Digitales Geld:Krypto statt Kaninchen

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Venezuelas Regierungschef will sein Land mit einer digitalen Währung nach dem Vorbild des Bitcoin vor der Staatspleite retten. Doch ob das den Bürgern etwas bringt, ist offen.

Von Boris Herrmann und Jan Willmroth, Rio de Janeiro/Frankfurt

In seiner sonntäglichen Fernsehsendung "Los Domingos con Maduro" gibt der Präsident Venezuelas regelmäßig Spektakuläres bekannt. Einmal verkündete er die Zwei-Tage-Arbeitswoche, um Energie zu sparen. Ein andermal, angesichts der dramatischen Versorgungskrise, rief er den "Plan Conejo" aus, den Kaninchenplan. Dessen Idee lautete: Wenn ihr Hunger habt, vertilgt doch einfach eure Haustiere! In einer seiner jüngsten Sendungen hatte sich Nicolás Maduro mehrfach feierlich geräuspert, bevor er, wie er sagte, eine Sensation mitteilte - die Einführung einer eigenen Kryptowährung, garniert mit dem Versprechen: "In Venezuela hat das 21. Jahrhundert begonnen!"

Das wäre allmählich auch an der Zeit in einem Land, das die weltweit größten Erdölreserven besitzt und trotzdem an akuter Benzinknappheit leidet. Wo es in den Krankenhäusern an Medikamenten fehlt und wo, Karnickel hin oder her, immer mehr Menschen hungern, obwohl sie jeden Tag arbeiten. Die Inflation stieg im zurückliegenden Jahr auf über 2600 Prozent, der Mindestlohn wird zwar ständig erhöht, ist aber trotzdem nur noch ein paar Euro wert. Zuletzt musste das Militär mehrere Supermärkte vor Plünderern mit knurrenden Mägen schützen. Das alles soll jetzt schnell besser werden, wenn in den kommenden Tagen die Digitalwährung Petro ausgegeben wird. "El San Petro", sagte Maduro, um genau zu sein. San Pedro ist die spanische Version des heiligen Petrus.

Noch im vergangenen Sommer demonstrierten Tausende auf den Straßen von Caracas gegen das Regime. Die Proteste sind abgeflaut, Maduro könnte bald wiedergewählt werden – trotz der drohenden Hungerkrise. (Foto: Ronaldo Schemidt/AFP)

Im ersten Schritt auf dem Weg zu dieser Wunderheilung Venezuelas will die Regierung 100 Millionen Petro ausgeben. Ihr Wert soll physisch mit Öl aus dem Orinoco-Gürtel gedeckt sein, jede Einheit der Währung einem Barrel Öl (ca. 159 Liter) entsprechen. Eine zentrale Regierungsinstanz soll die Kryptowährung überwachen. Setzt Maduro seine Sonntagsrede mal ausnahmsweise um, könnte der Staat zum aktuellen Preis für venezolanisches Öl etwa zwischen 5,5 und sechs Milliarden Dollar einnehmen. Es ist der Versuch, die mit schwerwiegenden Demokratiedefiziten begründeten US-Sanktionen zu umgehen, die das Land größtenteils von den Finanzmärkten abschneiden.

Maduro will offensichtlich vom Hype um Kryptowährungen wie Bitcoin profitieren und so eine akut drohende Staatspleite abwenden - oder zumindest bis zur nächsten Wahl hinauszögern. Die Probleme der komplett maroden venezolanischen Volkswirtschaft oder die Hungerkrise löst er damit nicht.

Bislang ist über den Petro zu wenig öffentlich bekannt, um seinen Erfolg abzuschätzen

Bislang ist über den Petro zu wenig öffentlich bekannt, um seriös zu beurteilen, ob es sich um mehr handelt als eine der vielen irren Ideen des Autokraten. Es ist unklar, wie die Struktur des Petro aussehen soll, wie Investitionen in die und Überweisungen mit der Kryptowährung verbucht und nach welchen Verfahren neue Währungseinheiten errechnet werden. Die technische Seite dieses Projekts bleibt bis auf Weiteres die große Unbekannte. Noch ist außerdem offen, ob sich der Petro wie von der Regierung versprochen problemlos in andere Kryptowährungen oder Dollar eintauschen ließe, oder in seinen Gegenwert in Form eines Fasses Öl. Das ist aber immens wichtig für Erfolg oder Misserfolg. Am 14. Januar dürfte die Welt mehr Details erfahren; Maduro hat zu diesem Datum ein Entwicklertreffen einberufen.

Ob der heilige Petro daraufhin international Anhänger findet, lässt sich erst beantworten, wenn Experten die Technik hinter der Ölwährung beurteilt haben. Fraglich bleibt auch, ob Maduros Regierung überhaupt das nötige Vertrauen gewinnen kann - schließlich soll eine zentrale Instanz den Petro verwalten, was dem Wesen anderer, dezentral in Rechnernetzwerken organisierter Kryptowährungen widerspricht. Und in diesem Fall ist es nicht irgendeine Regierung, sondern ein international isoliertes, diktatorisches Regime, das vor allem durch Misswirtschaft auffällt.

Oppositionelle befürchten, der Präsident verkaufe mit dem Öl die Zukunft des Landes

Wer soll Maduro auf einmal glauben, eine vertrauenswürdige, neue digitale Währung zu schaffen? Wird der Petro überhaupt eine Kryptowährung im eigentlichen Sinn, oder nur eine Art Genussschein auf Öl unter venezolanischem Boden, an das man überhaupt nicht herankommt? Der US-Ökonom Steve Hanke von der Johns-Hopkins-Universität kommentiert: "Der Petro ist für den Friedhof bestimmt."

Aus Sicht von José Guerra wäre er auch ein Fall für das Oberste Gericht - wenn es in Venezuela noch so etwas Ähnliches wie eine unabhängige Justiz gäbe. Guerra ist als Abgeordneter des Oppositionsbündnisses MUD kein neutraler Experte, aber im Gegensatz zu Maduro ist er immerhin ein Experte. Er arbeitete viele Jahre lang in der venezolanischen Zentralbank, lehrt Ökonomie an der Uni Caracas und ist Vorsitzender des Finanzausschusses des entmachteten Parlaments. Guerra argumentiert, die Regierung könne den Petro gar nicht an Garantien für die Ölreserven knüpfen, das sei eindeutig verfassungswidrig. Niemand dürfe die Zukunft des Landes verscherbeln, um kurzfristige wirtschaftliche Engpässe zu beheben. "Unsere Rohstoffe sind per Gesetz unveräußerlich", sagt Guerra. Ob dieses Gesetz aber überhaupt noch gilt, weiß wohl nur Maduro selbst.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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