Debatte um Bsirskes Freiflug:Sehnsucht nach Gutmenschen

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Mitten im Streik gratis in die Südsee: Auch ein Gewerkschafter darf Privilegien haben. Doch war es schlau von Verdi-Chef Bsirske, diesen Freiflug anzutreten?

Hans Leyendecker

Wenn der Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa, Diplom-Ingenieur Jürgen Weber, gratis mit der von ihm kontrollierten Luftverkehrsgesellschaft Erster Klasse in die Südsee fliegen würde, wäre das keine Sensation.

Ein Hansen schadet mehr als zehn Bsirskes. (Foto: Foto: dpa)

Wenn der Aufsichtsratschef gratis fliegen würde

Journalisten wäre der Flug keine Meldung wert, kein Politiker würde sich aufregen: Eine typische "Hund-beißt-Mann-Geschichte", also eine, die alltäglich ist. Wenn aber der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Fluglinie, der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske, auch umsonst Erster Klasse fliegt, ist das ein Skandal. Politiker fordern seinen Rücktritt, nicht nur ihm nicht wohlgesonnene Gewerkschafter schäumen, Medien entdecken eine neue Affäre: Eine "Mann-beißt-Hund-Geschichte".

Warum darf der eine nicht, was der andere darf? Sind Gewerkschafter schamlos, wenn sie ein Privileg für sich in Anspruch nehmen, das auch für andere Mitglieder des Kontrollgremiums gilt? Ist der Freiflug, der als geldwerter Vorteil zu versteuern ist, gar der Beleg, dass auch für Spitzenfunktionäre der in der Gesellschaft weit verbreitete Imperativ des Absahnens, Nassauerns, Durchmogeln gilt? Ist Bsirske also nur der Chef-Kollege Schlaumeier?

Kontrolleure gut zu bezahlen, ist vernünftig

Dagegen spricht zumindest, dass er seine Aufsichtsratsvergütungen, im vergangenen Jahr immerhin 210.000 Euro einschließlich der variablen Zahlungen, an Gewerkschaftseinrichtungen abgeführt hat. Ob Weber seine 450.000 Euro, die er als Vorsitzender bekam, der Caritas gespendet hat, ist nicht bekannt.

Dass Kontrolleure heutzutage sehr passabel bezahlt werden, ist kein Zeichen der Raffgier, sondern der Vernunft. Wer seine Aufsichtspflicht ernst nimmt und auch damit rechnen muss, per Haftung für notorische Unaufmerksamkeit zur Verantwortung gezogen zu werden, darf auch gut entlohnt werden.

Das Werfen des ersten Steins auf Bsirske wird unter solchen Verhältnissen zu einer fragwürdigen und riskanten Operation. Für die Leier, "die da oben raffen und betrügen doch alle", taugt sein Beispiel nur sehr bedingt. Übrigens sollten Journalisten, die Rabatte auf alles und jedes beanspruchen, weil sie einen Journalistenausweis haben, die Debatte sehr zurückhaltend führen.

Gewerkschaftsleute besitzen eine andere moralische Fallhöhe

Oder gelten für Arbeitnehmervertreter andere Regeln, weil ein Teil der Bevölkerung ihnen, anders als den Politikern, den Managern, den Journalisten, noch Redlichkeit zubilligt? Einige Affären der vergangenen Jahrzehnte lassen zumindest den Schluss zu, dass Gewerkschaftsleute möglicherweise immer noch eine höhere moralische Fallhöhe als andere Gesellschaftsgruppen besitzen.

Die erregten öffentlichen Reaktionen auf die Korruptionsaffäre Neue Heimat, den co-op-Skandal und die Lustreisen von VW-Betriebsräten lassen, positiv gewendet, ahnen, dass ihr Publikum (die Heuchler ausgenommen) immerhin noch enttäuschbar ist.

Der Fall Hansen geht einem aufs Gemüt

Andererseits gehen einem gewerkschaftliche Schlaumeier wie der frühere Chef der Eisenbahner-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, mächtig aufs Gemüt, wenn sie wendisch ihre Vergangenheit abschütteln und wie er noch vor seinem Antritt als Arbeitsdirektor bei der Deutschen Bahn über Flexibilisierung, Rationalisierung und Anpassungsfähigkeit schwadronieren. Natürlich über die Anpassungsfähigkeit der anderen, der da unten.

Ein Hansen schadet mehr als zehn Bsirskes. Aber war es schlau von Bsirske diesen Freiflug anzutreten? Nein. Ein Profi muss angesichts heraufziehender Arbeitskämpfe die Gefechtslage überblicken.

Das tut man nicht

Er darf sich nicht darüber beklagen, dass dann heftig indiskretioniert, also geschossen wird. Und viel zu wenig gilt in diesen Tagen das Wort: Das tut man nicht. Im Fall des Gewerkschaftsvorsitzenden bedarf es der Erweiterung. Man tut es aus deshalb nicht, weil der Gegner daraus Wurfmaterial herstellen wird.

Außerdem ist es angesichts der streikenden Kollegen eine Stilfrage, ob deren oberster Repräsentant einfach so mal abdüst. Bsirske ist eine öffentliche Person. Was das bedeutet, hat er offenkundig noch nicht richtig verstanden.

© SZ vom 04.08.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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