Digitalisierung der Arbeit:Nahles, Schorsch und die Schichtdudel

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Menschliche Arbeit wird immer mehr digitalisiert: Graffito an einer Hauswand in Madrid. (Foto: imago stock&people)

Verlieren Millionen durch die Digitalisierung ihre Jobs? Die Bundesarbeitsministerin glaubt nicht daran. Bei einer Tour bestaunt sie den neuen Firmen-Alltag.

Von Thomas Öchsner, Stuttgart/München

Wenn Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit Menschen ins Gespräch kommen will, fragt sie gerne nach Spitznamen. In Halle 220, bei Bosch in Stuttgart-Feuerbach, gibt es zum Beispiel einen Roboter, den sie hier "automatischen Produktionsassistenten" nennen. Normalerweise stehen solche Geräte sicherheitshalber in einem Käfig, der technische Assi von Bosch nicht.

Kommt ihm ein Mensch zu nahe, spüren das seine Sensoren. Er schaltet sich sofort von alleine aus, ohne dass es zu einer Berührung mit den in schwarzem Kunstleder eingehüllten Greifarmen gekommen ist. Produktionsmanager Wolfgang Pomrehn hat das der Ministerin gerade erklärt, als sie sich nach dem Spitznamen des Roboters erkundigt. Die Antwort kommt sofort: "In dem einen oder anderen Werk wird er Schorsch genannt", sagt der Mann von Bosch. Und wieder hat Nahles ein paar Lacher auf ihrer Seite.

Natürlich geht es hier beim Autozulieferer um eine ernste Sache, das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Die SPD-Politikerin will auf ihrer zweitägigen Sommerreise durch Baden-Württemberg und Bayern mehr darüber lernen, wie die Fabrik der Zukunft aussieht, was sich hinter dem Schlagwort "Arbeiten 4.0" wirklich verbirgt und ob Millionen Arbeitnehmer ihre Jobs verlieren könnten. Nahles, die sich innerhalb der Bundesregierung federführend um das Thema "Digitalisierung der Arbeit" kümmern darf, hat bislang stets betont, dass sie solch düstere Prognosen keinesfalls teilt.

Auch hier bei Bosch, einer der Perlen der deutschen Industrie, sagt die Ministerin: "Ich glaube nicht an die Horrorszenarien vom Ende der Arbeit." Sicherlich könne nicht alles so bleiben, wie es ist. Aber was hier zu sehen sei, das sei "die Zukunft der Arbeit". Auch die Manager von Bosch wollen nicht von menschenleeren Fabriken reden. "Roboter heißt für mich nicht weniger Arbeitsplätze, das heißt andere Arbeitsplätze", sagt Arbeitsdirektor Christoph Kübel. Der Roboter entlaste die Menschen von gefährlichen oder ermüdenden Arbeiten, die Mitarbeiter könnten sich auf hochwertige Tätigkeiten konzentrieren.

Es ist der erste Tag ihrer Erkundungsreise, die in Ludwigsburg beim US-Unternehmen Borg-Warner beginnt. Glühkerzen für Dieselmotoren werden hier in drei Schichten produziert. Deshalb ist die Ministerin aber nicht gekommen. Ihr geht es um die "Schichtdudel", wieder so ein Spitzname, der Nahles gefällt. Die "Schichtdudel", eine neue Software für die Einsatzplanung, hat in Ludwigsburg die Zettelwirtschaft ersetzt. Ist dort eine zusätzliche Schicht am Wochenende nötig, bekommen die Mitarbeiter, deren Arbeitszeitkonto noch nicht zu voll ist, auf ihren Smartphones eine Anfrage von ihrem Teamleiter. Mit wenigen Klicks können sie dann entscheiden, ob sie an dem fraglichen Samstag oder Sonntag arbeiten wollen oder nicht. Viel schneller als früher lassen sich so neue Schichten planen. "Wir wollen nicht mehr anweisen", sagt Werkleiter Werner Steck. Die Arbeitnehmer könnten selbst über ihre Zeit entscheiden. Was aber ist, wenn zu viele absagen? "Dann rede ma noch mal", schwäbelt Steck.

