Dieselskandal:Virenjäger gegen Abgasbetrüger

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Zu viel geraucht? Fiat hat sich bisher auf eher ungewöhnliche Weise gegen Dieseltrick-Vorwürfe beim Modell 500X gewehrt, das zumindest dem Namen nach Teil der legendären 500er-Familie ist. (Foto: Gabriel Bouys/AFP)

Informatiker aus Deutschland und den USA haben eine Software entwickelt, die Manipulationen an Dieselmotoren aufdecken kann. Fiat gerät damit stärker unter Druck.

Von Max Hägler, München

Mit markigen Worten hat sich Sergio Marchionne bislang gewehrt. Wer das von ihm geführte Unternehmen, die Fiat-Chrysler-Gruppe (FCA) mit Volkswagen vergleiche, der habe "etwas Illegales geraucht", sagte Marchionne im Januar in einem Interview mit La Repubblica. Es geht um Diesel und den großen Betrug bei den Abgaswerten. Bei VW ist das bekanntlich im Herbst 2015 aufgeflogen, und die Manager in Wolfsburg haben es eingestanden, auch weil die Indizien so erdrückend waren, sich zu Beweisen verdichteten, gegen die keine Ausflüchte halfen.

Nun ist es bei FCA ähnlich. Bei dem niedlichsten und vielleicht bekanntesten aller Modelle, dem Fiat 500X, soll die Abgasanlage so eingestellt sein, dass auf dem Prüfstand weit weniger Dreck rauskommt, als beim richtigen Fahren. Das Kraftfahrtbundesamt hat diesen Vorwurf erhoben, auch die US-Umweltschutzbehörde EPA. Aber sie wehren sich in Turin dagegen - eben mit der eher ungewöhnlichen Argumentation, wer so etwas sage, der habe wohl zuviel gekifft. Von Einlenken oder Schuldbewusstsein: keine Spur.

Erstmals kann man in die Motorsteuer-Software schauen und Tricksereien entlarven

Doch jetzt gibt es einen weiteren Beleg, der das ernsthafte Abstreiten noch schwieriger macht: Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum und der University of California in San Diego haben das Motorsteuergerät von Bosch analysiert, das bei VW und Fiat eingesetzt ist und den Namen EDC17 trägt. "Mit unserer Software kann man gewissermaßen erstmals in diese Blackbox schauen", sagt Thorsten Holz, der als Professor für IT-Sicherheit an der Untersuchung beteiligt war. Das Ergebnis der Studie, die in der kommenden Woche bei einer Fachtagung vorgestellt wird: Bei Fiat 500X-Autos fand sich ein Timer, der nach und nach Systeme abschaltet, ein sogenanntes " Defeat Device". Bislang war dieses nur bei praktischen Fahrtests aufgefallen.

Bei Fiat wehrt man sich indes weiter gegen den Vorwurf, betrogen zu haben: "Wir können nur wiederholen: Der Fiat 500X erfüllt alle einschlägigen Emissionsanforderungen und nutzt insbesondere keine unzulässigen Abschalteinrichtungen", teilte eine Sprecherin mit. "Dies wurde vom italienischen Verkehrsministerium als der allein zuständigen Behörde überprüft und wiederholt bestätigt." Man könne die Zulässigkeit einer Emissionssteuerung sowieso nicht allein aufgrund von Softwareauswertungen beurteilen. Die Computerexperten aus Deutschland und den USA hatten sich Software-Versionen für Autos des Volkswagen-Konzerns und FCA besorgt, teilweise von den Herstellerseiten, aber auch auf Internetseiten der Tuningszene, also bei Leuten, die an Autos schrauben und programmieren, um sie schneller zu machen. Insgesamt mehr als 900 Software-Versionen hatten die Forscher schließlich beisammen und konnten schließlich eine eigene Analysesoftware entwickeln, die wie eine Art Virenscanner funktioniert, wie es Holz erklärt: "Wir können in den Code hineinschauen". Bei Volkswagen sahen sie so, wie über die Jahre hinweg die Methoden zur Erkennung des Prüfstandes immer ausgefuchster wurden. Bei Fiat sei es viel simpler gewesen, zumindest in der Version aus dem Herbst vergangenen Jahres: Eine Zeitschaltuhr schaltete die Abgasreinigung einfach ab.

Bei den Herstellern stößt so ein Analyseprogramm zumindest offiziell nicht auf Ablehnung. Grundsätzlich unterstütze man alle geeigneten Maßnahmen, um unzulässige Abgasregelungen aufzudecken, heißt es auch bei FCA. Aber der amerikanisch-italienische Hersteller stellt zugleich fest: "Für Fiat-Fahrzeuge bedarf es solcher Prüfmethoden indes nicht." Das wiederum dürften Behörden in Europa und den USA anders sehen. Die EU-Kommission hat in dieser Woche ein Verfahren gegen die italienische Regierung eingeleitet. Die dortigen Zulassungsbehörden hätten die Kommission nicht davon überzeugen können, dass alle Fiat-Autos wirklich sauber seien - damit verstoße Italien gegen EU-Recht. Nur Stunden nachdem der italienische Verkehrsminister Graziano Delrio von einem enttäuschenden Schritt gesprochen hatte, kam dann ein ähnlicher Vorwurf aus den USA. Falls FCA nicht endlich die offenen Fragen zu den mutmaßlichen Verstößen gegen Abgasgesetze ausräume, könnte noch diese Woche eine Klage eingereicht werden, heißt es aus informierten Kreisen. Im Januar hatte die US-Umweltbehörde EPA bekanntgegeben, dass sie nach dem Skandal bei VW auch Fiat-Chrysler im Verdacht hat: bei rund 100 000 Dieselwagen könnten die Stickoxid-Werte illegal aufgehübscht sein.

Weitere Belege dafür könnten bald von den Diesel-Forschern kommen. "Wir hatten vor allem die Entstehung der Defeat Devices bei VW im Blick", sagt Forscher Holz, "aber werden nun als nächsten Schritt mehr Fiat-Software untersuchen." Auch auf die Gefahr hin, danach des übermäßigen Drogenkonsums bezichtigt zu werden.

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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