Diesel-Affäre:Nur ein paar kleine Code-Zeilen

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Wichtige Programme für die Schummelmotoren bei VW kamen von Bosch - deshalb ermitteln Staatsanwälte jetzt auch bei dem Zulieferer.

Von Thomas Fromm und Max Hägler, München/Brüssel

Es ist nicht leicht, den Weg von Software zu verfolgen. Sie ist unsichtbar, und oft kann sie mit ein paar Handgriffen verändert werden; aus einer guten Software wird dann eine böse Software.

Einen Kotflügel bringt man schnell mal von A nach B. Aber eine Software?

Seit Mitte September in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass bei VW jahrelang die Abgasmessungen bei Dieselmotoren per Software manipuliert wurden, steht eine Frage ganz oben: Wer hat das Desaster angerichtet? Nur kleine Software-Entwickler? Und wo kam die Software her? Ebenfalls bekannt ist seit Längerem, dass der Autozulieferer Bosch Teile dieser Software geschrieben hat, mit der VW später seine Abgastests manipuliert hat. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft in Stuttgart deswegen ein Ermittlungsverfahren eröffnet. "Wir gehen dem Verdacht nach, ob sich diese Firma an einer möglichen Straftat eines großen deutschen Automobilkonzerns beteiligt hat", heißt es in Stuttgart. Noch richtet sich das Verfahren gegen Unbekannt. Noch, muss man an dieser Stelle betonen. Bosch, den weltgrößten Autozulieferer, haben die Ermittler im Fokus, weil er selbst erklärt hatte, Teile des VW-Schummelmotors EA189 geliefert zu haben - und zwar auch die Motorsteuerung bei der 2-Liter-Variante.

Die Motorsteuerung ist das Gehirn moderner Aggregate, dort wurde letztlich das so genannte defeat device einprogrammiert, ein digitaler Schalter, der erkennt, wann ein Auto auf dem Prüfstand steht und getestet wird und wann es im normalen Fahrbetrieb über die Straße rollt. Beispiel: Weiß der Computer, dass sich nur zwei Räder drehen, dann weiß er auch: Achtung, Prüfsituation! Ein simpler, aber gut versteckter Code, der die Autos auf Prüfständen sauber aussehen ließ - was sie aber außerhalb des Prüfstandes nicht waren. Hier bliesen die Autos ein zigfaches an giftigen Stickoxiden in die Landschaft.

Bosch-Mitarbeiter und Roboter in der Motorteile-Fabrik: Wusste das schwäbische Unternehmen von den Manipulationen bei Volkswagen? (Foto: Daniel Maurer/dpa)

Schon im September hatte Bosch jede Schuld von sich gewiesen. Da ließen die Stuttgarter wissen, dass sie als Zulieferer die Rolle hätten, einzelne Komponenten nach speziellen Anforderungen der Kunden auszuliefern. Die tatsächliche Umsetzung liege dann in den Händen der Autobauer. Das hieß: Wir liefern nichts Böses. Schlimm wird es nur, wenn man die diversen Komponenten zu etwas Bösem zusammenfügt. Aber es ist nichts Greifbares, kein Kotflügel, sondern Programm-Code - das macht die Sache nun so kompliziert.

Ist es wirklich so, dass man als Zulieferer einfach seine Softwarezeilen abgibt, ohne zu wissen, was damit geschieht? "Es ist ein Zusammenspiel von Zulieferer und Hersteller, das hier stattfindet", sagt Stefan Bratzel vom "Center of Automotive Management" in Bergisch Gladbach. Ein Zulieferer wie Bosch liefere "nichts, ohne im Vorfeld die Parameter zu klären". Dass diese Zusammenarbeit nun ausgeleuchtet wird, ist unangenehm für den schwäbischen Vorzeigekonzern, genau wie die bereits eingereichten Schadenersatzklagen in den USA. Kaum eine andere Firma spricht so oft davon, wie viel Wert man auf ein redliches Geschäftsgebaren lege. Immer wieder zitieren sie den Gründervater Robert Bosch: "Lieber Geld verlieren als Vertrauen."

Am Mittwoch dann teilte das Unternehmen mit, man führe "auch umfangreiche interne Ermittlungen". Dem Vernehmen nach sind auch externe Anwälte eingeschaltet, aber auch eine Beratungsfirma, die nun mithilft, die Unterlagen zu sichten.

In Brüssel beschlossen die Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament zugleich mehrheitlich, einen Untersuchungsausschuss zur VW-Affäre einzusetzen. Der Ausschuss soll die Rolle der EU-Kommission und der nationalen Aufsichtsbehörden in dem Fall beleuchten. Noch nicht im Fokus der Ermittler ist derweil der Bosch-Wettbewerber Continental, der zweitgrößte Autoteilehersteller der Welt. Dabei könnte die Spur der Software auch dorthin führen. Conti hat in der 1,6-Liter-Variante des manipulierten Motors maßgebliche Teile zugeliefert, und zwar "Hard- und Softwarekomponenten" des Einspritzsystems, wie die Niedersachsen auf Anfrage erklärten. Unter anderem auch die Motorsteuerung. Also eben jenes Teil, das im Motor die Sprit-Zufuhr verwaltet und die Abgasnachbehandlung mitsteuert. Die Erklärung von Continental ähnelt der von Bosch: Man habe die Grundlagen geliefert und programmiert.

Aber: "Das Einstellen und Abstimmen der Software hat VW vorgenommen." Die Erkennung, dass ein Auto auf einem Prüfstand steht, das sei eine normale Funktion, um etwa dort das Antischleuderprogramm ESP oder den Bremshelfer ABS auszuschalten. Es habe keinen Hinweis gegeben auf einen "eventuellen Missbrauch unserer Technik", sagt Conti. Auch habe es "keine Zusammenarbeit mit Bosch" gegeben.

Ist das alles glaubhaft? Hat VW selbst alles justiert und ist verantwortlich? Möglich, meinen Experten: Es brauche nur ein paar kleine Code-Zeilen, um aus einer guten eine böse Software zu machen.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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