Die Telekommunisten:Keine Investoren, kein Boss, kein Businessplan

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Wie sich ein neu gegründeter Berliner Telekommunikations-Anbieter nach dem Modell des sozialistischen Anarchismus managt. Das dahintersteckende Konzept geht zurück auf den russischen Revolutionär Michail Bakunin.

Gregor Schiegl

Fünfzig Personen wurden festgenommen, 24 von ihnen dem Haftrichter vorgeführt. Für Berliner Verhältnisse ging es am ,,Revolutionären 1. Mai'' dieses Jahres relativ ruhig zu.

Der russische Revolutionär Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814 - 1876). (Foto: Foto: SV Bilderdienst)

Doch das war nicht der Grund, warum Dmitry Kleiner nichts von den Tumulten mitbekommen hat. Der 36-jährige Exil-Kanadier, der bis zu seinem fünften Lebensjahr in der sowjetischen Ukraine gelebt hat, war an diesem 1. Mai mit einem anderen anarchistischen Projekt beschäftigt: der Gründung eines revolutionären Dienstleistungsunternehmens.

,,Die Telekommunisten'' nennt sich der Branchenneuling, und wie es sich für echte Kommunisten gehört, sind die Telekommunisten international organisiert. Außer in Berlin haben sie noch ein Büro in Montreal, New Orleans, Nottingham, sowie einen Partner in Johannesburg, Südafrika.

Weder Arbeiter noch Bauern

Allerdings sind die Telekommunisten weder Arbeiter noch Bauern. Sie sind Programmierer. Ihr ,,Produktionsmittel'' ist Open Source Software, ihr Produkt ein Telekom-Service auf Basis einer selbst entwickelten Voice-over-IP-Plattform. ,,Wir fanden das eine gute Idee'', sagt Systemadministrator Kleiner, der den Bart ganz nach dem Schnitt Lenins trägt. Und mit ,,wir'' meint er das kleine Kollektiv der Telekommunisten.

Vor fünf Monaten ist ihr revolutionäres Produkt auf dem Markt des real existierenden Kapitalismus angekommen. Zum Einstieg wird den Kunden Telefonie fast zum Ostblock-Tarif geboten: 109 Euro kostet das gesamte Leistungspaket für 30 Apparate im Monat.

Dafür versprechen die Telekommunisten Ferngespräche für weniger als zwei Cent, Extra-Funktionen wie Konferenzschaltungen, E-Mail-Fächer, Rufumleitungen, Mailboxen und Bandansagen.

Slogan etwas irreführend

Der Slogan ,,Telekom for the people'' (Telekom fürs Volk) ist allerdings etwas irreführend. Zielgruppe der Telekommunisten sind eher kleinere Unternehmen und Organisationen, die sich mit dem Service der Telekommunisten die Anschaffung einer teuren Telefonanlage sparen können.

Für der privaten Nutzer ist das Angebot weniger interessant. Und das ist vielleicht ganz gut so. Denn die Bezeichnung ,,Telekommunisten'' ist für Kleinkunden bereits negativ besetzt. Sie wird gerne in Internet-Foren bemüht, wenn es darum geht, den ehemaligen Staatsbetrieb Deutsche Telekom zu schmähen, der auf viele immer noch behäbig und träge wirkt, ineffizient und teuer. Also irgendwie kommunistisch.

Die neuen Telekommunisten sind dagegen agil und klein. Und rot gefärbt bis in die Wolle. Dmytri Kleiner ist nicht nur Programmierer, sondern auch Programmatiker. So hat er eine Strategie entwickelt, die den Kapitalismus mit Mitteln der Ökonomie langsam in einen echten Kommunismus überführen soll. ,,Venture Communism'' nennt Kleiner das Konzept.

Venture-Kommune

Die Telekommunisten sind dabei so eine Art Prototyp einer Venture-kommunistischen Zelle. Funktionieren soll die Venture-Kommune ähnlich einem Capital-Venture-Unternehmen.

Nur, dass die Mitarbeiter statt Kapital ihre Arbeitsleistung in ein innovatives, wachstumsträchtiges Unternehmen stecken. Für seine Arbeitsleistung erhält jeder einen gleichen Anteil am Unternehmen. Von den Erlösen wird der Lohn bezahlt. Was an Gewinn übrig bleibt, ist Gemeinschaftseigentum, mit dem sich die Venture-Kommunisten Stück für Stück die Welt von den Kapitalisten zurückkaufen. Das ist zumindest die Idee.

So wie es einst Karl Marx im ,,Kapital'' propagiert hat, ist das Kollektiv der Bit-Arbeiter auch Eigentümer und Herr über alle Produktionsmittel des Betriebs. Wie einen volkseigenen Betrieb Fernsprech-Dienste darf man sich das Unternehmen aber nicht vorstellen.

,,Unser Modell hat nichts mit dem Staatssozialismus zu tun, wie es ihn in der DDR oder der Sowjetunion gab'', betont Kleiner. Es ist eher Geistes Kind von Michail Bakunin.

Antipode zu Marx und Engels

Der russische Anarchist war innerhalb der sozialistischen Ideenwelt der Antipode zu Marx und Engels und galt als zentrale Figur des libertären Sozialismus. Bakunin hielt, wie viele Top-Manager heute, jede Art von Staat für Versklavung.

Deswegen gibt es bei den Telekommunisten auch keinen Chef. ,,Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, diskutieren wir. So lange, bis wir zu einer Entscheidung kommen'', sagt Dmytri Kleiner.

Wir, das sind er und William Waites, sein kanadischer Kompagnon. Sie sind die Zweier-Bande, die das operative Geschäft führt. Die anderen mischen sich nicht ein und machen nur ihre Arbeit.

In historischen Gemäuern

Das Hauptquartier der Telekommunisten ist das historische Berliner Haupt-Telegrafenamt, ein verwittertes und von Ruß geschwärztes Gemäuer in der Oranienburger Straße. Hier führt Dmytri Kleiner das Europa-Geschäft, wenn er sich nicht gerade um eines seiner vielen anderen Projekte kümmert.

Kleiner arbeitet nebenher noch als technischer Koordinator für die SGSA, die ,,Specialist Group for the Study of Anarchism''. Außerdem bringt er Immigranten in Berlin bei, wie sie sich im Internet zurechtfinden und wie sie damit Kontakt zu ihrer Heimat halten können. Wie sie durch virtuelle Vernetzung ihrer sozialen Isolation entkommen können.

Die Telekommunisten sind für Kleiner nur ein weiteres Projekt in seinem großen Plan, die Welt zu verbessern: So soll ein Anteil am Gewinn des Unternehmens an den ,,Katrina Relief Fund'' fließen, der den Opfern des Wirbelsturms Katrina in New Orleans hilft.

Kapitalistisches Instrumentarium

Bevor es zum Fundraising kommt, brauchen die Telekommunisten allerdings erst einmal Kunden, Akquisiteure, ein Vertriebsnetz. Das ganze kapitalistische Instrumentarium.

Einen Businessplan haben die Telekommunisten nicht. Aber der sei auch nicht nötig, sagt Kleiners Genosse William Waites, weil kein Fremdkapital verwendet werde, sondern nur eigene Mittel. ,,Trotzdem kennen wir natürlich den Markt, in dem wir operieren. Wir kennen uns sehr gut mit den entsprechenden Technologien aus, und haben eine genau abgestimmte Strategie, wie wir unser Wissen einsetzen können, um ein zukunftsfähiges Unternehmen zu schaffen.''

Der alte Anarchist Bakunin hatte da weniger Ehrgeiz. Ihm wird der Satz zugeschrieben: ,,Jeder Aufruhr ist immer nützlich - so erfolglos er sein mag.''

© SZ vom 05.10.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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