Deutschland und die Globalisierung:Die versteckten Weltmeister

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Traditionelle Jobs verschwinden, neue entstehen: Die Globalisierung verwandelt die deutsche Wirtschaft und noch hat das Land viele Stärken.

Marc Beise

Er ist ein leiser, freundlicher Herr, Anfang 60, leicht gebräunt und mit sorgfältig frisiertem grauen Haarschopf. Er hat ein Haus an der Bergstraße und eine Büroadresse in den USA. Die meiste Zeit des Jahres verbringt er buchstäblich in der Luft, wenn er rund um den Globus unterwegs ist auf dem Weg von einer Firmenniederlassung zur nächsten.

Seit 24 Jahren leitet Jürgen Gromer Firmen, seit April 1999 ist er President der Tyco Electronics Corporation, dem Weltmarktführer im Bereich passiver elektronischer Bauelemente. Das klingt kompliziert, heißt aber konkret, dass Tyco mit seinen Steckern, Sensoren und anderen Modulen so ziemlich überall da ist, wo Strom durchfließt: ob in Auto, Kühlschrank oder Handy. Das Unternehmen macht jährlich Geschäfte im Wert von umgerechnet knapp zehn Milliarden Euro und beschäftigt 95.000 Menschen in 54 Ländern dieser Welt. Wer der Globalisierung ein Gesicht geben will, ist bei Jürgen Gromer richtig.

Das globale Unternehmen, das seinen Hauptsitz in Berwyn im US-Bundesstaat Pennsylvania hat und Aktionären aus aller Welt gehört, zählt in Deutschland zur Metall- und Elektroindustrie, dem Lastpferd der hiesigen Wirtschaft. Jeder siebte Arbeitsplatz hängt hier mindestens indirekt an der Automobilindustrie, die von den weltbekannten Autobauern ebenso geprägt ist wie von zahllosen Zulieferfirmen.

Als die Globalisierung noch nicht so hieß

Viele dieser Spezialproduktfirmen haben Namen, die kaum einer kennt, und sind doch mit ihren Schrauben, ihrem Antriebsteil oder ihrer Elektronik international die Nummer eins oder zwei. Als "Hidden Champion" werden sie gerne tituliert, als Weltmeister im Verborgenen, und es gibt einige tausend von ihnen.

Der Erfolg der deutschen Wirtschaft nach der Stunde Null des Kriegsendes 1945, das bald anhebende Wirtschaftswunder, das in seinem Kern bis heute trägt, haben vor allem diese Firmen geschultert, ihre Mitarbeiter und Chefs; häufig handelt es sich um Familienunternehmen. Früh belieferten sie die Weltmärkte und profitierten bereits von der Globalisierung, als diese noch nicht so hieß - stattdessen war nüchtern vom "Export-Erfolg" die Rede.

In der Tat sind die Deutschen bis heute Ausfuhrweltmeister (allerdings nur bei Waren, während sie bei den immer wichtigeren grenzüberschreitenden Dienstleistungen weit hinter den USA und Großbritannien liegen). Wenn die Weltwirtschaft so gut läuft wie zurzeit, dann profitieren diese Firmen. Sie haben volle Auftragsbücher, nehmen Milliarden Euro ein und akzeptieren sogar (wie soeben in Baden-Württemberg) einen Tarifabschluss von in der Summe fast sechs Prozent über zwei Jahre. So viel zur schönen Seite der Globalisierung, die viel zu oft vergessen oder als selbstverständlich abgehakt wird.

Der Vorsprung schmilzt

Die Kritiker der Weltwirtschaft kaprizieren sich lieber auf die negativen Begleiterscheinungen, auf die Folgen eines beinharten internationalen Wettbewerbs. Dieser hatte beruhigend lange auf sich warten lassen, und tobt seit den neunziger Jahren umso heftiger. Weltweiter Austausch kann auf Dauer keine Einbahnstraße sein, und mit den modernen Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten ist er das auch nicht mehr.

In der "flachen Welt", wie der amerikanische Publizist Thomas Friedman sagt, holen zunehmend andere Länder auf. In Asien und Osteuropa wird für einen Bruchteil der Kosten produziert, und entsprechend preisgünstig kommen diese Waren auf die Weltmärkte. China ist die Werkbank der Welt geworden, und andere Staaten wie Vietnam, das die USA noch vor 35 Jahren in die Steinzeit zurückbomben wollte, stehen am Start.

Viele Branchen sind bereits aus Deutschland verschwunden, andere werden folgen - eine Entwicklung, die man mit großem Einsatz und individuellem Verzicht der Belegschaften aufhalten, aber selten ganz verhindern kann. Den Deutschen bleibt nichts anderes übrig, als auf Hochleistung zu setzen. Noch haben sie Vorteile wegen ihrer traditionell hohen Qualifikation - aber auch hier schmilzt der Vorsprung.

Deutschland hat noch immer viele Stärken

Was in den Schwellenländern mit einfachen Arbeiten begonnen hat, klettert die Leiter der menschlichen Leistungsfähigkeit immer weiter hinauf. In der aufstrebenden Millionenmetropole Schanghai werden jedes Jahr Tausende Ingenieure ausgebildet, die keinen Deut schlechter sind als die vielgerühmten aus Deutschland. Dies ist das Gesicht der Globalisierung, das den Deutschen Angst macht - aber nicht Angst machen muss.

Denn Deutschland hat noch immer viele Stärken. Es hat eine leistungsfähige Forschungslandschaft, trotz aller Pisa-Rügen ein immer noch vergleichsweise erfolgreiches Schulsystem, eine ausgeklügelte Infrastruktur und eine gewachsene Wirtschaftskraft. Keiner dieser Parameter allerdings schützt Deutschland für die Ewigkeit. Nicht nur, dass überall nachgebessert, in Bildung investiert, neue Flughäfen gebaut, Spitzenforschung provoziert werden muss - es gilt vor allem auch die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu nutzen.

Nicht alle Arbeitsplätze können in Deutschland gehalten werden, wohl aber können billige Jobs in Fernost andere, hochwertigere Arbeitsplätze in Deutschland sichern oder schaffen. Der Elektronikkonzern Tyco produziert weltweit, und meist für einen Bruchteil der hiesigen Lohnkosten. Aber Gromer verdoppelt derzeit auch seine Belegschaft im Werk Bensheim auf 1300 Mitarbeiter. Audi hat ein Werk in Ungarn und sichert damit Arbeitsplätze in Ingolstadt. Adidas produziert nicht mehr in Deutschland, denkt und lenkt aber weiter in Herzogenaurach.

Dort arbeiten immerhin noch 2500 Menschen, mit wieder wachsender Tendenz. Niemand kann die Globalisierung aufhalten, aber man kann von ihr profitieren - auch in Zukunft.

© SZ vom 11. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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