Einkaufen:Besser als im Internet

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Der größte Einkaufswagen-Hersteller baut heute rollende Datenträger. Einkaufen im Supermarkt soll einfacher werden als Online-Shopping.

Von Michael Kläsgen

Der Einkaufswagen hat vor Kurzem seinen 80. Geburtstag gefeiert, und bei Wanzl schmunzeln sie noch heute darüber, dass ausgerechnet hier in Leipheim, zehn Jahre später, ein Familienunternehmen entstand, das heute mehr von diesen Stahldraht-Gefährten verkauft als jedes andere in der Welt. Bernhard Renzhofer, Geschäftsführer Vertrieb von Wanzl, steht im Untergeschoss der Firmenzentrale und erzählt, wie es dazu gekommen ist. Es ist eine Geschichte von mehreren glücklichen Fügungen.

Zum einen floh die Familie Wanzl nach dem Krieg von Mähren hierher nach Leipheim bei Günzburg in Bayern. Sie hätte auch woanders landen können. Zum anderen gab es da den Herrn Wegner, den Direktor eines Unternehmens mit dem Namen NCR Nationalregistrierkassengesellschaft in Augsburg. Dass die Tochter dieses US-Unternehmens von Berlin erst nach Gunzenhausen und dann nach Augsburg zog, ist eine Geschichte für sich. Herr Wegner jedenfalls suchte 1947 jemanden, der für einen Muster-Supermarkt Einkaufskörbe aus Metall herstellen konnte.

Kunststoff ersetzt zunehmend den Drahtstahl. Er stört die Datenübertragung nicht

Er dachte dabei nur aus einem Grund an Rudolf Wanzl junior im nahegelegenen Leipheim: Dessen Schwester Frieda nähte für seine Frau Kleider und daher wusste er, dass Wanzl eine Metallwerkstatt betrieb. Wanzl hatte den Betrieb kurz zuvor mit seinem Vater gegründet und wollte eigentlich Waagen für Metzgereien bauen, was kein so einträgliches Geschäft wie das mit den Einkaufswagen geworden wäre.

So kam es jedenfalls dazu, dass Rudolf Wanzl mit die ersten Einkaufwagen in Deutschland herstellte und nach und nach aus einer kleinen Metallwerkstatt ein großes Familienunternehmen mit Sitz in Leipheim entstand, das heute weltweit 4500 Mitarbeiter beschäftigt und 2,5 Millionen Einkaufswagen jährlich verkauft. Wobei die Einkaufswagen nur noch ein Drittel des Umsatzes von 615 Millionen Euro ausmachen. Wanzl baut auch Trolleys für Flughäfen, Zimmermädchenwagen für Hotels und vieles mehr. Vor allem aber hat sich Wanzl zu einem High-tech-Unternehmen entwickelt. Die vielen Ideen, die sie in Leipheim haben, würden den Supermarkt von morgen sicher ganz anders aussehen lassen.

Der Einkaufswagen ist bei all den Überlegungen immer der Dreh- und Angelpunkt, obwohl man denken könnte, die Digitalisierung würde ihn ins Abseits drängen. Bei Wanzl hingegen ist man vom Gegenteil überzeugt. "Wir wollen das Online-Einkaufserlebnis übertreffen", sagt Andreas Starzmann selbstbewusst. Er ersinnt als Direktor des Digital Office Pläne dafür, wie dieser schlichte Drahtstahl-Esel zu einem rollenden Datenträger mutieren könnte.

Gemeinsam mit Geschäftsführer Renzhofer führt er in den ersten Stock des Rundbaus und dort in eine Welt ein, die wie Science Fiction wirkt, aber bald Realität sein könnte. Dort sieht man Decken-Kameras und Einkaufswagen aus Kunststoff, die am Griff mit Displays und RFID-Tags, kleinen Funksendern, ausgestattet werden und mit vernetzten Kassenschleusen kommunizieren können. Wanzl ist kein Start-up mit lustigen, aber unrealistischen Ideen, sondern Partner großer Konzerne wie Edeka, Rewe, Lidl und Aldi. Was man hier sieht, ist die Zukunft.

