Design:Das Erbe von Florence

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Vor 80 Jahren gründete ein deutscher Emigrant in New York die Möbelmanufaktur Knoll und brachte sie zu Weltruhm. Entscheidenden Anteil an diesem Erfolg hatte eine Frau.

Von Ulrike Sauer, Foligno

Die Kuhhaut liegt auf dem Tisch, der Kopf der digitalen Schneidemaschine tanzt leise surrend über das schokobraune Leder. Blitzschnell trennt das Messer 40 Quadrate heraus, die anschließend per Hand zu zwei Polsterhüllen vernäht werden. Zweieinhalb Tage später steht der fertige Barcelona-Sessel in der Halle der Knoll-Fabrik im italienischen Foligno. Gleich daneben: ein Musterexemplar, das unter einer Schutzfolie aufbewahrt wird. "Der direkte Vergleich verhindert, dass sich der Sessel im Laufe der Jahre vom Original entfernt", erklärt Paolo Innocenzi, der Leiter der Qualitätskontrolle.

Noblesse oblige: Entworfen wurde der Barcelona-Sessel 1929 von dem Architekten und Bauhaus-Direktor Ludwig Mies van der Rohe. Auch der Preis des edlen Stücks ist anspruchsvoll: 6842,50 Euro.

Der Name Knoll steht seit 80 Jahren weltweit für modernes Design, und zugleich für die Brücke zwischen Europa und Amerika. Gegründet wurde die Firma 1938 von Hans Knoll, Spross einer Stuttgarter Möbelfabrikanten-Dynastie, in New York. Er war mit 23 Jahren aus Nazi-Deutschland emigriert und wollte Europas neues Design in Amerika marktfähig machen. Mit den Ideen der Bauhaus-Schule, dem Bekenntnis zu klaren Linien und Funktionalität, wagte sich der junge Deutsche in New York auf Neuland. Sein Mut wurde belohnt: Heute ist Knoll in den Vereinigten Staaten bekannt wie Coca Cola, sagt Demetrio Apolloni, der Europa-Chef des Unternehmens.

Ein Klassiker: Den Barcelona-Sessel entwarf der Architekt Ludwig Mies van der Rohe für den deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Barcelona 1929, Knoll sicherte sich später die exklusiven Fertigungsrechte. (Foto: The Advertising Archives/Bridgeman)

Apollonis Auftrag: einen ähnlichen Bekanntheitsgrad der Marke auch in der Alten Welt zu erreichen.

Vor sechs Jahren hatte das börsennotierte US-Unternehmen den Italiener geholt, um die Expansion auf dem lange vernachlässigten europäischen Markt anzutreiben. Apolloni war damals Chef des Mailänder Möbelherstellers Kartell und hatte zuvor bei Vitra und für italienische Einrichtungslabel wie B&B und Cassina gearbeitet. Seinen Auftrag hat er erfüllt. "Wir sind in fünf Jahren um 70 Prozent gewachsen", sagt Apolloni. Er setzt auf die Kraft der Marke: "Knoll hat eine Geschichte, die erzählt werden muss."

Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine Frau: Florence Knoll, die Geschäftspartnerin und spätere Ehefrau des Firmengründers. Sie hat den modernen Nachkriegsgeschmack geprägt, die Bürowelt der US-Unternehmen gestaltet, neue Vertriebs- und Marketingmethoden erfunden und einige der besten Designer ihrer Zeit für das Unternehmen gewonnen. Als ihr Mann 1955 in seinem Porsche auf Kuba tödlich verunglückte, übernahm sie die Führung der Firma. Im Showroom in Foligno steht ein Leitsatz von ihr an der Wand: "Good Design is Good Business".

Die Firma prägte die Büros der US-Konzerne

Auf dem unverwechselbaren, einbeinigen Tulip-Tisch des Finnen Eero Saarinen schlägt Apolloni, 57, eine Knoll-Monografie auf und zeigt sein Lieblingsfoto der Amerikanerin. Es ist von 1953, Florence Knoll sitzt im ärmellosen Kleid an einem Besprechungstisch voller Aschenbecher und Zigarettenschachteln, rechts ihr Mann Hans, links das Modell für die Gestaltung der Großraumbüros der Connecticut General Life Insurance Company. 13 Männer in weißen Hemden lauschen Florence, die der Runde den Entwurf erläutert. "Das Foto offenbart auf wundervolle Weise ihre starke Persönlichkeit", sagt Apolloni. Florence Knoll hat Ministerien und Botschaften, Konzerne wie CBS, Rockefeller, General Motors und IBM mit Knoll-Mobiliar eingerichtet. Ihr reduzierter Stil kam 40 Jahre später im Netflix-Hit "Mad Men" groß heraus. Die Sofas aus der von ihr entworfenen Lounge-Kollektion dienten im Büro von Serienheld Don Draper als Hingucker.

