Düsseldorfer Tabelle:Rheinische Gerechtigkeit

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Ehen sollen ewig halten - doch im wahren Leben droht die Unterhaltstabelle.  (Foto: dpa)

Unterhaltspflichtige Eltern dürfen künftig mehr Geld für sich behalten, ihrem Nachwuchs verordnet die neue Düsseldorfer Tabelle hingegen eine weitere Nullrunde. Kinder schlecht verdienender Eltern könnten künftig tendenziell weniger Geld erhalten.

Von Malte Conradi

Wenn die Richter alle zwei Jahre in dem prächtigen Düsseldorfer Bau zusammenkommen, stehen sie vor einer fast unmöglichen Aufgabe. Bei ihrem Treffen im Oberlandesgericht am Rhein sollen sie Gerechtigkeit in eine knappe Liste pressen. Gerechtigkeit für geschiedene Väter und Mütter und Gerechtigkeit für deren Kinder, die für die ganze Sache gar nichts können.

Das Ergebnis der richterlichen Mühen ist die sogenannte Düsseldorfer Tabelle: Sie regelt seit inzwischen 50 Jahren, wie viel Unterhalt den Kindern getrennt lebender Eltern zusteht. Es ist ein Abwägen zwischen dem Kindeswohl und dem Recht Geschiedener auf ihr selbst verdientes Geld.

Bei der jüngsten Sitzung in Düsseldorf neigte sich die Schale ein weiteres Mal zugunsten unterhaltspflichtiger Eltern: Ihr Selbstbehalt, also der Betrag, den sie in jedem Fall für sich behalten dürfen, steigt schon zum zweiten Mal in Folge, während die Unterhaltssätze für Kinder für die nächsten zwei Jahre auf dem Niveau von Anfang 2010 verharren sollen.

Die neue Düsseldorfer Tabelle sieht vor, dass ein erwerbstätiger Unterhaltszahler mit Kindern bis 21 Jahre vom 1. Januar an 1000 anstatt bisher 950 Euro im Monat für seinen eigenen Bedarf behalten darf. Für Elternteile, die nicht arbeiten, steigt der Selbstbehalt von 770 auf 800 Euro. Ist das Kind volljährig und lebt in einer eigenen Wohnung, bleiben künftig mindestens 1200 statt bislang 1150 Euro übrig. Mit der Erhöhung des Selbstbehalts reagieren die Familienrichter auf die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ebenfalls zum 1. Januar.

Eine Folge der Neuregelung dürfte sein, dass Kinder schlecht verdienender Eltern künftig tendenziell weniger Geld erhalten. "Dieser vergleichsweise große Sprung beim Selbstbehalt wird viele Kinder treffen", glaubt Vera Templer, Münchner Fachanwältin für Familienrecht. "Der Staat wird also immer mehr Kinder über die Sozialhilfe auffangen müssen." In etwa der Hälfte aller Scheidungsfälle kann der Unterhaltspflichtige den Mindestbetrag für seine Kinder gerade so oder gar nicht aufbringen, schätzen Experten.

"Das wird nicht wenig sein, was da auf den Staat zukommt", glaubt auch der Düsseldorfer Familienrichter Jürgen Soyka. Mit der Erhöhung des Selbstbehalts werde aber vermieden, dass Unterhaltspflichtige reihenweise Hartz-IV beantragen müssen.

Wer zu wenig verdient, um seine Verpflichtungen aus der Düsseldorfer Tabelle einzuhalten, kann allerdings von Gerichten und Jugendämtern auch zu zusätzlicher Arbeit gezwungen werden - sogar wenn er schon eine Vollzeitstelle versieht. "In solchen Fällen kann das Gericht Arbeit am Abend und am Wochenende verlangen", sagt Templer. "Schließlich geht es um das Existenzminimum von Kindern."

Und das fällt ohnehin schon nicht allzu üppig aus. Die Unterhaltszahlungen in der Düsseldorfer Tabelle richten sich nach dem Alter der Kinder und dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen. Bei einem Netto-Einkommen bis 1500 Euro sieht die Tabelle Werte zwischen 317 Euro für Kleinkinder und 488 Euro für Volljährige vor. Am anderen Ende der Skala müssen Gutverdiener bis 5100 Euro monatlich zwischen 508 und 781 Euro zahlen. Und selbst diese Summen werden meistens nicht tatsächlich überwiesen. Denn bei minderjährigen Kindern wird noch die Hälfte des Kindergeldes angerechnet, bei volljährigen sogar die ganze Summe.

Die neuerliche Nullrunde bedeutet, dass die Unterhaltssätze für Kinder wohl bis 2015 auf dem Stand von Anfang 2010 bleiben werden. Der Selbstbehalt für die Eltern hingegen stieg in derselben Zeit von 900 auf 1000 Euro. "Sozialpolitisch schwer verständlich" findet das Familienrechtlerin Templer. Schließlich würden die Lebenshaltungskosten nicht nur für Geschiedene, sondern auch für deren Kinder steigen. "Und kriegen Sie mal mit 317 Euro im Monat ein Kind durch!"

© SZ vom 06.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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