Einkaufswagen sind ein Schlüsselprodukt. Damit schiebt sich Wanzl an die Schnittstelle zwischen Einzelhandelskonzernen und Verbrauchern. Bei Wanzl wissen sie deswegen oft früher als andere, was die Supermärkte planen. Sie wissen das manchmal sogar früher als die Konkurrenten untereinander. Und sie wissen sehr genau aus jahrzehntelanger Erfahrung, was die Verbraucher in den einzelnen Ländern wollen. Denn auch darüber geben Einkaufswagen Aufschluss. Sie sind Abbild des sich wandelnden Einkaufsverhaltens. Mit der Krise der Hypermärkte schrumpften sie, mit den kleinen Läden in der Stadt wurden sie schmaler und beweglicher; in den USA bevorzugen sie unverchromte Modelle mit fixierten Hinterrollen, in Deutschland sind bewegliche Hinterräder ein Muss, und so weiter. Wanzl hat all dieses Wissen gespeichert und dazu genutzt, eine Vision des Einkaufens von morgen zu entwerfen. In Leipheim heißt diese Vision Wanzl connect.

Darin spielt der Smart Trolley, der schlaue Einkaufswagen, die zentrale Rolle. Er soll das Einkaufen noch einfacher machen, als es mit ein paar Klicks im Internet möglich ist. Deswegen erfüllt er eine Vielzahl von Funktionen. Er lotst den Kunden im Supermarkt zu den Artikeln, die er kaufen will. Er gibt ihm Bescheid, falls er etwas vergessen hat. Er präsentiert ihm Rezepte, falls er zögerlich vor acht Sorten Tomaten steht. Und er spielt ihm persönliche Sonderangebote aufs Handy, wenn er merkt, dass der Kunde vor dem Regal steht und sich nicht entscheiden kann.

Er sorgt auch dafür, dass es an der Kasse keine Warteschlangen mehr gibt, indem er die Kassiererinnen und Kassierer über die Bewegungen der Kunden informiert. In einem zweiten Schritt ersetzt er die Kasse ganz und erspart dem Kunden das Ein- und Auspacken am Förderband. Der Kunde scannt die Ware selbst, wenn er sie in den Wagen legt, und zahlt am Ausgang per App.

Der schlaue Einkaufswagen alarmiert auch den Filialleiter, wenn am Samstagmorgen nicht genügend Wagen vor dem Eingang stehen. Und er weist ihn darauf hin, wenn noch ein Mitarbeiter an der Fleischtheke gebraucht wird. Er wacht sogar darüber, dass weder Wagen, Körbe noch Produkte gestohlen werden. Er hilft dem Händler, die Ware je nach Tageszeit oder Wetter dort zu platzieren, wo der Verbraucher am ehesten zulangt. Nach dem Bezahlen vereinfacht er schließlich die Rückgabe seiner selbst. Er schafft das Pfandsystem mit den Münzen ab und spielt dem Kunden bei der Rückgabe einen Rabatt-Coupon auf sein Handy.

Technisch notwendig dafür sind kleine RFID-Funksender in Wagen, Körben und Verpackungen, RFID-Reader und Kopfkameras an der Decke, eine Supermarkt-App, darin eingetippte Einkaufszettel, Bons der vergangenen Einkäufe - und natürlich die Zustimmung des Verbrauchers, Daten über sein Einkaufsverhalten in die Cloud des Händlers oder Betreibers Wanzl einzuspeisen.

Technisch ist vieles machbar. Voraussetzung ist, dass der Verbraucher zustimmt

Eine Utopie? Zur Diebstahlsicherung wird die RFID-Technik längst eingesetzt. Im Supermarkt der Zukunft wird sich manches von dem technisch Machbaren finden. Wer nur schnell Milch holen will, wird sie dank der Sensor-Technologie einfach aus dem Laden tragen und per App bezahlen können. Wer an der Kasse nicht gedrängt werden will, wird seine Artikel scannen können. Und wer wie gehabt einkaufen will, kann auch das tun. "Was der Einzelhandel immer im Kopf hat", sagt Renzhofer, "er möchte das gesamte Kundenspektrum zu 100 Prozent bedienen können, vom Touristen, der nur einmal kommt, über die Oma, die nicht gedrängt werden möchte, bis zum Jungen, dessen Akku leer ist, aber nicht bezahlen kann."

Der Einkaufswagen wird dabei zumindest aus Sicht von Wanzl das Vehikel sein, mit dem der Händler den Kunden an sich bindet. An den ersten Einkaufswagen von Rudolf Wanzl wird er nur noch entfernt erinnern.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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