Digitalfotografie:Kameras, die aus der Zukunft kommen

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120 Millionen Pixel, Aufladung durch die Luft, nie gekannte Auflösungen: Der Fortschritt der Computertechnik verhilft Digitalkameras zu erstaunlichen Fähigkeiten.

Helmut Martin-Jung

Erst Auslösen, wenn die fotografierte Person lächelt, Motivprogramme vom Kindergeburtstag bis zum Feuerwerk, Schutz gegen Verwacklung und Automatiken bis zum Abwinken - eigentlich sind digitale Kameras bereits jetzt vollgepfropft mit Funktionen.

Hybrid-Kamera für Fotos und Videos: Computer mit angeschlossener Optik. (Foto: Helmut Martin-Jung)

Was aber wäre, wenn der Fotoapparat mit einem Knopfdruck Menschen einfach in andere Umgebungen versetzen könnte? Virtuell natürlich, aber ohne dass man sich stundenlang mit einem Bildbearbeitungsprogramm quälen müsste. Wenn man sich dabei nicht mehr um jedes widerspenstige Haar einzeln kümmern müsste und sogar noch den Lichteinfall korrigieren könnte?

Ob Canon, Weltmarktführer bei Digitalkameras, den Prototypen seiner Kamera, der das mit Hilfe von Software tatsächlich schafft, jemals auf den Markt bringen wird, steht noch nicht fest. Auf der firmeneigenen Schau in Paris, der Canon Expo, ließ das Unternehmen allerdings erkennen, wohin sich die Technik der digitalen Kameras entwickeln könnte.

Noch sehen viele der Geräte sehr nach Labor aus. Blickt man aber auf ihre technischen Daten, finden sich oft ins Gigantomanische gesteigerten Fähigkeiten. So kommt man dann fast zwangsläufig zu dem Schluss, dass die Entwicklungsingenieure sich vor allem diese eine Frage gestellt haben: Was in aller Welt sollen wir bloß mit den Möglichkeiten anfangen, die uns die Computertechnik beschert hat?

Längst nämlich sind digitale Kameras vor allem Computer mit angeschlossener Optik. Und wie bei den Schreibtisch-Computern und Laptops ist die Rechenleistung der Chips in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch angestiegen.

Nie mehr Verwackelungen

Für eine Digitalkamera bedeutet dies, dass sie immer mehr Bilder immer schneller verarbeiten kann, und zwar auch die von immer leistungsfähigeren Sensoren. Das spielt bei einigen der Konzeptgeräte denn auch eine wichtige Rolle. Dass die Prototypen Videos in sehr hoher Auflösung aufzeichnen können, ist noch lange nicht alles.

Diese Fähigkeit lässt sich auch anderweitig verwenden, zum Beispiel für Belichtungsreihen.

Aus einer Vielzahl von Bildern kann dann der Bordcomputer Bilder mit höherem Kontrastumfang errechnen, grobe Verwacklungen beseitigen. Oder eben auch mit Unterstützung durch spezielle Software Personen aus einem Bild herausschneiden, sogar dann, wenn diese vor einem unruhigen Hintergrund fotografiert wurden.

Schon jetzt zeichnen viele Digitalkameras Bewegtbilder auf, was vor allem deshalb bei Spiegelreflexkameras seinen Reiz hat. Für die gibt es eine Vielzahl von Wechselobjektiven.

Damit und mit den relativ großflächigen Sensoren dieser Kameragattung entstehen Aufnahmen, die zum Beispiel das Spiel mit Schärfe und Unschärfe ebenso nutzen können wie professionelle Geräte. Künftig aber werden Serienaufnahmen nicht mehr bloß für gelegentliche Filmchen, sondern verstärkt dazu eingesetzt werden, Einzelbilder weiter zu verbessern.

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Bei einem seiner Prototypen hat Canon die Fähigkeiten einer digitalen Spiegelreflex auf die Spitze getrieben. Das Gerät, das ein bisschen aussieht wie eine in die Länge gezogene Hasselblad-Mittelformatkamera und etwa zweieinhalb Kilogramm wiegt, nimmt Videos in 4k auf. 4k ist die englische Abkürzung für 4000 und steht für die Zahl der horizontalen Bildpunkte (Pixel), die bei 4096 liegt. Vertikal sind es 3072. Jedes einzelne Bild enthält also mehr als zwölf Millionen Punkte.

Canon-Prototyp auf der Hausmesse: Die Zukunft der Spiegelreflexkameras? (Foto: Helmut Martin-Jung)

Zum Vergleich: Was im Fernsehen als HD, also hochauflösend, über den Bildschirm geht, kommt gerade einmal auf 1280 mal 720 Bildpunkte, also weniger als eine Million. Die Kamera kann 60 Bilder pro Sekunde in 4k aufzeichnen, aber auch Standfotos schießen und wird so zur Wollmilchsau für Medienschaffende, die zwar beides brauchen, aber nicht ständig. Ihr Gehäuse ist zudem aus einem biologischen Kunststoff gefertigt, für den kein Erdöl benötigt wird.

Was man mit noch mehr Pixel anfangen kann, zeigt sich an einem noch recht klotzig aussehenden Laborgerät, das sich als Panorama-Kamera anpreist. Mit ihren 120 Millionen Pixel macht sie Überwachungsgeräte möglich, die einen großen Bereich im Blick haben, aber Ausschnittvergrößerungen von erstaunlicher Schärfe erlauben.

Canon demonstrierte das augenfällig mit der Panoramaaufnahme einer Bibliothek. Zoomt man in der Aufnahme an die Regale im Hintergrund heran, lassen sich die außergewöhnlich fein gezeichneten Buchtitel dort mühelos lesen.

Um feine Unterschiede geht es auch bei einer weiteren Digitalkamera-Studie. Ihr Sensor enthält nicht nur drei Farbfilter für Rot, Grün und Blau, sondern zusätzlich drei weitere. Das kennt man bereits von Tintenstrahldruckern. Hochwertige Geräte arbeiten dort ebenfalls mit sechs Farben. Das macht sich vor allem bei Hauttönen bemerkbar.

Für die Kamera mit dem Sechsfarben-Sensor sieht Canon vor allem im Profibereich Anwendungsmöglichkeiten. Museen etwa könnten so ihre Kunstschätze archivieren und dabei dafür sorgen, dass in den Bildinformationen mehr Farben gespeichert werden können als das menschliche Auge unterscheiden kann.

Berührungslose Aufladung

Eher der menschlichen Bequemlichkeit dient ein Zubehör-Prototyp, der es erlaubt, dafür vorbereitete Kameras über Induktion berührungslos aufzuladen. Über Wlan werden zusätzlich noch die Bilder heruntergeladen, die sich dann zum Beispiel auf einem angeschlossenen Fernseher gleich sortieren lassen.

Das soll auch mit Gesichtern als Erkennungsmerkmal funktionieren. Schon wegen des Preises dürfte sich der Einsatz einer weiteren Neuheit auf gut verdienende Profis beschränken: Canon hat einen Sensor mit einem Durchmesser von 20 Zentimeter entwickelt.

Zum Vergleich: Sogar die Sensoren in teuren Digital-Spiegelreflexkameras sind nur 24 mal 36 Millimeter groß. Ziel war es hier aber nicht, die Zahl der Pixel auf eine neue Rekordhöhe zu steigern, sondern die Lichtempfindlichkeit. In 1,6 Meter Entfernung von einer brennenden Kerze könnte man damit noch immer Videos mit 60Bildern pro Sekunde drehen - und das ganz ohne den Grünstich von Nachtsichtgeräten.

Lesen Sie hierzu Berichte in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 18.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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