Florence Knoll, Geschäftspartnerin und spätere Ehefrau des Gründers, bestimmte das Design. (Foto: Courtesy of Knoll, Inc)

Florence Knoll, die mit Mädchennamen Schust hieß, kam aus vermögendem Elternhaus und hatte bei Gropius, Breuer und Mies van der Rohe Architektur studiert. 1943 traf sie in New York den zwei Jahre älteren Möbelhersteller Knoll. Sie stieg mit 50 000 Dollar in die Firma ein. Gemeinsam realisierten sie ihren Traum von reinen Formen. Erst Ende der 1960er-Jahre zog sie sich nach Florida zurück, am 24. Mai feierte sie dort ihren 101. Geburtstag.

Ihr Anspruch, das Wohn- und das Bürosegment aus einer Hand zu bedienen, lebt bis heute fort, sagt Apolloni. Nicht das einzelne Einrichtungsstück, sondern den Dialog zwischen Interieur und Raum hatte die Architektin im Blick. In der Firma richtete sie eine Planungsabteilung ein, das war damals revolutionär. Florence Knoll traf weitsichtige Unternehmensentscheidungen. "Der Barcelona-Sessel existiert heute, weil sie 1946 von ihrem Mentor Mies van der Rohe die exklusiven Fertigungsrechte erworben hat", sagt Apolloni. Mit den Scherenbeinen aus poliertem Edelstahl, dem mit Lederriemen bespannten Gestell und der Knopfsteppung der Polster ist er noch heute ein Favorit von Designliebhabern und eine Wertanlage.

Die Wende in Europa läutete Apolloni 2013 mit dem Debüt der Marke auf der Mailänder Möbelmesse ein. "This is Knoll" ließ er über den Stand schreiben. In diesem Jahr lautete die Aufschrift schlicht: "Knoll". Neben den Klassikern präsentierte das Unternehmen Produkte aus dem neuen Entwicklungszentrum in Meda, nördlich von Mailand, darunter eine Serie weit ausladender, eleganter Armlehnstühle des Designers Piero Lissoni.

Knoll hat die Produktion in Europa ganz auf Italien konzentriert, Werke in Deutschland und Frankreich wurden schon vor Längerem geschlossen. Die 20 000 Quadratmeter große Fabrik in Foligno wurde 1963 von den Designer-Brüdern Achille und Pier Giacomo Castiglioni tief in die Erde gebaut, sie sollte die grüne, hügelige Landschaft nicht verunzieren. Knoll ist nicht das einzige internationale Möbelunternehmen, das seine hochwertigen Produkte in Italien fertigen lässt. Viele Luxuslabel aus der Modebranche nutzen das Know-how der Italiener. Die italienischen Möbelbauer haben sich nicht nur durch Qualität, sondern auch durch die Zusammenarbeit von stilbewussten Industriellen und bekannten Designern an die Weltspitze geschoben. 2017 setzten sie 27 Milliarden Euro um. Die Leitmesse Salone del Mobile in Mailand zog in diesem Frühjahr 435 000 Besucher an, im Vergleich zum Jahr davor war das eine Steigerung um 17 Prozent.

Florence Knoll bespricht zusammen mit dem finnischen Designer und Architekten Eero Saarinen das Design eines Tulip-Stuhls. (Foto: Courtesy of Knoll, Inc)

"Bei uns findet man Kompetenzen, die es anderswo nicht mehr gibt", sagt Apolloni. Traurig sei nur, dass sich hinter dieser Stärke eine Schwäche verberge. Wie in der Modeindustrie fallen zunehmend auch namhafte Möbelmarken in ausländische Hände. "So wird Italien zur Werkbank und das Geld fließt in fremde Kassen", sagt er.

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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