Deutschland und die Innovation:Entdecker gesucht

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Automotoren, Porzellan, der Zeigertelegraf - mehr als hundert Jahre nahm Deutschland mit seinen Erfindungen einen Spitzenplatz in der Welt ein. Dieser Innovationsgeist droht einzuschlafen: Woran das liegt und was man dagegen tun kann.

Marc Beise

Der deutsche Unternehmer Gottlieb Daimler war ein Revolutionär des Automotorenbaus. Johann Friedrich von Böttger wurde bekannt als Erfinder des Porzellans. Werner von Siemens baute den Zeigertelegrafen und die Dynamokraftmaschine und begründete mit seinen elektrischen Erfindungen den weltweiten Siemens-Konzern. Emil Rathenau, der AEG-Gründer, sorgte für die flächendeckende öffentliche Verbreitung des elektrischen Lichts. Carl Zeiss, der Optiker, wird gerühmt als Erfinder des hitzebeständigen Glases. Schöpferische Unternehmer, Wissenschaftler und Erfinder haben die deutsche Wirtschaftskraft begründet. Das reichte seit mehr als hundert Jahren für einen Spitzenplatz in der Welt. Und heute?

Ein Mitarbeiter von Daimler-Benz arbeitet an einem Motor für das Smart-Modell. In der Automobilbranche steht Deutschland mit Innovationen noch relativ gut da. (Foto: Foto: AP)

Das Selbstbewusstsein der Deutschen ist sichtbar angeknackst. Kritisiert werden Schwächen des Forschungsstandorts. "Deutschland verspielt seine Zukunft", warnen Experten. Wichtige neue Trends entwickeln sich jenseits der Grenzen. Der MP3-Player wurde hierzulande erfunden, aber nicht industriell umgesetzt. Das war kein Ausrutscher. Auch das Fax, die Digitaluhr und die Videotechnik stammen aus Deutschland, ausländische Konzerne aber verdienen damit ihr Geld. Und ehrgeizige deutsche Forscher suchen ihr Glück gerne in Amerika.

Widersprüchliche Signale

Diese Tendenzen sind gefährlich. Deutschland braucht innovative Köpfe und Aufbruchstimmung. Nur wenn Ideen und Produkte besser sind als anderswo, kann es sich das Hochlohnland Deutschland erlauben, teurer zu sein. Anders gesagt: Wir müssen um soviel besser sein, wie wir teurer sind.

Dafür wird zu wenig getan. Auch von der Politik - obwohl diese immer wieder (und jetzt auch im Koalitionsvertrag der Regierung Merkel) die Bedeutung der Forschung betont. Doch die Signale sind widersprüchlich.

So hatte die rot-grüne Bundesregierung 2004 zum "Jahr der Innovation" erklärt - und zugleich den Etat für Bildung und Forschung um 240 Millionen auf 8,2 Milliarden Euro gekürzt. Von den drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die ein Land wie Japan für die Forschung ausgibt, ist Deutschland weit entfernt.

Leben von der Substanz

Man mag sich damit beruhigen, dass das Land nach wie vor reich an Geist ist. 23.044 Patente aus Deutschland wurden 2004 beim Europäischen Patentamt in München angemeldet. Weltweit heißt das: Platz 2 hinter den USA.

Wichtiger noch: Im Vergleich zu den Vorjahren wurden weniger Bagatell-Patente, mehr hochwertige Erfindungen registriert. Unbestritten geben deutsche Konzerne viel Geld für Forschung aus. DaimlerChrysler hat mit 59 Milliarden Euro Forschungs- und Entwicklungsausgaben sogar Bill Gates' Microsoft vom ersten Platz im weltweiten Ranking verdrängt.

Allerdings liegen die deutschen Konzerne im internationalen Vergleich schlechter, wenn es um das Verhältnis von Forschungsausgaben und Patenten geht. Sie forschen also mehr, aber nicht unbedingt so effektiv wie andere. Und sie leben von der Substanz. Die Deutschen sind gut in den Traditionsbranchen: bei Auto, Elektronik und Chemie - und nicht so sehr bei Informationstechnik, Pharma, Biotechnologie.

Vor allem im Mittelstand gibt es wachsende Probleme, Patente zur Produktreife zu bringen. Eine Vielzahl von Hürden bremsen den Forscherdrang, von strengen Sicherheitsregeln über mangelndes Eigenkapital bis zu zögerlichen Finanziers. In den USA dagegen sind Banken und Risikokapitalgeber schnell bei der Hand, Geld auszugeben.

Innovation ist Kultur

Es geht aber nicht nur um Geld. Wer die Innovationsfähigkeit einer Wirtschaft, einer Gesellschaft stärken will, muss Neugier, Begeisterungsfähigkeit, Hartnäckigkeit wecken. Die Dresdner Hausfrau Melitta Bentz erfand Anfang des 20. Jahrhunderts den Kaffeefilter, als sie mit Löschpapier aus den Schulheften ihrer Kinder experimentierte. Heute führen die Enkel ein Unternehmen mit 3500 Mitarbeitern.

Der Begriff "Innovation" (vom Lateinischen innovatio) bedeutet allgemein "Einführung einer Neuerung" und geht damit weit über die technische Dimension hinaus. Innovation meint auch soziale, organisatorische und sonstige Neuerungen. Innovation ist eine gesellschaftliche Kultur, bedeutet Mut zur Veränderung. Veränderung, die in der Schule beginnen muss und typischerweise in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern zu wecken ist.

Nur 18 Prozent der Hochschulabsolventen jedoch haben einen ingenieurwissenschaftlichen Abschluss - 1993 war es noch jeder Vierte. Schon in der Schule verliert sich die Bereitschaft, Spaß an Technik zu haben. Und in der Akademikerwelt dominieren Philologen, Ökonomen oder Juristen.

Hoffen auf Merkel

Erstmals hat Deutschland mit Angela Merkel eine Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt. Das muss nichts bedeuten. Gerhard Schröder, hat ein kluger Beobachter festgestellt, habe ja auch keine besseren Gesetze gemacht, nur weil er Jurist ist. Dennoch mag man hoffen, dass Merkel dem Thema Innovation Impulse gibt.

Vieles gilt es zu überprüfen: Wie stark ist unsere Innovationskraft noch? Stimmen die Rahmenbedingungen? Funktioniert der Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft? Wo sind die neuen Namen? Wann fängt die Erziehung zu neuem Denken an?

"Innovationen - Mehr Wert für Deutschland" lautet deshalb auch das Jahresthema 2006 des Expertenforums Mittelstand, dem sich die Süddeutsche Zeitung in Analysen, Interviews, Firmenporträts, Gastbeiträgen und bei öffentlichen Veranstaltungen widmen wird.

© SZ vom 26.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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