Das "System Siemens":Eine Frage der Glaubwürdigkeit

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Gewerkschafter halten den Fall BenQ für ein neues "System Siemens". Denn das Prinzip "erst ausgelagert, dann insolvent" sei auch bei anderen einstigen Konzernsparten durchexerziert worden. Siemens bestreitet das vehement.

Paul Katzenberger

Bei Siemens kommt es derzeit auf jedes Wort an, wenn es um den Fall BenQ geht. Ein Siemens-Sprecher legte bei Anfrage von sueddeutsche.de großen Wert auf semantische Feinheiten. Siemens habe niemals "rechtliche Schritte" gegen BenQ angekündigt, sondern habe lediglich avisiert, die "Rechtsposition zu prüfen."

BenQ-Mitarbeiter demonstrieren gegen Stellenabbau. (Foto: Foto: dpa)

Am 2. Oktober hatte die Bild-Zeitung Konzernchef Klaus Kleinfeld allerdings mit der Aussage zitiert, er prüfe "rechtliche Schritte". Der Siemens-Chef sagte nach Angaben des Blattes damals wörtlich: "Das haben wir nur gemacht, weil wir von den Zusicherungen von BenQ überzeugt waren. Uns wurde versichert, dass die Standorte in Deutschland erhalten bleiben und sogar gestärkt werden. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Wir prüfen alle juristischen Schritte gegen BenQ."

Weniger forsch

Einen Monat später ist das Pochen auf mögliche rechtliche Ansprüche nun deutlich weniger forsch. Die Prüfung der Rechtsposition dauere an und sei noch nicht abgeschlossen, sagte der Siemens-Sprecher zu sueddeutsche.de.

Dies sei ein anhaltender Prozess, der vermutlich mindestens bis zur endgültigen Abwicklung von BenQ Mobile andauern werde. "Dadurch ist es uns schon gelungen, einige Verbesserungen zu Gunsten der betroffenen Mitarbeiter zu erreichen", sagte der Sprecher weiter. Beispielsweise sei das bislang bestehende Abwerbeverbot zwischen BenQ Mobile und Siemens aufgehoben worden, sodass die bisherigen Mitarbeiter von BenQ Mobile sich nun einfacher auf angebotene Stellen bei Siemens bewerben könnten.

Eine große Schadenersatzklage gegen BenQ stehe allerdings nicht unmittelbar bevor, betonte der Sprecher. Wenn die Medien Anfang Oktober diesen Eindruck erweckt hätten, sei das nicht die Schuld des Siemens-Konzerns, sagte er. Weitere juristische Maßnahmen - auch größeren Umfangs - wollte der Sprecher für die Zukunft allerdings auch nicht ausschließen.

Teuere Variante

Siemens-Chef Kleinfeld war Anfang Oktober vehement dem Vorwurf entgegengetreten, die Abgabe der Handy-Produktion an BenQ sei nichts anderes als eine elegant getarnte Schließung der defizitären Sparte gewesen. Gerade weil Siemens die Arbeitsplätze am Herzen gelegen hätten, habe sich der Konzern für die teuere Variante mit dem Käufer BenQ entschieden und noch einen dreistelligen Millionenbetrag oben drauf gelegt, argumentierte Kleinfeld damals.

Doch nur Wenige schenkten dieser Argumentation Glauben. Wenn der Erhalt von Arbeitsplätzen so wichtig war, dass er Siemens sogar viele Millionen Euro wert war, warum sicherte sich der Konzern dann nicht besser ab, lautete eine der gern gestellten Fragen.

Da von Siemens bislang keine überzeugende Antwort zu bekommen war, gingen die Schlussfolgerungen in zwei Richtungen: Entweder waren die deutschen Konzernlenker bei ihrem Geschäft mit den Taiwanesen ungewöhnlich naiv, oder aber der Erhalt von Arbeitsplätzen war eben doch nicht die Toppriorität. Stattdessen könnte es dem deutschen Konzern in erster Linie um eine schnelle Trennung von dem Problembereich gegangen sein, wurde spekuliert.

Kaum Entschärfung

Mit den jüngsten Aussagen zum Stand der juristischen Bemühungen dürfte Siemens die Debatte darüber, welche Rolle der Münchner Konzern bei dem BenQ-Debakel in Wahrheit gespielt hat, kaum entschärfen können. Die langfristige Absicherung der Arbeitsplätze dürfte zumindest keine der prominenten Klauseln des Vertragswerkes mit BenQ gewesen sein. Ansonsten müsste eine vierwöchige Prüfung inzwischen erste Handhaben gegen BenQ ermöglichen.

Es bleibt also der Verdacht bestehen, dass die systematische Auslagerung eines gefährdeten Konzernbereiches wie BenQ als elegante Methode für Arbeitsplatzabbau diente. Erhärtet wird diese Annahme durch ähnlich gelagerte Fälle der jüngeren Konzerngeschichte.

So wurde etwa die IT-Weiterbildungssparte "SBS Training & Services" im April 2004 in die "LS training and services GmbH & Co. KG" ausgelagert. Ziel der Aktion: Weiterverkauf an einen Interessenten. Wie auch bei der Handysparte gestaltete sich hier die Suche nach einem Käufer schwierig, doch im Oktober 2004 wurde mit der österreichischen BIT-Gruppe kurzfristig doch noch ein zunächst solide erscheinender Partner gefunden.

Parallelen

Hier beginnen nun die Parallelen zum Fall BenQ: Mitarbeiter der LS training and services und Vertreter der IG Metall wiesen damals bereits darauf hin, dass der BIT-Gruppe der Kauf mit einem Millionenbetrag versüßt worden sein soll. Intern sei bei den Beschäftigten damals von einem Betrag in Höhe von zehn Millionen Euro die Rede gewesen, sagte ein betroffener Mitarbeiter zu sueddeutsche.de. Offizielle Zahlen habe es aber nie gegeben.

Die Mitarbeiter der LS training and services konnten sich in der Folge nur kurz in Sicherheit wiegen. Noch vor dem Auslaufen des Bestandsschutzes im März 2005 wurden 56 Mitarbeiter im Januar 2005 mit einer betriebsbedingten Kündigung konfrontiert. Im April 2005 stellte die BIT-Gruppe die Zahlungen an die LS schließlich ein und am 24. April folgte der Insolvenzantrag.

Der vorläufigen Insolvenzverwalterin Barbara Beutler gelang es nicht, die LS weiterzuführen, sodass das Unternehmen schließlich liquidiert wurde.

Auch hier fühlten sich die verbliebenen 110 Mitarbeiter arglistig getäuscht. Ähnlich wie bei BenQ stand die Vermutung im Raum, dass die ganze Auslagerung nur der Entsorgung der Mitarbeiter gedient habe.

Nachdem fast alles LS-Mitarbeiter Klagen auf Rückeinstellung bei Siemens Business Services (SBS) angedroht hatten, erklärte sich SBS im Sommer 2005 dazu bereit, den Betroffenen Abfindungen nach dem damals geltenden SBS-Sozialplan zu zahlen. Nahezu alle Mitarbeiter nahmen die Offerte an.

Lange Odyssee

Auch als die frühere Siemens-Tochter FEAG (Fertigungscenter für Elektrische Anlagen GmbH) im Juni 2006 die Insolvenz anmeldete, hatten die rund 600 Beschäftigten eine lange Odyssee hinter sich.

Der Erlanger Anlagenbauer war bereits 1996 in eine GmbH ausgegliedert worden - zunächst als hundertprozentige Siemens-Tochter. Im Jahr 2004 brachte Siemens die die FEAG dann in ein Joint Venture mit der Interschalt GmbH ein. An diesem Unternehmen hielt der Elektrokonzern allerdings nur noch einen Minderheitsanteil von 49 Prozent, während die Interschalt GmbH mit 51 Prozent nun neuer Herr im Haus war.

Anteile verkauft

Zunächst waren die Arbeitnehmer vorsichtig optimistisch und hofften auf einen Neuanfang. Dunkle Wolken zeichneten sich am Firmenhimmel dann allerdings Ende 2005 ab, als die Interschalt GmbH 49 Prozent ihrer Anteile an die Hamburger RA&AL-Industriebeteiligungsverwaltung und die restlichen zwei Prozent an die Auerbacher Heitec GmbH verkaufte.

Prompt ein halbes Jahr später erfolgte die Anmeldung der Insolvenz. Seinerzeit wurde ein Siemens-Sprecher mit der Aussage zitiert, dass Siemens als Minderheitsgesellschafter nicht bereit sei, die Liquidität sowie dafür nötige Sicherheiten zu stellen.

Im Gegensatz zu den Fällen BenQ und LS training and services war bei der FEAG an den Käufer zwar kein Siemens-Geld geflossen - doch das Ergebnis für die Beschäftigten war ähnlich: Erst ausgegliedert, dann insolvent.

Billiger

Steckt dahinter ein System Siemens? Der FEAG-Betriebsrat glaubt das. Denn der Verdacht liegt nahe: Wenn eine ausgegliederte GmbH in die Insolvenz geht, dürfte das für die Siemens AG billiger kommen als selbst die Mitarbeiter mit teuren Abfindungen zu entlassen.

Werner Neugebauer, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, spricht daher von einem Paradigmenwechsel bei Siemens: "Früher hat man Menschen ausgegliedert mit der Möglichkeit innerhalb der Siemens AG wieder zurückzukehren. Heute parkt man die Leute in einer Zwischengesellschaft und es liegt natürlich der Verdacht nahe, dass man sich so seines Personals, das 20 Jahre, 30 Jahre gearbeit hat, mehr oder weniger entledigen will", sagte Neugebauer zu report München.

Siemens bestreitet die Vorwürfe vehement. Ein Rückkehrrecht habe es bei Ausgliederungen seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gegeben, sagt der Siemens-Sprecher zu sueddeutsche.de.

Siemens: "Es gibt auch erfolgreiche Ausgliederungen"

Der Vorwurf, hier gebe es inzwischen ein System Siemens, sei zudem ungerecht. In einem derart großen Konzern komme es eben nun mal zu Ausgliederungen, die in der Folge wirtschaftlich scheiterten. Immerhin gebe es auch gegenteilige Beispiele. Erfolgsstorys dieser Art seien etwa der IT-Dienstleister Wincor-Nixdorf, der Chipproduzent Infineon oder der Hersteller von Laserstrahlquellen, Rofin-Sinar - allesamt einstige Siemenssparten, die heute als eigenständige Unternehmen sehr erfolgreich arbeiteten.

Siemens führt außerdem an, einstmals angeschlagene Sparten auch selbst wieder auf die Beine gestellt zu haben. "Unsere Medizintechnik haben wir selber unternehmerisch saniert und bei SBS machen wir das jetzt auch so", sagt der Sprecher.

Die Wahrheitssuche dauert an.

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