Nahles findet es gut, dass es hier nicht nur für die Angestellten im Büro, sondern auch für die Arbeitnehmer in der Produktion "mehr Selbstbestimmung" gebe. "Das ist doch mal cool, Leute", sagt sie bei ihrem Rundgang, nicht ohne sich bei einem Mitarbeiter zu versichern, dass es so wirklich einfacher geht. Dieser jedenfalls ist davon durchaus angetan - vor allem, weil er jetzt sein Handy mit ins Werk nehmen darf.

"So einen automatischen Politikassistenten könnten wir auch gebrauchen."

So ein Besuch kann schnell eine peinliche Angelegenheit werden. Da fällt ein Tross von Journalisten, Kameraleuten und mehr oder weniger wichtigen Begleitern in ein Unternehmen ein. Die Zeit ist knapp, weil ja noch zwei, drei andere Firmen angesteuert werden müssen. Die Chefs, die durchs Unternehmen führen, können sich schnell in technischen Einzelheiten verlieren. Nahles unterbricht deshalb auch mal, fragt nach, signalisiert mit vielen "Mhms", "sehr schön", "gut" ihr Interesse und zeigt sich locker. Als es bei Bosch um den "automatischen Produktionsassistenten" geht, sagt sie: "So einen automatischen Politikassistenten könnten wir auch gebrauchen." Und als ihr einer erzählt, dass mit Schorsch, dem Roboter, der sich berührungslos ausschalten kann, die Produktivität um zehn bis 20 Prozent gesteigert wurde, sagt sie schlicht "Wow".

Die Arbeitsministerin hatte im April 2015 bei einem Kongress in Berlin ein 90 Seiten starkes "Grünbuch" vorgelegt, das die Debatte über die Arbeitswelt im digitalen Zeitalter anstoßen sollte. Die Ministerin möchte im Dialog mit Unternehmen, Beschäftigten und Sozialpartnern herausfinden, wie die Arbeit in Zukunft aussehen könnte. Die Ergebnisse will sie Ende 2016 in einem "Weißbuch" vorstellen. Am Ende könnte ein neuer "Flexibilitäts-Kompromiss" stehen, wie es Nahles formuliert, ein neuer Rahmen, "damit die Arbeitszeit im Lebenslauf atmen kann". Das heißt nicht, dass die Ministerin per Gesetz den Achtstundentag aushebeln will, so wie es die Arbeitgeberverbände am liebsten hätten. Sie kann es sich aber gut vorstellen, dass in Zukunft viele Menschen arbeiten, wann und wo sie wollen.

"Wir brauchen Mitarbeiter, die auf sich selbst achten."

Wie das geht, erfährt Nahles am Dienstag bei Microsoft in Unterschleißheim bei München. Dort werden Leistungen nicht daran gemessen, wie lange ein Mitarbeiter an einem Ort tätig ist. Betriebsrat und Geschäftsführung haben eine Vereinbarung über den "Vertrauensarbeitsort" abgeschlossen. Den können die Mitarbeiter nun frei wählen, aber eigentlich war das schon vorher so. "Wir haben nur nachvollzogen, was schon praktiziert wurde", sagt Betriebsratschefin Kerstin Lippke.

Das deckt sich ziemlich gut mit den Ideen der Ministerin. Sie will nicht vorschreiben, welche Grenzen das Arbeiten 4.0 haben soll. Die Unternehmen sollen möglichst selbst mit den Betriebsräten eigene flexible Lösungen finden - wie etwa bei Bosch, wo für das Arbeiten am Abend zu Hause keine Nachtzuschläge mehr anfallen. Dafür müsse man die "gute Verabredungskultur" in Deutschland nutzen. Davon hätten beide Seiten aber nur etwas, wenn sich die Arbeitnehmer nicht selbst überfordern, sagt Nahles. "Wir brauchen Mitarbeiter, die auf sich selbst achten."

© SZ vom 29.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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