Die Deutsche Bahn und der Sturm:Kontrollierter Kollaps

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Erstmals in ihrer Geschichte stellt die Bahn komplett den Verkehr ein - und ist froh darüber.

Michael Bauchmüller

Am Tag danach bleiben abgesägte Bäume, ein demolierter Hauptbahnhof, offene Hotelrechnungen. Erstmals in ihrer Geschichte hat die Deutsche Bahn in der Nacht zu Freitag den Verkehr eingestellt - und sie tat offenbar gut daran.

Aufgrund des Orkans Kyrill sah sich die Bahn gezwungen, den kompletten Zugverkehr in Deutschland einzustellen. Tausende Reisende strandeten in den Bahnhöfen. (Foto: Foto: dpa)

"Wir sind stolz, eine schwierige Situation bewerkstelligt zu haben", lobte sich Bahnchef Hartmut Mehdorn am Freitag, und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), zuletzt nicht immer dicke mit Mehdorn, stimmte zu. "Ausgesprochenes Lob" sprach er aus, denn: "Die Organisation hat nahezu perfekt geklappt."

Das wiederum hatte auch mit dem Ereignis zu tun - Kyrill war rechtzeitig und richtig vorhergesagt. "Wir haben uns auf ein außerordentliches Sturmereignis eingestellt", sagte Mehdorn. "Nur ein Zug ist auf der Strecke liegengeblieben."

Auf den Sturm vorbereitet

Wenigstens grob hatte man sich auf das Wetter vorbereiten können, und sturmgefällte Bäume sind für die Bahn nichts Neues. Bahnarbeiter hatten vorsorglich Kettensäge-Teams gebildet, um rasch zerlegen zu können, was den Verkehr verhinderte.

Die Einstellung des Zugverkehrs freilich kam überraschend. "Damit hat keiner von uns gerechnet", hieß es bei der Bahngewerkschaft Transnet. "Aber wären wir weitergefahren, wäre das auch wieder falsch gewesen."

Negativbeispiel 2002

Wie wahr. Bahner denken mit Grauen an den Eisregen im Winter 2002. Damals waren die Züge zunächst weiter verkehrt, in der Hoffnung, es werde schon irgendwie gehen. Am Ende ging nichts mehr.

Hunderte Reisende blieben auf der Strecke hängen, in Zügen, die nicht nur auskühlten, sondern nach einer Weile auch keine brauchbaren Toiletten mehr hatten - hilflos im Nirgendwo.

"Die Entscheidung, die Züge in die Bahnhöfe zu bringen, hat uns gerettet", hieß es am Freitag bei der Bahn. In den Bahnhöfen ließen sich die Reisenden versorgen - mit Decken und heißen Getränken, die das Unternehmen schon vorher organisieren konnte. Meteorologie machte es möglich.

Einmalig in der Bahngeschichte

Soweit es eine Kontrolle über das Geschehen geben konnte, behielt die ein schlichtes Lagezentrum im Berliner Bezirk Tiergarten. Dort, in der Köthener Straße 4, hatte es schon allerhand Katastrophenübungen gegeben. Etwas wie Kyrill hatten die Leute hier aber noch nie auf den Monitoren gehabt. Gestandene Bahner erinnern sich allenfalls an 1979, als ein Wintereinbruch Teile des Eisenbahnverkehrs lahmlegte.

Jetzt beginnt die Bahn vorsichtig mit der Rechenarbeit. Derzeit ist nicht einmal dem Finanzvorstand klar, wie viel der 18. Januar gekostet haben könnte. Das wiederum hängt auch mit der Struktur des Konzerns zusammen.

Unterschiedliche Zuständigkeiten

Zum einen werden die 450 Bahnschäden von ganz unterschiedlichen Tochterunternehmen verwaltet - beschädigte Loks, Bahnhöfe oder angeschlagene Oberleitungen werden an unterschiedlichen Stellen verbucht.

Zum anderen haben die Bahnhöfe sehr unterschiedlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Reisenden Hotelzimmer zu spendieren. Und schließlich ist die Bahn zwar gegen Schäden versichert - welche davon aber von Versicherungen getragen werden und welche nicht, wird derzeit geprüft. Versicherer stellen sich in Deutschland auf eine Milliarde Euro Gesamtschaden durch den Orkan ein.

Die Bahn wird in den nächsten Tagen eine Menge zu addieren haben. Am Ende allerdings steht mit großer Wahrscheinlichkeit ein Plus. Da kaum ein Unternehmen im Land so gern für Versagen gescholten wird wie die Bahn, ist ein kontrollierter Kollaps schon ein Erfolg - verglichen mit grenzenlosem Chaos.

© SZ vom 20.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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