Die Familienunternehmerin:Von null auf 100

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Hoffmeister-Kraut leitet in der ersten grün-schwarzen Koalition das Wirtschaftsressort. Das sei "eine exzellente Wahl", lobt der Arbeitgeberverband. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Wie es Nicole Hoffmeister-Kraut vom Gemeinderat zur Wirtschaftsministerin in Baden-Württemberg brachte.

Von Max Hägler, Josef Kelnberger, Stuttgart

Geplant war das mit der Regierungsverantwortung nicht, und dieses Ressort schon gar nicht. Als die CDU-Politikerin Nicole Hoffmeister-Kraut, 43, vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg gefragt worden war, wo sie sich engagieren wolle, wenn sie denn nun erstmals in den Landtag kommen sollte, sagte sie: Kultus, Jugend und Sport. Aber das werde wohl schwierig, der Ausschuss sei ja begehrt.

Jetzt hat die Mutter dreier Kinder und Familienunternehmerin den Sprung geschafft - vom Gemeinderat Balingen ins Parlament in Stuttgart. Und der Sportausschuss ist es nicht geworden, sondern der Bereich Wirtschaft, verbunden mit der Zuständigkeit für Arbeit und Wohnungsbau. Und Hoffmeister-Kraut, 43, ist nicht nur Ausschussarbeiterin, sondern gleich Ministerin geworden. "Von null auf 100", staunen da selbst manche CDU-Parteifreunde aus dem Zollernalbkreis.

Ihr Aufstieg ist auch die Folge des bemerkenswerten Absturzes der CDU im Südwesten. Spitzenkandidat Guido Wolf musste nach der Niederlage bei der Wahl am 13. März nicht nur seine Ambitionen aufgeben, Ministerpräsident zu werden. Gegen die von ihm gewünschte Rückfalloption eines Wirtschafts-Superministeriums sträubten sich Diverse in der Partei - und zuletzt auch die vier maßgeblichen Wirtschaftsverbände: Wolf, hieß es da in ungewöhnlich direkten persönlichen Stellungnahmen, sei ein guter Jurist, aber man wünsche sich doch jemanden mit Wirtschaftserfahrung in diesem Amt.

In der Partei der überwiegend alten Männer scheint die 43-jährige Frau ein Glücksfall

Jetzt hat die CDU unter Führung des stellvertretenden Bundes-Chefs Thomas Strobl, der Innenminister wird, eben Hoffmeister-Kraut geholt, man muss fast sagen: hervorgezaubert. Jedenfalls sind so ziemlich alle entzückt, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. "Eine exzellente Wahl" sei das, erklärt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Mit ihrer unternehmerischen Erfahrung verfüge die Frau über ideale Voraussetzungen. Anders übrigens als ihr Vorgänger Nils Schmid, ein Einser-Jurist von der SPD, verkörpert sie das Selbstverständnis des Ingenieur-Ländles. Schmid war zugleich Wirtschafts- und Finanzminister, die Bereiche wurden von der grün-schwarzen Koalition nun wieder getrennt.

Betriebswirtschaftslehre hat Hoffmeister-Kraut studiert, hat einige Jahre bei dem Beratungsunternehmen Ernst & Young gearbeitet, aber vor allem ist sie eben Teil der Kraut-Familie und damit Miteigentümerin des Waagen- und Maschinenherstellers Bizerba. Der Firmenname setzt sich zusammen aus der ursprünglichen Eigentümerfamilie Bizer und den beiden ersten Buchstaben des Heimatortes Balingen. Wenn in Metzgereien Wurst gesäbelt wird und dann genau zehn Deka über die Theke gehen, dann waren oft Bizerba-Geräte im Spiel. Ihr Bruder leitet das international agierende Unternehmen, sie sitzt im Aufsichtsrat und lenkt die Geschicke mit. Und vielleicht war es der gerade verstorbene Aufsichtsratschef und ehemalige Südwest-Ministerpräsident Lothar Späth, der sie dann auch ein wenig zur politischen Arbeit motivierte. Es gibt ein nettes Foto: Späth sitzt und Hoffmeister-Kraut steht hinter ihm, wie eine Tochter oder Enkelin.

Es scheint, als sei die Frau in dieser Partei der überwiegend alten Männer ein Glücksfall. Beim Wahlkampf kamen jedenfalls alle politischen Schwergewichte: Günther Oettinger, Wolfgang Schäuble und schließlich, am Tag vor der Wahl, Kanzlerin Angela Merkel, mit der sie dann ein Selfie machte und der sie zugeneigt war im unionsinternen Streit um die Flüchtlingsfrage. Verantwortung für die Schwachen übernehmen, das sei ihr wichtig, sagte sie im Wahlkampf, und es brauche wieder eine Wertschätzungskultur für Lebensmittel: "Bitte zu Herzen nehmen." Wie sich das nun in konkrete Politik niederschlägt, ist allerdings noch unklar.

Die Neue muss die Umbrüche durch die Digitalisierung in Firmen und Gesellschaft begleiten

Wirtschaft und Arbeit, das sind Gebiete, in denen viel über die Tarifpartner bestimmt wird oder über Bundesgesetze: Frauenquote, Werkverträge oder der Mindestlohn etwa. Eine Landesministerin kann hier nur in recht engem Rahmen gestalten, es geht viel um Symbole, und die räumt in Baden-Württemberg der Ministerpräsident oft selbst ab, der gern Firmenbesuche macht und medienwirksam die neuesten Fahrzeuge der Automobilindustrie inspiziert. "Es geht darum, dass sie ein positives Klima schafft", sagt der mächtige IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger. Ihre Aufgabe sei es, diese Umbrüche in der Technik und damit auch der Gesellschaft zu begleiten: Die Digitalisierung, die Folgen der Industrie 4.0 genannten Roboterisierung in den Fabriken auf die Arbeitswelt, die Elektromobilität. Es geht darum, gezielt Fördergelder zu platzieren und Forschungscluster zu gründen.

Er kenne die Ministerin noch nicht, sagt Zitzelsberger. Da geht es ihm wie den meisten. Aber er sei entspannt, so der Gewerkschafter, obwohl in den von ihr verantworteten Bereichen gerade ein Schwenk vollzogen wird von der abgewählten SPD hin zur CDU. Die Neue komme ja aus der Metall- und Elektrobranche, aus einem gut angesehenen Familienunternehmen, sagt auch er. "Die weiß schon, was die Bedürfnisse sind in der Wirtschaft, zumindest hat sie im Wahlkampf einmal erklärt, Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Augenhöhe begegnen zu wollen."

Und welche Bruchkanten gibt es? Würde die Landesregierung gegen den Mindestlohn aktiv werden, dann würden die Gewerkschaften auf die Barrikaden gehen. "Und das Bildungszeitgesetz ist wichtig", sagt Zitzelsberger. Das ist eine Besonderheit in Baden-Württemberg: Firmenmitarbeiter können sich politisch fortbilden - auf Kosten der Unternehmen, die das gar nicht gut finden. Nun hat sich die Koalition darauf verständigt, dass man sich das zwei Jahre anschaue und die Auswirkungen auf die Firmen prüfe. Hält sich Hoffmeister-Kraut daran, hat sie auch den Segen der Arbeitnehmerschaft.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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