Die Siemens-Hauptversammlung:"Die Leute fühlen sich frei"

Lesezeit: 2 min

Bei Siemens sprudeln die Quellen: Nachdem der Konzern im Vorstand aufgeräumt hat, packen immer mehr Mitwisser über das Schmiergeldsystem aus.

Klaus Ott

Einige altgediente Siemensianer, die für das Unternehmen viel Geld bewegt haben, sehen sich in diesen Tagen unerwartet wieder. Die Freude darüber dürfte aber begrenzt sein.

Aufräumen: Immer mehr Mitwisser packen bei Siemens über das Schmiergeldsystem aus. (Foto: Foto: ddp)

Die ehemaligen Angestellten kommen nicht zum gemütlichen Rentnertreff, sondern zur Vernehmung. Sie sagen aus, wie sie schwarze Kassen verwaltet oder Schmiergeld gezahlt haben. Sobald einer seinen Teil erzählt hat, wartet schon der nächste. So also trifft man sich plötzlich wieder.

Immer mehr langjährige Beschäftigte nutzen die Gelegenheit auszupacken, um so horrenden Schadensersatzforderungen des Konzerns zu entgehen oder den Job zu behalten, sofern man noch bei Siemens arbeitet. Vorstandschef Peter Löscher hat jenen, die sich bis Ende Januar melden, Amnestie angeboten.

Der Zulauf ist groß, vor allem, nachdem der Aufsichtsrat im Vorstand aufgeräumt hat. "Seitdem fühlen sich die Leute frei", sagt einer, der nah dran ist am Geschehen. Diejenigen, die im Auftrag des Unternehmens bei der Akquisition von Aufträgen mit unsauberen Methoden nachgeholfen haben, müssten keine Angst mehr vor Racheakten aus den Chefetagen haben. "Die Dämme brechen", heißt es aus dem Unternehmen.

In der Konzernzentrale ist man zuversichtlich alsbald zu erfahren, wer alles für das kriminelle System verantwortlich gewesen sei. Im Herbst hatten fünf Vorstände ihre Posten räumen müssen. Es waren nicht die ersten Spitzenleute, die gehen mussten, und werden wohl auch nicht die letzten sein. In zwei bis drei Monaten, so die Hoffnung im Aufsichtsrat, werde der Skandal weitgehend aufgeklärt sein.

"Jetzt sprudeln die Quellen"

Zu denen, die aussagen, zählen mehrere Schlüsselfiguren, die viel zu berichten haben, auch über frühere Top-Manager. Lange Zeit seien noch alte Kräfte am Werke gewesen, die alles getan hätten, um ihre Verwicklung zu vertuschen, heißt es aus Konzernkreisen. Die Bereitschaft vieler Mitwisser, sich Löscher und den neuen Chefs der Anti-Korruptions-Abteilung Compliance zu offenbaren, sei gering gewesen.

"Warum hätten die kleinen Leute da auch den Helden spielen und sich mit der alten Führungsgarde anlegen sollen, die größtenteils noch im Amt war?" Inzwischen sei das anders, "jetzt sprudeln die Quellen". Wenn es gut laufe, dann wisse man bald, wer die Fäden gezogen habe.

Wer auspackt, kann auch bei der Staatsanwaltschaft auf Gnade hoffen. Bei den sogenannten kleinen Fischen sollen die Strafverfolger erwägen, die Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen, teils gegen Zahlung von einigen tausend oder zehntausend Euro.

Löscher lockt mit der Amnestie

In dem einen oder anderen Fall werde diese Vorgehensweise in Betracht kommen, sagt der Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Christian Schmidt-Sommerfeld, und fügt hinzu: "Wir schöpfen mit ziemlicher Sicherheit die ganze Palette aus." Also Einstellung von Verfahren mangels Tatverdachts oder wegen geringer Schuld, Strafbefehle sowie Anklagen beim Amts- oder Landgericht. Die erste Anklage liegt schon vor, weitere werden laut Schmidt-Sommerfeld folgen.

Um die Zungen zu lösen, lockt Löscher mit der Amnestie, und droht jenen, die nicht reden, mit den "strengsten anwendbaren Disziplinarmaßnahmen". Wer schweigt hat viel zu verlieren. Bei einem Beschuldigten hatte die Staatsanwaltschaft vorübergehend Vermögen im Wert von 1,1 Millionen Euro arrestiert; wegen des Verdachts, der frühere Siemens-Direktor habe sich aus der von ihm verwalteten schwarzen Kasse persönlich bedient.

Das erwies sich als falsch, aber nun könnte Siemens Schadensersatz verlangen. Also erzählt auch der Ex-Direktor seinem früheren Arbeitgeber, was er alles weiß, nachdem er schon bei der Staatsanwaltschaft manchen langjährigen Vorstand belastet hat.

Ein anderer Experte für geheime Konten, ein früherer kleiner Angestellter, kam dieser Tage ebenfalls zur Vernehmung. Er fürchtet offenbar um sein Häuschen, sein Aktienpaket und seine Münzsammlung. Solche Leute will Siemens schonen, Führungskräfte nicht. Für sie gilt das Amnestie-Angebot nicht.

© SZ vom 24.01.2008/ckn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: