Deutsche Konzerne:In Auflösung

Lesezeit: 4 min

Die schönen Fassaden der deutschen Wirtschaft: Was sich dahinter abspielt, glänzt weniger. Der Hauptsitz von Siemens in München, die Firmenzentrale von Thyssenkrupp in Essen und die Türme der Deutschen Bank in Frankfurt (von links). (Foto: mauritius images (2), imago)

Siemens spaltet sich, die Deutsche Bank macht Milliardenverluste, Thyssenkrupp plant den Ausverkauf: Was ist los mit den Konzernen, die lange das Land geprägt haben? Können sie sich retten?

Von Caspar Busse, München

Wenn sich an diesem Mittwoch in der Münchner Olympiahalle Tausende Aktionäre von Siemens treffen, ist zumindest für Unterhaltung gesorgt. Umweltschützer und Klimaaktivisten, zum Beispiel von "Friday for Future", haben Proteste vor und in der Halle angekündigt, mehrere Aktionäre wollen sich kritisch zu Wort melden. Es dürfte auch über die Zukunft von Konzernchef Joe Kaeser diskutiert werden, vor dem offiziellen Beginn der Hauptversammlung wird er die neuen Quartalszahlen verkünden. Und es wird für die Aktionäre ein Abschied sein: Im Herbst will sich das 173 Jahre alte Unternehmen aufspalten. Neben der bisherigen Siemens AG wird es künftig die Siemens Energy AG geben, die sich mit Öl und Gas sowie der Stromerzeugung befasst, mit fast 90 000 Mitarbeitern weltweit und 27 Milliarden Euro Umsatz.

Siemens - ein Konzern in Auflösung also. Die Münchner sind dabei in Deutschland aber nicht die Einzigen.

Eine ganze Reihe von deutschen Traditionsunternehmen, die lange unangefochtene Champions in ihren Branchen waren, kämpfen gerade um ihre Zukunft (die meisten allerdings nicht so offensiv wie Siemens). "Die Traditionskonzerne stehen zum Teil vor einem erheblichen Umbau", stellt Sascha Haghani fest, Deutschland-Chef und Mitglied der internationalen Geschäftsleitung der Unternehmensberatung Roland Berger.

Was also ist los mit den Konzernen, die lange das Land geprägt haben? Können sie sich retten? Oder droht ein Abbau und Verlust von Wohlstand hierzulande? Die Deutsche Bank hat in der vergangenen Woche einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro verkündet. Das Stahlunternehmen Thyssenkrupp sucht einen Ausweg aus der Existenzkrise. Der Aspirin-Konzern Bayer ringt in den USA um einen außergerichtlichen Vergleich mit den Klägern, die sich vom Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat geschädigt sehen. Die großen Autohersteller fahnden nach neuen Geschäftsmodellen, Daimler hat dabei gerade einen erneuten Gewinnrückgang verkündet.

Fest steht, dass es im vergangenen Jahrzehnt - seit der großen Finanzkrise - besonders gut lief. Umsatz, Gewinne und Dividenden stiegen. "Die deutschen Unternehmen haben in der Vergangenheit stark von der Globalisierung und den guten Exportmöglichkeiten in anderen Märkten profitiert", sagt Experte Haghani. Die Ausfuhren haben sich in jüngster Zeit sogar noch beschleunigt, China wurde ein großer Absatzmarkt für viele Unternehmen. Jetzt aber droht angesichts weltweiter Handelsauseinandersetzungen und Konjunkturabkühlung Schaden für das deutsche Exportmodell. Experten rechnen schon mit einer lang anhaltenden Seitwärtsbewegung, also keinem neuen schnellen Aufschwung. Der Ausbruch des Coronavirus sorgt zusätzlich für erhebliche Unsicherheit und drückt auf die Geschäfte.

Das Netz der alten Deutschland AG ist weg - ein Teil der starken Firmen auch

Für die Schwierigkeiten der Konzerne gibt es durchaus ganz individuelle Gründe. Und trotzdem ist auch Verbindendes festzustellen. Auf die grundlegenden Veränderungen haben viele nicht schnell genug reagiert: Elektrifizierung in der Autoindustrie, Onlinetechnik bei Banken und Versicherungen, Digitalisierung in fast allen Branchen. Ob Deutsche Bank, VW, BMW, Daimler, Autozulieferer oder Maschinenbauer - viele haben zu lange auf das bestehende Erfolgsmodell gesetzt. "Für kapitalmarktorientierte Unternehmen ist es besonders schwierig, denn sie müssen ihre Strukturen langfristig und fundamental umbauen", sagt Haghani. Die Zeit drängt, aber schnelle Erfolge seien dabei nicht zu erwarten: "Ganz gleich, welche Aspekte sie jetzt anpacken, wird die Umstellung länger dauern. Und sie wird sich voraussichtlich nicht in einer Vorstandsperiode kapitalisieren." Dazu komme, dass es mehr und mehr aktivistische Investoren gebe, die den Takt vorgeben und auf Änderungen oder gar Zerschlagung drängen.

Siemens hat reagiert und sich selbst aufgeteilt. Künftig soll es drei Mal Siemens geben: Das alte Kerngeschäft, Siemens Energy und Siemens Healthineers (die Medizintechniksparte mit Hauptsitz in Erlangen ist bereits an der Börse notiert). Die Idee: Eigenständig sind die Bereiche schneller, der addierte Wert aller Teile wird höher. Bislang mussten Mischkonzerne an der Börse einen Abschlag bei der Bewertung hinnehmen. Konzernchef Joe Kaeser wollte damit auch möglichen Forderungen von Aktionären zuvorkommen. Seinen eigenen Job als Siemens-Chef schafft er damit aber ab. Es gilt als ausgemacht, dass Kaesers Vertrag, der Anfang 2021 ausläuft, nicht verlängert wird. In seinem Umfeld heißt es, dass er möglicherweise nach der vorgeschriebenen Abkühlzeit auch keinen Platz im Aufsichtsrat anstrebt. Denkbar ist aber, dass er in das Aufsichtsgremium der neuen Siemens Energy geht.

Thyssenkrupp handelt - anders als Siemens - unter dem Druck der Investoren. Das mehr als 200 Jahre alte Unternehmen, das wie kein anderes mit dem Aufstieg des Ruhrgebiets zu einer Wirtschaftsregion verbunden ist, sei "in einer außerordentlich angespannten Lage", räumte die neue Vorstandschefin Martina Merz am vergangenen Freitag ein. Sie will die profitable Aufzugsparte verkaufen, um mit den Milliarden den Rest der Firma zu retten. Ob dieser Notplan aufgehen kann, ist ungeklärt.

Auf harte Zeiten stellen sich auch die großen Autohersteller ein. Der Elektroautobauer Tesla ist inzwischen an der Börse mehr wert als Volkswagen, mit 665 000 Mitarbeitern einer der größten Industriekonzerne überhaupt, der sich gerade als E-Autobauer neu erfinden will. Experte Haghani rechnet fest mit einer Konsolidierung bei Produzenten und deren Zulieferern: "Ich erwarte eine Bündelung der Kräfte, etwa in der Autoindustrie. Denn es macht keinen Sinn, wenn die gleichen Technologien und Produkte in Deutschland mehrfach entwickelt werden."

Nicht gut sieht es auch für die Deutsche Bank aus. Konzernchef Christian Sewing betont zwar: "Wir greifen an, und das nachhaltig." Die Bank wolle ihre Position weiter ausbauen. Doch für 2019 wurde gerade ein Minus verkündet, es liegt bei 5,7 Milliarden Euro. Es ist das fünfte Minus in Folge, seit 2015 häufte die Bank damit Verluste von 15 Milliarden Euro an. In diesem Jahr soll es wieder ein Plus geben, verspricht Sewing. Aber niedrige Zinsen, die Skandale der Vergangenheit und der harte Wettbewerb machen dem Institut zu schaffen.

Dabei war gerade die Deutsche Bank jahrzehntelang der Mittelpunkt der sogenannten Deutschland AG, des Netzes starker deutscher Unternehmen, die untereinander enge Beziehungen hatten. Doch das war einmal: Das Netz ist weg - ein Teil der starken Firmen auch.

© SZ vom 03.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: