Energiepolitik:Kampf um die Kohle

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Umweltbelastende Stromerzeugung in der Nähe von Köln. Die EU-Kommission ist uneins über den künftigen Neubau von Kohlekraftwerken. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Beim UN-Gipfel in Marrakesch präsentiert sich der EU-Klimakommissar als Anwalt des Umweltschutzes - dabei will er weiter den Bau von Kohlekraftwerken ermöglichen. In Brüssel sorgt das für Streit.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Miguel Arias Cañete hält sich zurzeit in Marrakesch auf. Der EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie vertritt die Europäische Union beim UN-Klimagipfel. Und natürlich war es auch dort nur eine Frage der Zeit, bis die Rede auf den neu gewählten US-Präsidenten kam. Ob er in Donald Trump eine Gefahr für die Weltklimapolitik sehe, wurde Cañete also am Anfang dieser Woche gefragt. "Ein intelligenter Führer sollte sich nicht gegen Markttrends stellen", sagte der Kommissar. Was sich zurzeit im Energiesektor tue, sei nicht weniger als eine "globale Revolution". Der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft werde die Art ändern, wie wir Energie produzieren und verbrauchen.

Auf den ersten Blick mögen Cañetes Worte nicht überraschen. Doch je offensiver der EU-Kommissar in Marokko als Anwalt des Umweltschutzes auftritt, desto stärker reiben sich viele seiner Kollegen in Brüssel die Augen. In der Europäischen Kommission ist Cañete dafür bekannt, bei der Frage der Kohle ganz anders zu agieren, als er in Marrakesch vorgibt. Der spanische Kommissar hat jedenfalls nichts dagegen, dass in der EU auch künftig neue Kohlekraftwerke gebaut werden können. So findet sich im Entwurf für das sogenannte "Clean Energy for All Package" zur EU-Energieunion kein Passus, der dies ausschließt oder zumindest einschränkt. Die Vorschläge liegen der Süddeutschen Zeitung vor; am 30. November sollen sie präsentiert werden.

Cañete stellt sich damit gegen seine Kommissarskollegin Margrethe Vestager, die für die Wahrung des Wettbewerbs in der EU zuständig ist. Nach SZ-Informationen dringt Vestager auf eine Formulierung, die den Neubau von Kohlekraftwerken ausschließt. Sie will verhindern, dass EU-Staaten sich ein Beispiel an Großbritannien nehmen und mithilfe eines legalen Tricks weiter auf Kohle als Energielieferanten setzen. Der Trick trägt den bürokratischen Namen Kapazitätsvergütungsmechanismus. Er kommt ins Spiel, wenn es darum geht, eine ausreichende Stromversorgung zu garantieren. Am liebsten hätte Warschau ein Modell wie das Vereinigte Königreich, das die Kommission im Juli 2014 genehmigt hatte. In Wahrheit würde das nichts anderes bedeuten als den Bau neuer Kohlekraftwerke in Polen.

Die Argumente der Warschauer Regierung sind nicht neu. Seit Jahren gibt es eine Debatte: Wer auf erneuerbare Energien setzt, braucht nebenher moderne, flexible Kraftwerke, die schnell einspringen können, wenn Engpässe drohen und Wind und Sonne ausfallen. Es geht also um die Frage, ob der bestehende Strommarkt ausreichend Anreize für die notwendigen Investitionen in neue Gaskraftwerke und die Modernisierungen alter Anlagen schafft, die als Ergänzung für die Erneuerbaren taugen.

Die Kraftwerksbetreiber, die mit ihren Meilern immer weniger verdienen, sagen ganz deutlich: nein. Sie fordern einen sogenannten Kapazitätsmarkt. Dabei bekämen einige konventionelle Kraftwerke schon allein deshalb Geld, weil es sie gibt. Das System würde vor allem alte Kohlekraftwerke begünstigen, die schon lange am Netz sind und günstiger Strom produzieren als moderne Gasturbinen.

In Klammern steht: "Bezug auf die Ziele der Dekarbonisierung." Genau darum geht es jetzt

Eine Subvention alter Kohlemeiler im Dienste der Versorgungssicherheit? Genau davor warnen Kritiker eines solchen Kapazitätsmarktes. Ganz abgesehen vom Neubau solcher Kraftwerke. Genau das könnte allerdings passieren, wenn es die Brüsseler Behörde nicht eindeutig für künftige Kapazitätsmechanismen untersagt.

Im Entwurf des Kommissionsvorschlags steht in Artikel 18 der Satz: "Das Volumen, das durch den Kapazitätsmechanismus zustande kommt, sollte nicht über dem Bedarf liegen." Darauf folgt ein Zusatz, der in eckige Klammern gesetzt ist: "Bezug auf die Ziele der Dekarbonisierung." Genau darum geht es jetzt in den verbleibenden zwei Wochen. Was sind die Ziele? Setzt sich Cañete gegen Vestager durch, könnte es in Polen und anderswo zu einer Renaissance von Kohlekraftwerken kommen. Der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes hält die Brüsseler Behörde jedenfalls für nicht glaubwürdig: "Die Kommission wirbt in Marrakesch dafür, eine Führungsrolle im Kampf für ein sauberes Weltklima einzunehmen, und daheim in Brüssel öffnet sie die Tür für neue Kohlekraftwerke." Das passe nicht zusammen.

Dem Vernehmen nach hat sich der neben Cañete für die EU-Energieunion verantwortliche Kommissar Maroš Šefčovič in der Kohlekraftwerksfrage noch nicht endgültig positioniert. Er spricht gerne über die "weltweite Führerschaft der EU bei erneuerbaren Energien". Dieses Ziel steht auch so im Entwurf des Kommissionsvorschlags.

Doch darüber schwieg Cañete bislang in Marrakesch. Immerhin: Was die USA angehe, zeigte er sich optimistisch. Trump werde seine ablehnende Haltung gegenüber dem Pariser Klimaabkommen hoffentlich nicht umsetzen. Der Wahlkampf sei ja nun vorbei. Zurück in Brüssel erwartet Cañete ein anderer Kampf: der um die Kohle.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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