. Der Betroffene hat dann ein Riesenproblem. Wie soll er im Nachhinein nachweisen, wie viele Stunden er tatsächlich für die Pflege der Mutter oder des Vaters geopfert hat und was er Tag für Tag am Krankenbett geleistet hat?

Um Streit von vornherein zu vermeiden, sollten pflegende Kinder ein regelmäßiges Pflegetagebuch führen, wie eine Art Stundenzettel, empfiehlt Erbrechtsanwalt Bittler. Darin gehören Art und Dauer der Betreuung notiert, exakt mit Datum und Uhrzeit. Wer Einträge immer wieder einmal durch den Kranken gegenzeichnen lässt, geht auf Nummer sicher. "Das ist lästig und aufwendig, bringt aber Rechtssicherheit", betont auch Grötsch.

Entfernte Verwandte gehen bei diesem System leer aus

Mehr als zwei Drittel der über 2,6 Millionen Pflegebedürftigen werden von Angehörigen zu Hause betreut. Doch es sind nicht immer die Kinder, die sich um die Kranken kümmern. Hat die Schwiegertochter oder die Nichte die Pflege übernommen, nutzt das bestgeführte Tagebuch nichts, um Ansprüche geltend zu machen. Nur Kinder, Enkel und Urenkel dürfen laut Gesetz einen finanziellen Ausgleich für ihre Pflegeleistung verlangen. Entfernte Verwandte gehen im Erbfall leer aus.

Wer seine Kinder, die Schwiegertochter oder die Enkel für ihre Pflegeleistung belohnen möchte, sollte zu Lebzeiten die Weichen stellen. Das ist der beste Weg, um spätere Erbstreitigkeiten zu vermeiden. "Der Vater oder die Mutter sollten das Heft in die Hand nehmen und sich überlegen, wie eine womöglich jahrelange Pflege honoriert werden könnte", ermuntert Grötsch zum Handeln. Das geht zum Beispiel mithilfe eines simplen Vertrags, in dem eine monatliche Entlohnung festgeschrieben wird. Die Vereinbarung muss nicht notariell beurkundet sein. Es reicht, wenn sie von beiden Beteiligten unterschrieben wird.

Die Alternative: Ein Testament aufsetzen und darin die Pflegeleistung mit einer bestimmten Zuwendung honorieren. Aber Vorsicht: Wer nicht konkret wird und lediglich schreibt, dass erben soll, "wer sich kümmert", schafft nur neue Probleme.

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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