Dax-Konzern:Neuer Chefaufseher für Wirecard

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Thomas Eichelmann muss sich ab sofort mit den Ermittlungen und Skandalen befassen.

Von Nils Wischmeyer

Die Meldung kam mitten in der Nacht: Der aktuelle Aufsichtsratschef des Dax-Konzerns Wirecard, Wulf Matthias, tritt nach elf Jahren mit sofortiger Wirkung zurück. Ursprünglich wollte er seinen Posten noch bis zur Hauptversammlung im Juli behalten. Nun die abrupte Wende: Der 75-Jährige wolle aus persönlichen Gründen zurücktreten und einen Wechsel der Generationen einleiten, teilte der Konzern in einer Meldung mit. Er bleibe bis 2021 als gewöhnliches Mitglied im Aufsichtsrat.

Ihm folgt der 21 Jahre jüngere Thomas Eichelmann. Er begann seine Karriere als Unternehmensberater, zunächst bei Boston Consulting, dann bei Bain & Company und schließlich bei Roland Berger, wo er das Geschäft mit Finanzdienstleistern aufbaute. Von dort wechselte Eichelmann zur Deutschen Börse, wo er zwischen 2007 und 2009 Finanzvorstand war. In seine Zeit fiel unter anderem die Verlagerung der Deutschen Börse von Frankfurt ins steuerlich günstiger gelegene Eschborn. Daneben setzte er mehrere Sparmaßnahmen durch und war bei Analysten für sein Kostenmanagement beliebt.

Nach turbulenten Wochen steigt der Wert der Wirecard-Aktie wieder. Das Unternehmen hat seinen Quartalsgewinn deutlich erhöht. (Foto: Michael Dalder/Reuters)

2009 trennte sich die Deutsche Börse überraschend von Eichelmann, offiziell wegen "unterschiedlicher Auffassungen zu einzelnen geschäftlichen Aspekten". Er verschwand aus der Öffentlichkeit und heuerte ein Jahr später bei Aton an, einer Beteiligungsgesellschaft der Familie Helmig, wo er bis 2018 Hauptgeschäftsführer blieb. Daneben war er unter anderem Mitglied des Aufsichtsrats bei Hochtief und Wüstenrot & Württembergische. An Erfahrung und Fachkompetenz mangelt es dem frisch gekürten Chefaufseher also nicht.

Bei Wirecard sitzt der 54-Jährige seit rund einem halben Jahr im Aufsichtsrat. Schon bei der Wahl galt er als potenzieller Nachfolger von Matthias. Er leitete den neu eingerichteten Prüfungsausschuss. Zum Vorsitzenden des gesamten Gremiums wurde er einstimmig gewählt.

In den vergangenen Monaten konnte Eichelmann bereits beobachten, wie sehr Wirecard öffentlich und bei den Aktionären unter Druck steht. Die Aktie ist im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent gefallen. Dem Verfall des Kurses waren mehrere Berichte der Financial Times über mögliche Bilanzmanipulation im Asiengeschäft von Wirecard vorausgegangen. Der Dax-Konzern tat diese zu Anfang ab. Konzernchef Markus Braun musste später allerdings einräumen, dass es Fehler in der Buchhaltung gegeben hatte. Auch könnten sich einige Mitarbeiter strafbar gemacht haben.

In weiteren Artikeln prangerte die FT mehrere Fehlbuchungen und Intransparenz in den Büros in Singapur und Dubai an. Wirecard weist bis heute alle Vorwürfe zurück, sah sich in Folge der Artikel aber gezwungen, die Bilanzen erneut prüfen zu lassen. Beauftragt mit der Sonderprüfung wurde KPMG. Ein erster Bericht soll bereits im ersten Quartal erscheinen.

Viele Beobachter des Konzerns waren davon ausgegangen, dass Matthias als Chef des Aufsichtsrats zumindest die ersten Ergebnisse von KPMG abwartet. Dass inmitten dieser sehr wichtigen Sonderprüfung der Vorsitz des Gremiums ausgetauscht wird, ist äußerst ungewöhnlich.

Sollte der Bericht der Wirtschaftsprüfer positiv für Wirecard ausfallen, würde das viel Druck vom Konzern nehmen, besonders für den frisch gekürten Chefaufseher und Leiter des Prüfungsausschusses, Thomas Eichelmann. Ausgestanden wäre die Affäre damit allerdings noch nicht. Noch immer ermittelt eine Spezialeinheit der Polizei in Singapur gegen Wirecard.

Sie hatte die Büroräume mehrmals durchsucht und rund 200 Kisten an Material mitgenommen. Als wäre das nicht genug, wird sich der neue Chefaufseher auch eine Spitzelaffäre im Umfeld von Wirecard genauer ansehen müssen. Erst vergangene Woche erstattete der Journalist Michael Hedtstück Strafanzeige wegen möglicher Überwachung im Zuge seiner Berichterstattung zu Wirecard. Der Name des Online-Chefredakteurs des Frankfurter Magazins Finance war zusammen mit anderen in einem Papier aufgetaucht, das die Financial Times kurz vor Weihnachten veröffentlicht hatte. Darin hatten Privatermittler eine Art Schlachtplan dargelegt, um Personen zu überwachen und zu beschatten, die wie Hedtstück kritisch über Wirecard berichtet oder gegen die Aktie gewettet hatten. Demzufolge sollten zur Überwachung unter anderem Mobiltelefone angezapft werden, was in Deutschland illegal ist. Wer den Plan erstellt und wer ihn in Auftrag gegeben hat, ist bisher unklar. Wirecard bestreitet, jemals eine Beschattung von Personen beauftragt zu haben.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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