Einblick in Dokumente:Was der Bankenverband über die Aktiendeals wusste

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Intern äußerte sich die Lobby-Organisation klar, der Politik gegenüber blieb sie eher vage. Hielt sich der Verband zurück, weil Mitglieder an den Geschäften verdienten?

Von Klaus Ott, München

Viel Respekt hat der Manager der amerikanischen Bank Citigroup für das Bundesfinanzministerium nicht übrig. Eher Spott. Deutlich wird das in einem Brief vom März 2009, in dem er sich über das Bundesfinanzministerium lustig macht.

Das Ministerium hatte Jahre zuvor mit neuen Regeln dubiosen Aktiendeals zu Lasten des Fiskus vergeblich unterbinden wollen und besserte nun nach, um weitere Betrügereien in Milliardenhöhe zu verhindern. Der Mann von der Citigroup, ein Steuerspezialist der Frankfurter Filiale, schrieb dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) auf dessen Bitte hin dazu ein paar Zeilen. Allen Fachleuten sei schon vor Jahren bei "erstmaligem Lesen" eines damaligen Gesetzentwurfs klar gewesen, dass dieser nichts bringe. Der Missbrauch beim Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividende werde dadurch nicht verhindert. Sprich: Banken und Fonds konnten sich weiterhin mehrfach Steuern erstatten lassen, die gar nicht gezahlt wurden. "Die 'neue' Einsicht des BMF verwundert daher", spottete der Citigroup-Manager.

Die Mail findet sich in den vielen tausend Dokumenten, die Steuerfahnder, Staatsanwälte und Sonderermittler inzwischen gesammelt haben, um Cum-Ex-Deals aufzuklären und zu ahnden. Die Unterlagen belegen, wie Banken, Fonds und deren Helfer jahrelang die deutsche Staatskasse geplündert, also die Steuerzahler beraubt haben. Und sie bringen jetzt auch den Bankenverband BdB, den Zusammenschluss privater und großer Institute, in die Bedrängnis.

Protokolle und Vermerke aus dem Verband zeigen, dass die führende Lobby-Organisation der Geldbranche viele Jahre lang, wenn nicht gar jahrzehntelang über die Gefahren dieser Geschäfte für den Fiskus Bescheid wusste. Dass der Verband sein Wissen dem Bundesfinanzministerium aber nur sehr zurückhaltend übermittelt hat, statt eindringlich zu warnen. Obwohl das Malheur doch längst "allen Fachleuten" klar gewesen war. Und obwohl der Verband von sich behauptet, "das Wissen um die Gemeinwohlverpflichtung fließt in unsere Positionierungen ein".

Hypo-Vereinsbank und Barclays sind Verbandsmitglieder. Und sie waren in die Geschäfte verstrickt

Die aufschlussreiche Mail aus dem März 2009 und viele weitere Dokumente führen zu ganz neuen Fragen und Verdächtigungen bei diesen Aktiendeals, mit denen sich Banken und Millionäre nach Schätzung von Steuerfahndern um einen zweistelligen Milliardenbetrag am Fiskus bereichert haben. Hat sich der BdB deshalb so zurückgehalten, weil es für seine Mitglieder an den möglicherweise kriminellen Deals viel zu verdienen gab? Oder weil die Geldbranche zumindest befürchtete, für solche Geschäfte später in Haftung genommen zu werden? Diverse Institute wie die Hypo-Vereinsbank oder Barclays, die dem Verband angehören, haben Cum-Ex-Deals mit ausgetüftelt oder sind darin verstrickt gewesen. An diesem Donnerstag sind drei Vertreter des Bankenverbands als Zeugen im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags geladen, der sich um Aufklärung bemüht. Der herausfinden will, warum Parlament und Regierung es jahrelang versäumt haben, diese Aktiengeschäfte zu verhindern. Und was Teile der Geldbranche so getrieben haben.

Für die drei BdB-Vertreter wird das kein gemütlicher Auftritt. Andreas Schwartz, der Obmann der SPD in dem Gremium, kritisiert den Bankenverband hart. Dessen Rolle müsse neu bewertet werden. Der BdB habe jahrzehntelang eine "rechtswidrige Praxis hingenommen" und nur im Sinn gehabt, seine Mitglieder vor einer "Haftung für Steuerschäden zu bewahren". Der grüne Abgeordnete Gerhard Schick sieht das ähnlich. Der Bankenverband habe Cum-Ex-Deals auf Kosten der Staatskasse offenbar gar nicht verhindern wollen. Sondern im Gegenteil, so der Verdacht, "Rechtssicherheit" für die Aktiengeschäfte über das Ausland schaffen wollen. Zu Lasten des deutschen Fiskus.

Die Politiker Schwartz und Schick stören sich vor allem daran, wie harmlos das Schreiben klingt, mit dem der Bankenverband am 20. Dezember 2002 das Finanzministerium auf mögliche Probleme hingewiesen hatte. Der BdB schrieb dem Ministerium, es seien "zusätzliche Regelungen notwendig", damit dem Fiskus bei Cum-Ex-Geschäften kein Schaden zugefügt werden könne. Eine Lücke im Handelsrecht machte es Banken und Fonds damals möglich, sich von den Finanzbehörden eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Dividendenerlöse gleich mehrmals erstatten zu lassen. Im Klartext: Profit auf Kosten der Steuerzahler; per Griff in die Staatskasse. So klar formulierte das der Bankenverband aber nicht. Er schrieb dem Ministerium vielmehr, man müsse dem Fiskus die Kapitalertragsteuer "beitragsmäßig zur Verfügung stellen", deren Erstattung hinterher von den Cum-Ex-Akteuren beantragt werde. Das klang nicht sehr alarmierend und vor allem weit weniger drastisch als die interne Wortwahl bei einem Treffen eines Arbeitskreises Steuerfragen aller großen deutschen Bankenverbände kurz zuvor. Da hieß es, die Geldinstitute befürchteten, für "falsche Steuerbescheinigungen" haften zu müssen. Das war ja der Trick an den Cum-Ex-Deals: Die Käufer, Zwischenhändler und Verkäufer von riesigen Aktienpaketen legten es darauf an, von den beteiligten Banken mehr Bescheinigungen über angeblich an den Fiskus abgeführte Kapitalertragsteuern zu bekommen, als an Abgaben tatsächlich gezahlt worden war. Mit ihnen forderten Banken und Fonds und deren Cum-Ex-Geschäftspartner gar nicht entrichtete Steuern erfolgreich zurück.

Dass dies bei Cum-Ex-Deals der Fall sein könnte, hatte der Verband längst erkannt. Die "bewusste Produktion von Steuerbescheinigungen" ziele darauf ab, "Erstattungsansprüche für Steuern zu erlangen, die überhaupt nicht gezahlt worden sind". So steht es in einem Vermerk des Verbands im November 2001, unter der Rubrik "Grundsätzliches". Und versehen mit dem Hinweis, diese Geschäfte wären ansonsten "gar nicht erst getätigt worden". Aktienhändler legten es demnach gezielt darauf an, den Fiskus zu betrügen, offenbar mit Hilfe von Banken.

Man habe das Finanzministerium auf Lücken aufmerksam gemacht und Lösungen vorgeschlagen

Im BdB finden sich bis in die Siebzigerjahre Papiere über fragwürdige Aktiendeals. Mit Hinweisen auf "steuerrechtliche Bedenken" und "mögliche Haftungsfälle" für die Geldbranche. Bereits damals war klar, dass vor allem Aktiendeals über ausländische Institute dem Fiskus schaden könnten. Doch als sich der Bundesverband Ende 2002 an das Finanzministerium wandte, schränkte er ein: Nicht erfassbar seien bestimmte Börsengeschäfte, die "über ausländische Banken" abgewickelt werden. Das war das Schlupfloch, das Cum-Ex-Akteure bis zuletzt nutzten, ehe es 2012 geschlossen wurde. Profitiert davon haben auch Banken, die dem BdB angehören.

Und was sagt der Bankenverband zu alledem? Man habe das Finanzministerium bereits 2002 und 2003 auf "steuerliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit bestimmten Aktiengeschäften" aufmerksam gemacht und Lösungen vorgeschlagen. Das Problem sei dem Fiskus also "umfassend bekannt" gewesen. Man habe dieses Thema auch bei einem Arbeitstreffen mit dem Ministerium Ende 2003 "intensiv diskutiert". Im Übrigen, so der Verband, überlasse man die Bewertung dem Untersuchungsausschuss im Bundestag. "Andere sollten dies auch tun."

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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