Der Euro in der Krise:Eine sorgfältig geplante Katastrophe

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Die Politik irrt sich in ihrem Feind: Nicht die Spekulanten haben das Euro-Debakel ausgelöst - sie selbst hat fatal versagt.

Guy Kirsch

Zeiten der Krise können Zeiten der Hoffnung sein; oft sind es Zeiten der Angst. Dann liegt es nahe, nach Sündenböcken zu suchen, denen alle Schuld aufgeladen werden kann, die bekämpft und bestraft werden müssen, wenn alles gut werden soll.

Händler an der New Yorker Börse: Spekulanten müssen derzeit viel Prügel einstecken, sie sollen den Euro in die Krise gestürzt haben. (Foto: Foto: dpa)

So gilt heute: Schuld an der gegenwärtigen Krise sind die Spekulanten, die Zocker. Sie sind es, die in finsterer Absicht heute die Griechen, morgen vielleicht die Spanier, die Iren jagen und letztlich bereit sind, den Euro, ja das gesamte europäische Einigungswerk zu Fall zu bringen. Und deshalb muss man ihnen das Handwerk legen.

Gewiss: In dem Maße wie im Finanzsektor ein ordnungsfreier Raum entstanden ist, muss Remedur geschaffen werden.

Die Frage ist allerdings, ob jene, die wir zu Sündenböcken erklärt haben, in Tat und Wirklichkeit die Schuldigen, gar die allein Schuldigen sind. Genauer: Sind es die Spekulanten, die die Gemeinschaftswährung in Gefahr bringen, oder sind es nicht vielmehr die Konstruktionsfehler des europäischen Einigungsprojekts, welche sonst durchaus harmlosen Zeitgenossen die verlockende Möglichkeit eröffnen, gegen die gemeinsame Währung zu spekulieren? Schaffen die Diebe die Gelegenheit oder macht die Gelegenheit die Diebe?

Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, muss man entweder den Spekulanten das Handwerk legen, sie für vergangene Missetaten bestrafen und an weiterem Tun hindern. Oder aber man muss die Konstruktionsfehler des institutionellen Arrangements der EU korrigieren.

Dieser Konstruktionsfehler, den die Spekulanten heute nutzen, bestand und besteht darin, dass man eine Währungsunion geschaffen hat, ehe auch nur ansatzweise die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik existierten. So konnten die Griechen jahrelang straflos über ihre Verhältnisse leben, so konnten die Deutschen ihre Position als Exportnation aufbauen, so konnten...; die Liste lässt sich verlängern. So konnten die einzelnen Staaten unter dem Schirm der gemeinsamen Währung - für sie ohne Konsequenzen - ihre nationalen Interessen verfolgen; bis zu einem Punkt, wo dieser gemeinsame Schirm zu zerreißen droht und alle im Regen stehen. Dieser Punkt ist jetzt erreicht.

So weit hätte es nicht kommen müssen. Es hatte seinerzeit nicht an Warnungen gefehlt. So mag man sich erinnern, dass kurz vor der Einführung des Euro etwa 170 Wirtschaftswissenschaftler in einem offenen Manifest zwar nicht gegen die Gemeinschaftswährung Position bezogen, wohl aber darauf hinwiesen, dass ohne gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik die europäische Währung mit einem Geburtsfehler ins Leben träte. Es ist geradezu gespenstisch, wie das, was damals als Gefahr für Europa beschworen und beschrieben wurde, heute eingetreten ist.

Nein, jene die man heute als Sündenböcke hetzt, sind nicht die Schuldigen. Schuldig an den Schwierigkeiten sind vielmehr jene, die als politisch Handelnde nicht sehen wollten, was dem nüchternen Verstand schon damals klar war. Man kann sich fragen, ob die gegenwärtige Rede der Politiker von der Verworfenheit der Spekulanten nicht deshalb so laut tönt, weil sie von eigenem schuldhaften Versagen ablenken soll.

Versagen der Politik: Ginge es nur darum, dass die Politiker willentlich blind oder borniert und ahnungslos in eine institutionelle Falle gestolpert sind, so möchte man dies bedauern, ansonsten aber könnte man es als Fauxpas archivieren. Dem ist aber nicht so: Obschon es in all den vergangenen Jahren jedem klar sein konnte und musste, dass sich im europäischen Hause bedrohliche Risse auftaten, übersah man diese. Man war nicht blind, man stellte sich blind. So übersah man willentlich und wissentlich, dass einzelne Euroländer mogelten und sich überschuldeten. Und dass der Stabilitätspakt für praktisch alle seine Verbindlichkeit verlor, verharmloste und entschuldigte man so ganz nebenbei.

Guy Kirsch, 71, ist Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Freiburg in der Schweiz. (Foto: Foto: Universität Freiburg)

Nun mag man darauf hinweisen, dass sich gegenwärtig die Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die bösen Zocker richtet, sondern dass mittlerweile auch die institutionellen Regeln des europäischen Einigungswerks ins Blickfeld rücken: Ansätze zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik stehen jetzt wenigstens zur Diskussion. Das ist zwar richtig, was aber nichts daran ändert, dass die Impulse hierzu auf einen geradezu reflexartigen Widerstand in manchen, wenn auch nicht in allen Hauptstädten stoßen.

Auch wenn heute Lernprozesse möglich sein sollten, bleibt die nüchterne Feststellung, dass früher das Notwendige versäumt wurde und so die gegenwärtigen Schwierigkeiten auftreten mussten. Und dass all das, was ehedem gründlich durchdacht an Institutionen und Regeln hätte geschaffen werden können, nun Hals über Kopf beschlossen werden muss. Die Schwächung der Europäischen Zentralbank und der über Nacht zusammengeschusterte Hilfsfonds sind hierfür Beispiele; es sind nicht die einzigen. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen, dass - um der Not von heute zu begegnen - hastig und überstürzt Institutionen geschaffen werden, die die Probleme von morgen verursachen werden.

Die Politik hat in den vergangenen Jahren und Monaten viel Energie auf die Suche nach Sündenböcken verwandt. Das lag nahe und war publikumswirksam. Es ist nun an der Zeit, dass sie sich die Politik selbst als Verantwortliche erkennt. Das ist schwierig und unpopulär.

Die Franzosen haben einen Ausdruck: On peut se tromper d'ennemi - man kann sich in seinem Feind irren. Jetzt geht es für die Politik darum, nicht primär in den Spekulanten den Feind zu sehen, sondern zu erkennen, dass sie sich selbst und ihren Bürgern dann der ärgste Feind ist, wenn sie weiterhin versucht, an einem in sich widersprüchlichen Europaprojekt festzuhalten: Eine Währungsunion ist auf Dauer nur möglich, wenn es eine institutionell abgesicherte gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt. Wer diese ablehnt, sollte sich ehrlicherweise zu dem bekennen, was ihn in Wirklichkeit bewegt: der nationale Egoismus und die Absage an Europa. Mochte es bei der Einführung des Euro heißen, dass man diesen bejahe, um "Europa" zu stärken, so gilt jetzt: Man muss "Europa" bejahen, um den Euro halten zu können.

© SZ vom 21.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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