E-Mobilität:Liegen geblieben

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Bericht für die Kanzlerin: Ex-SAP-Chef Kagermann hat ihn überreicht. Verkehrsminister Scheuer (im Bild verdeckt) muss nun handeln. (Foto: Michael Kappeler / dpa)

Bis 2020 werden sicherlich keine Million E-Autos auf der Straße sein. Doch Regierungs­berater glauben an die Wende.

Von Markus Balser, Berlin

Warum nicht längst mehr Autofahrern den Stecker ziehen? Henning Kagermann kann das nicht verstehen. Deutschlands wichtigster Regierungsberater für Elektromobilität schaffte schon vor fünf Jahren den Benziner als Zweitwagen ab. Einkaufen, pendeln: "Wenn man nicht gerade 600 Kilometer fahren will, sind Elektroautos heute schon absolut alltagstauglich", sagt Kagermann. Nicht nur Industrie und Regierung könnten mehr tun, findet der Ex-SAP-Chef. Auch Autokäufer: "Gerade bei denen, die es sich leisten können, würde ich mir mehr Offenheit wünschen. Mehr Vorangehen."

Doch noch läuft die Wende auf deutschen Straßen langsamer an als gedacht. Als Kagermann am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel in Berlin den Abschlussbericht seiner Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) übergab, hatte er keine besonders erfreulichen Zahlen im Gepäck. Die Berater der Bundesregierung gehen nicht mehr davon aus, dass im Jahr 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen fahren, so wie es die Regierung sich eigentlich zum Ziel gesetzt hatte. Erst 2022 werde dieses Ziel wohl erreicht, heißt es nun. "Die Dinge dauern etwas länger, als wir das erwartet haben", räumt auch Merkel ein.

Die NPE beobachtet seit acht Jahren den E-Auto-Markt in Deutschland und spricht Empfehlungen für die Bundesregierung aus. Im Jahr 2010 hatte sie die Schätzung ausgegeben, dass bis 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen rollen. Die Bundesregierung hatte sich dieses Ziel zu eigen gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte allerdings selbst schon vor einem Jahr gesagt: "So wie es im Augenblick aussieht, werden wir dieses Ziel nicht erreichen." Anfang 2018 fuhren gerade mal 98 280 reine Stromer und Autos mit Plug-in-Hybridmotor auf hiesigen Straßen. Bis Ende August zählte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in diesem Jahr zwar noch einmal 45 422 Neuzulassungen. Doch auch dieser Aufwärtstrend dürfte nicht reichen, um die Marke zu knacken.

Im internationalen Vergleich liegt das Autoland Deutschland damit weit hinter Staaten wie China, den USA, aber auch Norwegen, wo Elektromobilität politisch stärker gefördert wird. Dennoch sehen die Berater in Deutschland Fortschritte und die "weltweit höchste Wachstumsrate". Die NPE rechnet damit, dass die Neuzulassungen von E-Autos bis 2025 auf zwei bis drei Millionen Fahrzeuge steigen werden. 2030 sollen dann hier zu Lande sogar bis zu sechs Millionen E-Autos unterwegs sein.

Damit allerdings wird auch klar, welche Dimension des Umbaus noch nötig ist, damit der elektrische Verkehr auch wirklich rollt. Als Basis gilt der schnelle Ausbau der Ladeinfrastruktur. Die Regierungsberater kommen in ihrer Studie bislang auf 12 500 öffentliche Ladepunkte in Deutschland. Benötigt wird in Zukunft aber ein Vielfaches - sie verlangen daher noch deutlich mehr zu tun.

Schon in sieben Jahren dürften bis zu 190 000 nötig sein. Hinzu kommen "ungefähr 2,4 bis 3,5 Millionen private Ladepunkte" vor der eigenen Haustür. In den großen Städten wird es nach Einschätzung der Experten kaum möglich sein, Lademöglichkeiten vor jedem Haus zu schaffen. Hier sollen vor allem Schnelllademöglichkeiten geschaffen werden, die das Stromtanken in einer Viertelstunde etwa auf dem Weg zur Arbeit ermöglichen. Deutschlands wichtigste Industrie mit rund 800 000 Beschäftigten steht vor einem radikalen Wandel. "Der Wettbewerb für Automobilhersteller wird härter, weil auch Technologieunternehmen wie Google oder Apple mit Know-how bei künstlicher Intelligenz in das Geschäft drängen", warnt Kagermann und pocht auf den Aufbau einer deutschen Batterieproduktion, um die Vormacht Asiens zu beenden. "Die Abhängigkeit von anderen Ländern bei einem so zentralen Thema wäre gefährlich", sagte Kagermann der SZ. "Das sollten wir verhindern. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn auch in Deutschland eine industrielle Fertigung durch einen deutschen Anbieter aufgebaut würde."

Die Berater gehen davon aus, dass Hersteller wie VW oder BMW auch künftig Weltspitze sind. Den Umbau werde die Branche meistern. "Anders als in den USA, wo immer wieder neue Technologien und Unternehmen aufkommen, haben wir in Deutschland bewiesen, dass sich Industrien erfolgreich verändern können. Neue Anbieter tun sich schwer, wenn es um den Einstieg in den Massenmarkt geht. Das beherrschen die etablierten Konzerne." Die Bundesregierung steht gerade in der Verkehrspolitik vor wichtigen Entscheidungen. Deutschland will den Straßenverkehr bis 2050 weitestgehend dekarbonisieren, allein bis 2030 sollen Autos, Busse, Lkw, Bahnen, Schiffe und Flugzeuge 40 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Verkehrsminister Andreas Scheuer setzte am Mittwoch eine Expertengruppe für den Klimaschutz im Verkehrssektor ein. Die "Nationale Plattform zur Zukunft der Mobilität" (NPM) solle mit sechs Arbeitsgruppen Lösungen entwickeln, beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch in Berlin. Geleitet wird auch dieses Gremium von Ex-Manager Kagermann.

Ergebnisse sollen bereits Ende des Jahres vorliegen. Kagermann machte am Mittwoch schon zum Neustart auf erhebliche Probleme aufmerksam. "Es wird nicht leicht, das Klimaziel zu erreichen. Denn der Verkehr wächst in den nächsten Jahren weiter. Das frisst einen Teil der Effizienzgewinne wieder auf."

Es müsse in den nächsten Jahren darum gehen, mit einer bezahlbaren und kundenfreundlichen Mobilität umweltfreundlich zu werden. Sonst machten die Deutschen nicht mit.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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