Diversität:Irgendwie anders

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Beim Wirtschaftsforum Vielfalt 2021 diskutieren Dax-Vorstände über Diversität. Unklar bleibt, was das überhaupt bedeutet.

Von Berit Dießelkämper, München

Weil die Veranstaltung mit mehr als Tausend Gästen nur online stattfinden kann, werden vor Beginn des Livestreams die Ortsmarken abgesteckt: Im Chat schreiben die Zuschauerinnen und Zuschauer "Hallo aus" und dann die Stadt, in der sie gerade sind. Moderatorin Pinar Atalay macht es auch: "Guten Abend aus Berlin!", sagt sie und verweist auf die Aussicht von der Dachlounge des RBB, über die am Dienstagabend die Veranstaltung "Wirtschaftsforum Vielfalt 2021" gestreamt wird, zu der der Verein Charta der Vielfalt geladen hat.

Auf der Kulisse hinter Atalay ist auf einer blauen Flagge "Wir zeigen #flaggefürvielfalt" zu lesen. Das Programm des Abends: Wichtige Menschen aus der Politik und Wirtschaft sprechen über Vielfalt und "Diversität als Standortfaktor". Aber was verstehen diese neun Vorstände, die Vorstandsvorsitzende der Charta der Vielfalt e. V., die Intendantin des RBB, der Arbeitgeberpräsident und eine Staatsministerin eigentlich genau unter dem Begriff Vielfalt? Und wie vielfältig sollte so eine Veranstaltung zum Thema Vielfalt selbst sein?

Die erste halbe Stunde sprechen ausschließlich Frauen, darunter auch Patricia Schlesinger, Intendantin des RBB. Schlesinger sagt in ihrer Begrüßung zu der in Deutschland geborenen Atalay: "Sie passen hier sehr gut rein." Atalay weist als Antwort darauf hin, dass sie tatsächlich die einzige Person an diesem Abend mit Migrationsgeschichte sei. Und ab da ist klar: Schon die Besetzung der Veranstaltung zeigt, wie schwierig es ist, Vielfalt in allen Facetten zu erreichen - auch wenn auf den Podien viele Frauen sitzen.

Vielfalt ist aktuell eines der großen Themen in gesellschaftlichen Debatten. Und nicht immer wird deutlich, was genau damit gemeint ist. Eigene Definitionen gibt es an diesem Abend jedenfalls reichlich: "Vielfalt ist nie ein Hafen, das ist eine Reise", sagt Patricia Schlesinger. Ana-Cristina Grohnert, Vorstandsvorsitzende des Vereins Charta der Vielfalt, sagt: "Vielfalt ist der Innovationsfaktor, den wir brauchen." "Vielfalt ist nichts, das nur Harmonie bedeutet, Vielfalt ist anstrengend", sagt Annette Widmann-Mauz, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Unterdessen diskutieren die Zuschauer und Zuschauerinnen im Chat ganz praxisnah darüber, wie Strukturen und die Arbeitswelt allgemein vielfältiger werden können und verschicken nach der Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reihenweise Applaus-Emojis. Als die Pause fünf Minuten länger dauert als angekündigt, wird der Chat nervös. Ein Administrator bittet um noch ein wenig Geduld und jemand beschwert sich über die Pausenmusik. Dann ist Pinar Atalay wieder da: "Wir sind zwölf Minuten zu spät, dabei lief vor uns gar nicht Thomas Gottschalk", sagt sie und leitet über zu den nun folgenden Panels und den "wichtigen Köpfen und Köpfinnen" - blöder Scherz, sagt Atalay selbst.

Was Vielfalt ausmacht, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten

Einer der besagten Köpfe ist Thomas Edig, Mitglied des Markenvorstands VW Nutzfahrzeuge. Er hält Quoten für eine "Zwangsmaßnahme", die nicht in allen Unternehmensbereichen umsetzbar sei - besser seien "passgenaue Zielquoten". Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG, erklärt, dass das Unternehmen bis zum Jahr 2024 insgesamt 30 Prozent Frauen in Führungspositionen haben will - nicht die Hälfte, weil die Eisenbahn traditionell eine Männerdomäne sei. Aber man würde auf allen Ebenen rekrutieren.

Wilfried Porth, Vorstandsmitglied der Daimler AG, kennt die Anzahl der Frauen seines Vorstands genau (zwei, eine davon sogar aus der Schweiz!). Er sagt, sie versuchten in ihrem Unternehmen alle gleich zu behandeln. Die Ausübung der Religion beispielsweise würden sie jedem ermöglichen wollen, nur eben nicht während der Arbeitszeit.

Und obwohl alle Panelteilnehmer die Anzahl der Nationalitäten ihrer Mitarbeiter sehr genau kennen, wird an diesem Abend nicht so richtig greifbar, was Vielfalt nun eigentlich genau ist und wie Unternehmen mehr Vielfalt erreichen können. Vielmehr machen die Sprecher Vielfalt wahlweise an Kategorien wie "Geschlecht", "Herkunft", "sexuelle Orientierung" oder "Religion" fest. Manchmal werden diese Vielfaltskategorien auch einfach unter dem Begriff "anders" oder "Anderssein" zusammengefasst. Besonders viel Raum bekommt dafür die Frage nach Quotenregelungen für Frauen.

Zuletzt darf das Publikum im Chat noch live über das Engagement des anwesenden "Top-Managements" für mehr Vielfalt abstimmen. Das Ergebnis: irgendwo in der Mitte.

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