Der Fall Pierer:Mehr als ein Falschparker

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Keine Ermittlungen gegen Heinrich von Pierer, sondern nur ein Ordnungswidrigkeitsverfahren. Der Ex-Siemens-Chef kann erst einmal durchatmen - doch das Thema ist noch lange nicht vom Tisch.

Tobias Dorfer

Hinweise gab es genug. Aktenberge, Notizen, Gesprächsprotokolle: Die Staatsanwaltschaft München I hat alles geprüft. Hauptfrage war, ob Heinrich von Pierer in seiner Zeit als Siemens-Vorstandschef von fragwürdige Zahlungen gewusst oder sie sogar angeordnet hat. Doch die Hinweise reichen nicht, sagen die Ermittler. Es gebe "keine zureichenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten", teilte die Behörde am Freitag in München mit.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen Heinrich von Pierer. Auf den ehemaligen Siemens-Chef kommt lediglich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren zu. (Foto: Foto: dpa)

Allerdings werde gegen Pierer sowie weitere ehemalige Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf Paragraph 130 des Gesetzes über Ordnungswidrgkeiten (OwiG). Danach hätte die Unternehmensleitung "alle durchführbaren und zumutbaren organisatorischen Maßnahmen" ergreifen müssen, die "zur Verhinderung und Begehung von Straftaten" erforderlich seien, erläuterte die Staatsanwaltschaft.

Das hat sie nicht - und doch kann der ehemalige Siemens-Chef durchatmen. Ein Ordungswidrigkeitsverfahren ist eine Ermittlung light. Ordnungswidrigkeiten begehen Autofahrer, wenn sie ihren Wagen im Halteverbot abstellen. Oder Personen, die gegen die Meldepflicht verstoßen.

Vorwurf eines Ex-Managers

So wird nun auch Heinrich von Pierer vor dem Gesetz behandelt, wie ein Falschparker. Eine Gefängnisstrafe droht ihm nicht mehr. Auch als vorbestraft wird der ehemalige Mr. Siemens nach dem Verfahren nicht gelten. Allerdings könnte auf ihn eine empfindliche Geldbuße zukommen, die laut Gesetz bis zu einer Million Euro betragen könnte.

Mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird ein Kapitel im Schmiergeldskandal beendet. Es hatte Pierer sehr bewegt, der immer wieder einmal Kontakt mit Spitzen der Justiz gesucht hat - nicht, um das Verfahren zu beeinflussen, wie er sagt, sondern um Mithilfe anzubieten.

Doch die Frage, was Heinrich von Pierer gewusst hat, wird den Konzern weiter beschäftigen. In den vergangenen Wochen hatten sich die Ermittlungen immer weiter zugespitzt, die Schlinge hatte sich jeden Tag ein wenig fester um den ehemaligen Spitzenmanager gezogen.

Am 16. April war ein Siemens-Manager von der Staatsanwaltschaft München I als Zeuge gehört worden - und der hatte detailliert über interne Vorgänge und ein Projekt in Argentinien geredet. Siemens sollte im Auftrag der dortigen Regierung ein System für elektronisch lesbare Pässe und Grenzkontrollen installieren.

Der Münchner Staatsanwaltschaft liegen Hinweise vor, dass in diesem Fall Schmiergelder an Vertreter der argentinischen Regierung geflossen sein sollen. Der Siemens-Manager sagte aus, er habe sich zuerst gegen solche Zahlungen gewehrt und sei dann, zusammen mit einem Kollegen, beim damaligen Konzernchef Pierer vorstellig geworden. In diesem Gespräch habe Pierer gesagt, sie müssten sich jetzt wie "Soldaten von Siemens" verhalten. Später seien zehn Millionen Dollar an eine Beratungsfirma in der Schweiz geflossen.

"Soldaten von Siemens"

Pierer selbst bestreitet diese Vorwürfe. Über seinen Anwalt teilte er der Süddeutschen Zeitung mit, er habe die beiden Manager nicht "angewiesen, diese sollten sich jetzt wie 'Soldaten von Siemens' verhalten und den Auftrag ausführen". Der Anwalt sagte, "Soldaten von Siemens" sei keine Formulierung, die Pierer "je benutzen würde".

Juristisch langte die Sache nun nicht für ein strafrechtlich relevantes Verhalten. Pierer müsste wohl konkretere Angaben gemacht haben - etwa eine direkte Zahlungsanweisung gegeben oder einen Betrag genannt haben.

Der Fall ist trotzdem noch nicht vom Tisch. Die internen Ermittlungen bei Siemens gehen weiter. Im Unternehmen wird man sich immer wieder die Frage stellen, was Heinrich von Pierer gewusst hat - und was nicht. Denn Pierer war mehr als ein Vorstandschef. Ein Mann, der 39 Jahre lang im Unternehmen war. Der sich hocharbeitete vom kleinen Angestellten in der Rechtsabteilung und schließlich 13 Jahre lang Vorstandsvorsitzender war. Mr. Siemens soll von derartigen Vorgängen nichts gewusst haben?

Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank, hat Pierers Situation einmal folgendermaßen umschrieben: "Wenn in der Deutschen Bank systematisch solche Dinge aufbrechen würden, würde ich morgen zurücktreten. Denn entweder war ich ein Teil davon; dann gehöre ich sowieso weg. Oder ich habe es nicht gewusst, dann habe ich nicht geführt." Selbst der neue Antikorruptionsbeauftragte von Siemens, Andreas Pohlmann, hatte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt, es sei "kaum vorstellbar, dass aus einem Unternehmen eine so große Summe Geld verschwindet und die Führung davon nichts bemerkt."

Schadensersatzforderung wird vorbereitet

Etwa 1,8 Milliarden Euro gab Siemens bislang für Bußgelder, Steuern sowie für Honorare für Anwälte und Wirtschaftsprüfer aus. Zwar hat der Konzern bei einem Versicherungskonsortium unter der Führung der Allianz für die Konzernspitze eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Doch nach Ansicht von Experten greift diese Versicherung nicht bei grober Fahrlässigkeit. Und die liege schon bei "bewusst in Kauf genommener Unkenntnis" vor, sagt der Münchner Anwalt Stefan Kursawe.

Siemens hat bereits etliche Schadensersatzklagen vorbereitet. Die renommierte Düsseldorfer Anwaltskanzlei Hengeler Müller prüft, ob die bislang vorliegenden Erkenntnisse ausreichen, um das alte Top-Management zu verklagen. Die Chancen dafür werden als hoch eingeschätzt.

Sollte es genügend Verdachtsmomente geben, wird Siemens von den Beschuldigten Schadensersatz fordern. Andernfalls würde der aktuelle Aufsichtsrat womöglich seine Pflichten verletzen. Gut möglich, dass ein Ordnungswidrigkeitsverfahren den Kontrolleuren einen weitere Hilfe bietet.

Wie gesagt: Pierer kann erst einmal durchatmen - mehr nicht.

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