Die Terrorangriffe - ein Desaster für Versicherungen:Das Unberechenbare berechnen

Lesezeit: 2 min

Gleichzeitig mit den Zwillingstürmen des World Trade Centers brach für viele Versicherungsgesellschaften am 11. September 2001 die Welt zusammen. Doch die Anleger ließen sich nicht abschrecken - schließlich trieben die Anschläge die Preise für Rückversicherungsschutz in bisher ungekannte Höhen.

Caspar Dohmen

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington hatten weitreichende Folgen auch für die Versicherungen der Welt. "Das war ein Schock für die Branche", sagt Stefan Materne, damals Manager bei einem Rückversicherer und heute Professor für Rückversicherung an der Fachhochschule Köln.

Die brennenden Twin Towers in New York. (Foto: Foto: AP)

"Ein solcher Schaden galt als undenkbar." Die Terroristen hatten beide Türme des World Trade Center (WTC) mit ihren jeweils 110 Stockwerken zum Einsturz gebracht. Bis zu dem Tag hatten die Versicherer als größtmöglichen Schadensfall für das WTC einen Brand von 18 Stockwerken in einem der beiden Türme kalkuliert.

Die Rückversicherer als Auffangnetz

Durch den Schock wurde die Bedeutung der Rückversicherer als Auffangnetz für versicherte Schäden deutlich. Alarmiert wies die Weltbank auf die Bedeutung der Rückversicherer für das weltweite Finanzsystem hin.

Die Zahlungsunfähigkeit eines Rückversicherers werde unweigerlich gravierende wirtschaftliche Schäden auslösen, hieß es. Daraufhin verschärften die nationalen Aufsichtsbehörden die Regulierung der Rückversicherer.

Attentat kostet Versicherungen Milliardenbeträge

Die Versicherungswelt war durch die New Yorker Anschläge gleich doppelt betroffen. Zunächst mussten sie Milliardenbeträge für die Schäden zahlen. Dies lag auch daran, dass kein Versicherungsmanager in seinen Schadensszenarien eine solche Ballung verschiedenster Ansprüche aus Haftpflicht-, Gebäude- oder Lebensversicherungspolicen einkalkuliert hatte.

Noch gravierender wirkte sich für die Versicherer der Börsencrash aus, der auf die Anschläge folgte und die Börsenrally der New Economy, die sowieso schon abebbte, definitiv beendetete. Die Versicherungen mussten allein in Deutschland Milliardensummen abschreiben, der Gesetzgeber durch Abschreibungserleichterungen der Branche beispringen.

Viele müssen aufgeben

Trotzdem überlebten nicht alle Gesellschaften. So musste die Mannheimer Lebensversicherung ebenso aufgeben wie die Gerling Globale Rück, der damals sechstgrößte Rückversicherer der Welt. Dabei lernten auch die Ratingagenturen ihre Lektion. Deren Analysten hatten nicht damit gerechnet, dass ein Konzern wie Gerling tatsächlich seine Rückversicherungstochter fallen lassen könnte.

Einen Terroranschlag mit solch einer Dimension hatte die Versicherungswirtschaft bis zum 11. September 2001 tatsächlich nicht für möglich gehalten. "Bis dahin galt Terror als eine Gefahr in abgrenzbaren Regionen", sagt Materne.

Als gefährdete Regionen galten Großbritannien wegen der Anschläge der IRA oder Spanien wegen der Gefahr durch die baskische Separatistenorganisation ETA. In solchen Ländern mussten die Regierungen deshalb schon frühzeitig Versicherungspools einrichten, mit denen Schäden durch Terroranschläge abgedeckt waren. In anderen Ländern wie Deutschland war Terror dagegen in den allgemeinen Versicherungspolicen der Kunden abgedeckt -praktisch ein kostenloser Service.

"Terror ist nicht mehr lokalisierbar"

Heute beurteilen die Versicherer die Lage anders. "Terror ist nicht mehr lokalisierbar", so Materne. Aufgrund dieser Erkenntnis strichen die Versicherer die Terrordeckung insbesondere für große Konzerne aus dem Versicherungsumfang der gängigen Verträge. Seither müssen die Unternehmen die Deckungen getrennt einkaufen.

Weil das Terrorrisiko aber unkalkulierbar ist, sprangen Regierungen ein, bürgten für die Versicherungspools. So kam es zu einer regelrechten Gründungswelle solcher Versicherungspools, ob in Deutschland, der Schweiz, Frankreich oder den Niederlanden. Die Welle hält bis heute an.

So erwäge Dänemark die Gründung einer Gesellschaft, aufgeschreckt durch die gewalttätigen Proteste gegen die in einer dänischen Zeitung veröffentlichten Mohammed-Karikaturen, sagt Dirk Harbrücker, Vorstand beim deutschen Terrorpool Extremus. Auf absehbare Zeit wird es bei nationalen Lösungen bleiben.

Nachfrage nach Terrordeckung wird vermutlich steigen

Eine einheitliche Regelung für Europa sehe er nicht, erklärt Harbrücker. Die lange hinter den Erwartungen von Experten zurückgebliebene Nachfrage nach Terrordeckungen in Deutschland könnte sich nach den versuchten Anschlägen gegen zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen ändern. "Wir registrieren mehr Anfragen", sagt Harbrücker, der von einer neuen Dimension der Terrorbedrohung spricht.

Die Anleger ließen sich durch die Anschläge von New York sowie später in Madrid und London nicht vom Rückversicherungsgeschäft abschrecken. Bereitwillig stellten internationale Investoren Kapital für das Rückversicherungsgeschäft bereit, schließlich gingen nach den Anschlägen die Preise für Rückversicherungsschutz in die Höhe. Neue Gesellschaften wie Arch Re oder Axis Re wurden aus steuerlichen Gründen auf den Bermuda-Inseln eingerichtet.

(SZ vom 7.9.2006)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: